Nach dem Erdbeben:Obama macht Haiti zur Chefsache

Bis zu 10.000 Soldaten und Hilfe "über Monate und Jahre": US-Präsident Obama will mit allen Mitteln verhindern, dass Haiti noch tiefer im Chaos versinkt. Die Krise könnte zur Feuertaufe seiner Amtszeit werden.

Johannes Kuhn

Es ist ein Bild mit Symbolkraft, das an diesem Samstag im Weißen Haus inszeniert wird: Barack Obama, umrahmt von seinen Vorgängern George W. Bush und Bill Clinton. Die Botschaft ist eindeutig: Die Weltmacht USA bleibt angesichts der Katastrophe in Haiti nicht tatenlos, die Politik bündelt ihre Kräfte, um die Hilfe für die Erdbebenopfer im geschundenen Karibikstaat endlich in Gang zu bringen.

Bill Clinton, Barack Obama, George W. Bush

Clinton, Obama, Bush (v.l.): Besonderes Verhältnis zu Haiti

(Foto: Foto: Reuters)

"Vor uns liegen schwere Tage", sagt Obama bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses. Die Hilfeleistungen für Haiti würden "Monate und Jahre" laufen. Clinton und Bush sollen nun erst einmal Spenden sammeln.

Clinton und Bush - diese Kombination aus Ex-Präsidenten gab es bereits 2004, als George W. seinem Amtsvorgänger und seinem Vater George H.W. die Koordinierung der Tsunami-Hilfe nach dem Seebeben im indischen Ozean anvertraute.

Doch dieses Mal ist die Lage anders und es ist nicht nur Nächstenliebe, die hinter dem amerikanischen Engagement steckt: Haiti liegt näher, in jener Gegend, die als "Hinterhof der USA" bezeichnet wird. Wenn die humanitäre Lage nach dem Erdbeben weiter außer Kontrolle gerät, dürften sich Tausende Bewohner des bitterarmen Staates als Bootsflüchtlinge auf den Weg in die USA machen.

Auch hielten sich Schätzungen zufolge zum Zeitpunkt des Erdbebens etwa 45.000 US-Bürger in Haiti auf. Eine vielfach größere Zahl an Amerikanern hat ihre Wurzeln im Karibikstaat - alleine in New York gehören 150.000 Bürger der haitianischen Community an.

Lange Historie der Einmischung

Hinzu kommt eine gemeinsame Geschichte der Staaten, die ebenso wechselvoll wie spannungsreich verlief: Beide Länder waren die ersten auf dem Kontinent, die sich von den Kolonialherren lossagten. Doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts mischtten sich die aufstrebenden USA immer wieder in innere Angelegenheiten Haitis ein, wahlweise durch Besetzung oder durch die Lenkung von Putschversuchen.

Auch die heutigen Spendeneintreiber Clinton und Bush beteiligten sich: Nach einem Militärputsch ließ Clinton 1994 Truppen einmarschieren, um den gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide im Amt zu halten. Zehn Jahre später ließ George W. Bush Aristide, der sich inzwischen zum Autokraten entwickelt hatte, außer Landes schaffen.

Barack Obama weiß deshalb um die Bedeutung, die dem Handeln seiner Regierung jetzt zukommt. Doch die Zeit drängt: Die Infrastruktur im Erdbebengebiet, von der Kommunikation bis zu den Transportwegen, ist zum großen Teil zerstört, die Hilfskräfte stoßen bei der Verteilung von Lebensmitteln und Wasser immer wieder auf Hindernisse.

Bis zu 10.000 Soldaten vor Ort

Um die Hilfslieferungen besser zu koordinieren, kontrolliert seit Freitagabend das US-Militär den Flughafen der Hauptstadt Port-au-Prince - die einheimischen Behörden dürften mit der komplexen Logistik einer solchen Hilfsaktion schlicht überfordert gewesen sein. Mit diesem Schritt riskiert Obama, Frankreich zu verärgern, das als ehemalige Kolonialmacht ebenfalls ein besonderes Verhältnis zum Karibikstaat pflegt.

Bis Montag sollen zudem 9000 bis 10.000 amerikanische Soldaten in Haiti oder auf Schiffen vor der Küste von Port-au-Prince im Hilfseinsatz sein, versprach der Vorsitzende der Vereinten Stabschefs, Admiral Mike Mullen. Dort eingetroffen ist der amerikanische Flugzeugträger Carl Vinson, von dem aus amerikanische Soldaten per Helikopter Hilfsgüter zu verteilen begonnen haben. Vor allem Trinkwasser ist in vielen Gegenden inzwischen knapp. Bereits zwei Tage nach dem Erdbeben hatte Obama 100 Millionen Dollar Soforthilfe für die Region zugesagt.

Viele politische Beobachter sehen in der Haiti-Krise eine Feuertaufe für Obama: Bereits kurz nach der Katastrophe hatten einige Kommentatoren Parallelen zwischen Hurrikan Katrina und dem Erdbeben in Haiti gezogen. Als Folge des Hurrikans waren 2005 weite Teile der Stadt New Orleans überflutet worden, 1800 Menschen starben.

Erinnerungen an Katrina

Die Bush-Regierung war damals heftig in die Kritik geraten, da sie den Ernst der Lage zu spät erkannt hatte. Da New Orleans eine mehrheitlich schwarze Bevölkerung hat, stand auch der Vorwurf des Rassismus im Raum.

"Die Kompetenz und das Mitgefühl der Obama-Administration wird in einem ähnlichen Rassen-Zusammenhang getestet - und das mit einer viel schlechteren Infrastruktur", hatte der einflussreiche Washingtoner Newsweek-Büroleiter Howard Fineman gemutmaßt. "Es gibt große Unterschiede zwischen Katrina (...) und Haiti", schreibt Ben Feller von der Nachrichtenagentur AP, "doch wenn wir die heftigen Bilder sehen, wie sich Menschen an Trümmern festhalten, sich Leichen in den Straßen stapeln, sind Vergleiche unvermeidbar."

Bislang hat Obama nach Ansicht von Medien und Öffentlichkeit die Fehler seines Vorgängers Bush vermieden. Mit ihm holt er sich einen Konservativen ins Boot, um der Nation Einheit über politische Grenzen hinweg zu signalisieren. Bill Clinton hat als UN-Beauftragter für Haiti auch bei den Vereinten Nationen Gewicht.

Dennoch wird es Obama sein, der an den Ergebnissen der amerikanischen Anstrengungen gemessen werden wird. Schaffen es die USA, die Rettungsarbeiten nun zügig in Gang zu bringen und wird das schlimmste Chaos verhindert, könnte dies nicht nur für die Menschen vor Ort die Wende bringen. Auch Obama, der jüngst wegen der Behördenfehler vor dem verhinderten Terroranschlag von Detroit heftig kritisiert wurde, könnte das Vertrauen der Amerikaner in seine Führungsstärke zurückgewinnen.

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