Nach Clausnitz und Bautzen:"Es stimmt, Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus"

Sondersitzung Landtag Sachsen

Offensichtlich etwas erschöpft: Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bei der Sondersitzung des sächsischen Landtags

(Foto: dpa)
  • Der sächsische Ministerpräsident Tillich gesteht in einer Sondersitzung des Landtages ein, dass auch er den Rechtsextremismus in dem Bundesland unterschätzt habe.
  • Es gelte, gegen "innere Verirrung und Verrohung" der Fremdenfeinde vorzugehen, sagt Tillich.
  • Das klingt entschlossen - doch der Koalitionspartner SPD und die Opposition vermissen Taten.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Stanislaw Tillich sieht müde aus, schon von weitem. Der Blick von der Besuchertribüne trügt nicht, er wird bestätigt durch den Fotografen, der Sachsens Ministerpräsidenten klackernd auf dem Weg zum Redepult begleitet - und der sich dann, zur Kontrolle der eigenen Arbeit, Tillich auf dem Display der Kamera noch einmal heranzoomt: Müdigkeit, eindeutig. Nach den Gründen dafür muss man nicht lange suchen.

Gut eine Woche liegen die fremdenfeindlichen Vorfälle in Clausnitz und Bautzen nun zurück, der Sächsische Landtag ist deswegen am Montag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Stanislaw Tillich (CDU) hat sich in der Zwischenzeit oft erklärt. Am vergangenen Montag hatte er gleich vier großen TV-Nachrichtensendungen Interviews gegeben, am Freitag erläuterte er sein Land im Bundesrat, an diesem Montag nun im Dresdner Parlament mit einer Regierungserklärung. Da kommt einiges an Worten und Sätzen und Gedanken zusammen, im direkten Vergleich lässt sich eine Entwicklung erkennen.

Am Freitag, bei der Sitzung des Bundesrates, sagte Tillich: "Es stimmt, Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus und es ist größer, als es der ein oder andere bisher wahrhaben wollte." An diesem Montag nun, im Sächsischen Landtag, sagt er: "Es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus und es ist größer, als viele - ich sage ehrlich: auch ich - wahrhaben wollten." Das klingt wie ein kleiner Unterschied, aus sächsischer Perspektive ist es eine bedeutsame Korrektur, ein Eingeständnis.

Der CDU selbst und mit ihr auch Stanislaw Tillich ist immer wieder vorgehalten worden, sie verschweige das Problem Sachsens mit rechter Gewalt und verschleppe es auf diese Weise. Da scheinen selbstverständliche Aussagen in Tillichs Rede auf einmal bemerkenswert: "Ohne Wenn und Aber: Sachsen sagt Nein zu Fremdenfeindlichkeit."

Die Ereignisse in Clausnitz und Bautzen "erschüttern mich als Christ und Politiker maßlos", sagt der Ministerpräsident. Es gelte, gegen die "innere Verirrung und Verrohung" Rechtsradikaler anzugehen, und damit sind auch jene gemeint, die sich bislang in Sachsen zurückgehalten haben.

"Axt an unsere Grund- und Werteordnung"

Zu viele Menschen, sagt Tillich, stünden daneben oder sympathisierten auf dem Sofa, wenn Parolen erklingen oder Schlimmeres passiert: "Mit einem schweigsamen Dulden, mit einem zustimmenden Nicken oder dem schnellen 'Gefällt mir' auf Facebook legen auch sie die Axt an unsere Grund- und Werteordnung."

Diese formulierte Entschlossenheit findet Applaus bei der CDU, auch bei der mitregierenden SPD. Rico Gebhardt, Fraktionschef der Linkspartei im Landtag, stimmt nicht mit ein. Vielmehr erinnert er daran, dass Tillich nicht zum ersten Mal mit einer entschlossenen Rede im Landtag aufgetreten ist. Gebhardt lobte Tillich etwa für dessen Worte in der Sondersitzung des Parlaments im vergangenen Herbst nach den Ausschreitungen in Heidenau.

"Arbeitsteilung" in Sachen Fremdenfeindlichkeit

Gebhardt erinnert aber auch daran, dass die sächsische CDU schon damals nicht der Entschlossenheit Tillichs gefolgt sei. Zwei Mal habe er Tillich für seine Reden Respekt gezollt, sagt Gebhardt. Nun, nach Clausnitz und Bautzen soll kein weiteres Mal folgen: "Sorry, aber ein drittes Mal tue ich es nicht, denn ich glaube Ihnen kein Wort mehr."

Es sei, sagt Gebhardt, in der sächsischen CDU beim Thema Fremdenfeindlichkeit eine Art Arbeitsteilung zu beobachten: Tillich sei zuständig für die moralische Empörung, sein Fraktionschef und andere hielten dann aber wieder dagegen, als "politisches Rauschmittel für den sächsischen-provinziellen Alltags-Rassismus".

In der Tat beginnt der CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer seine Rede dