Nach dem Anschlag auf Paul Wolfowitz:Die Rache der Besiegten

Der Politiker gilt als Architekt des Krieges, als Planer der Vertreibung Saddams und als perfektes Ziel - die Schutzlosigkeit der Amerikaner im Irak

Von Heiko Flottau

(SZ vom 27.10.2003) Bagdad, 26. Oktober - Für Hodda, Fatma und Mahmut war es ein glücklicher Morgen. Es war der Morgen des 26.Oktober 2003, nach der islamischen Zeitrechnung der 1.Ramadan 1424. Erstmals seit der Besetzung Bagdads hatten die Amerikaner angekündigt, zumindest für den Fastenmonat Ramadan die nächtliche Ausgangssperre aufzuheben. Das Ereignis hatten Hodda, Fatma und Mahmut lange erwartet.

Was sie nicht unbedingt erwartet hatten, waren die lauten Explosionen, die sie morgens kurz nach sechs Uhr wachrüttelten. Die drei ahnten sofort, was die dumpfen Detonationen bedeuteten, die ganz Bagdad erschütterten. Vor allem wussten sie, wem die Raketen, die da in kurzen Abständen einschlugen, galten. Die drei sprangen aus ihren Betten, stiegen auf das Flachdach ihrer eingeschossigen Villa und sahen gerade noch, wie die letzten Geschosse das ganz in ihrer Nähe gelegenen Raschid-Hotel trafen. "Dies ist ein guter Beginn des Fastenmonats Ramadan", sagt Mahmut, der seinen richtigen Namen nicht nennen will. Dann fügt er noch zufriedener hinzu: "Wir sind glücklich, dass es noch Widerstand gibt."

Der Widerstand, der sich da so lautstark Ausdruck verschaffte, galt dem Architekten des Irakkriegs Paul Wolfowitz. Der hatte schon lange bevor er Stellvertreter von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurde, Pläne für eine Invasion des Irak und für die Vertreibung des Regimes Saddam Husseins vorgelegt. Kurz nach dem Anschlag trat ein sichtbar um Fassung ringender Wolfowitz vor amerikanische Fernsehkameras und sagte, der Attentatsversuch auf ihn sei eines der letzten Lebenszeichen eines "sterbenden Regimes". Wolfowitz sah bleich aus.

Eher trotzig als mutig sagte der Architekt des Krieges, Amerika werde seine Mission zu Ende bringen und dem irakischen Volk weiter helfen. Vor allem werde Amerika die Reste des Regimes weiter bekämpfen.

Bereit zum Kampf

Dieses Regime ist zwar auf Nimmerwiedersehen verschwunden, doch so machtlos, wie sich das Paul Wolfowitz, Donald Rumsfeld, George Bush und alle ihre neokonservativen Anhänger wünschen, ist es noch lange nicht. Die Anschläge auf die amerikanische Präsenz im Lande haben an Intensität nichts verloren. Zudem sind sie von Mal zu Mal besser geplant.

Der Anschlag auf Wolfowitz wurde, ersten Erkenntnissen nach, von einer kleinen Rampe ausgeführt, die äußerlich wie ein Stromgenerator aussah. Generatoren gehören in diesen Monaten, in denen die Versorgung mit Elektrizität immer noch nicht für 24 Stunden am Tag gesichert ist, zum normalen Erscheinungsbild der Hauptstadt. Der zu einem kleinen Raketenwerfer umgebaute Generator stand offenbar nur etwa zwei Kilometer vom Ziel des Anschlags entfernt auf einer belebten Durchgangsstraße, die am Bagdader Zoo vorbeiführt.

Die amerikanischen Beschützer von Paul Wolfowitz hatten den Mann, der die Invasion Bagdads ideologisch vorbereitete, im berühmt-berüchtigten Raschid-Hotel Bagdad untergebracht. Das Hotel liegt in Bagdads Stadtteil Salhia - dort, wo viele Ministerien ihren Sitz haben. Gleich gegenüber hatte einst Saddam Hussein ein riesiges Konferenzzentrum errichtet. Nicht weit entfernt liegt der Palast der Republik, einst gebaut vom Putschisten Abdelkarim Qassem, der 1958 König Faisal II. stürzte.

Danach diente der Palast Saddam Hussein als Residenz, jetzt hat hier der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer sein Hauptquartier aufgeschlagen. Im Raschid-Hotelwohnen hohe amerikanische Militärs und Diplomaten. Zu Zeiten Saddam Husseins wurde es ausländischen Gästen als Unterkunft zugewiesen. Heute gehört es zu den am besten bewachten Stellen der Stadt. Im Umkreis von 500 Metern sind Betonbarrieren und Drahtverhaue aufgestellt. Wer das Raschid-Hotel angreifen will, muss dies aus der Luft tun, oder er muss, wie gestern geschehen, Raketenwerfer verwenden.

Erst am Sonntagmorgen hatten die Amerikaner eine der über den Tigris führenden Brücken, die so genannte "Hängende Brücke", wieder für den Verkehr frei gegeben. Die Straße läuft am Palast der Republik vorbei. Der Weg war von den Amerikanern gesperrt, man fürchtete um die Sicherheit Paul Bremers. Zu Zeiten Saddam Husseins sah man beiderseits der Straße grüne Parks und kleine Villen. Jetzt haben die Amerikaner den Palast mit etwa drei Meter hohen Betonblöcken verbarrikadiert. So von der Umwelt abgeschlossen hat sich nicht einmal Saddam Hussein. Immerhin: Jetzt dürfen Bagdader Bürger wieder am Palast vorbeifahren.

Als am Morgen die etwa sechs Kleinraketen das Hotel trafen, befand sich Paul Wolfowitz im zwölften Stockwerk des Raschid. Jedenfalls hielt sich das Gerücht hartnäckig in den ersten Stunden nach dem Anschlag. Die Geschosse trafen das Hotel von der Westseite, aber nicht im zwölften, sondern im fünften oder sechsten Stockwerk. Auch von weitem sind große, schwarze Löcher in der Hotelmauer zu sehen. Viele der metallenen Sonnenblenden, welche die Zimmer von der heißen Mittags- und Nachmittagssonne schützen, sind abgerissen.

Offenbar ist es zu Bränden gekommen. Berichte ausländischer Rundfunkanstalten sprechen von schweren Schäden in den mittleren Geschossen. Ein Hotelbewohner starb, mehrere wurden verletzt. Wolfowitz kam mit dem Schrecken davon. Augenzeugen sahen, wie er kurz nach dem Anschlag von seiner Leibwache aus dem Hotel geführt wurde.

Während sich Hodda, Fatma und Mahmut noch immer darüber freuen, dass, wie sie sagen, "der Widerstand lebt", patrouillieren zwei gepanzerte amerikanische Humvee-Jeeps die kleine Seitenstraße hinter dem Hotel. Mahmut sagt verächtlich, dass er diese Patrouillenfahrten hier täglich beobachte. Nachdem Widerstandskräfte vor ein paar Wochen schon einmal aus dieser Gegend auf das Raschid-Hotel geschossen hätten, sei die Straße von den Amerikanern für den Verkehr gesperrt worden. Die Mühe war vergeblich.

Diese Botschaft kannten die Amerikaner schon vorher. Kaum jemand unter den in Bagdad anwesenden Journalisten hatte Kenntnis vom genauen Reiseplan des Amerikaners. Dass Wolfowitz in Tikrit, der Heimatstadt Saddam Husseins, weilte, erfuhr man erst nach seiner Abreise. Doch offensichtlich wussten einige es trotzdem. Eine Stunde nach der Abreise von Wolfowitz wurde über Tikrit ein amerikanischer Hubschrauber abgeschossen. Möglicherweise galt ihm auch dieser Anschlag.

Auch sechs Monate nach der Eroberung Bagdads können sich die Amerikaner im Land nicht sicher fühlen. Auf mehr als Hundert ist die Zahl ihrer Soldaten gestiegen, die nach dem offiziellen Ende des Krieges am 1. Mai gefallen sind. Dass sich die Amerikaner immer mehr vor Anschlägen schützen müssen, dafür gibt die Hauptstadt das beste Beispiel. Der Gebäudekomplex, der die Hotels Palestine und Ishtar-Sheraton umfasst, gleicht dem Raschid: durch Betonblöcke und Drahtrollen ist er weitläufig abgesperrt.

Die an Sheraton, Palestine und Bagdadhotel vorbeiführende Tigrisuferstraße Abu Nawas ist fast ganz für den Verkehr gesperrt. In den Nebenstraßen stauen sich von morgens bis spät abends die Autos. Zu Fuß patrouillieren Amerikaner schon lange nicht mehr. Zu gefährlich. Nur in schweren Humvee-Jeeps, die Gewehre nach außen, auf die Bevölkerung gerichtet, wagen sich die Besatzer in die Hauptstadt.

Schutzlose Besatzer

Doch die Vorsichtsmaßnahmen nutzen nicht viel. Zwar sind immer mehr irakische Polizisten in den Straßen der Hauptstadt zu sehen. Doch Sicherheit haben sie weder den Amerikanern noch ihren eigenen Landsleuten gebracht. Ihnen mangelt es an Autorität, denn hinter ihnen steht keine irakische Regierung, welche von allen anerkannt ist.

Nach neun Uhr abends wagen sich in Bagdad nur noch Wenige auf die Straße. Raubüberfälle und Plünderungen haben auch sechs Monate nach Kriegsende nicht aufgehört. Allein im August sind in Bagdad etwa 700 Menschen durch Verbrechen und Unfälle gestorben. "Es war ein großer Fehler", sagt ein Arzt, der mit Namen nicht genannt werden möchte, "dass die USA die Armee und die Baathpartei auflösten. Viele der alten Kader wären bereit gewesen, mit den USA zu kooperieren".

Schon gar nicht schützen können sich Iraker wie Besatzer vor den Urhebern der Anschläge. Wer Ende August das Hauptquartier der UNO im Bagdader Kanalhotel zerstört hat ist bis jetzt nicht bekannt. Auch die Organisatoren der Anschläge auf die jordanische und die türkische Botschaft sowie auf das Bagdadhotel, in dem die CIA residiert, sind nie gefasst worden. Die amerikanischen Invasoren machen es sich einfach und sprechen von Terroristen. Wer hinter den Anschlägen steht, kann man nur vermuten: alte Anhänger des Regimes sind ebenso darunter wie Mitglieder von Osama bin Ladens al-Qaida.

Für Hodda, Fatma und Mahmut war es ein glücklicher Beginn des Fastenmonats Ramadan. Freilich denken nicht alle Bagdader Bürger so. Wie immer an den Arbeitstagen hatten sich auch an diesem Morgen viele an den Betonbarrieren des Raschid-Hotels eingefunden. Lauter Menschen, die Arbeit suchen - auch bei den Amerikanern. Unter ihnen Mervit, eine 24-jährige Frau.

Sie spricht ein einigermaßen gutes Englisch und wollte bei den Besatzern als Übersetzerin anheuern. Erst als sie kurz nach acht Uhr morgens, also zwei Stunden nach dem Anschlag, am Raschid ankam, erfuhr sie vom Attentat auf Wolfowitz. "Von diesem Widerstand halte ich nicht viel", sagt Mervit. "Er verhindert, dass wir ein normales Leben führen können."

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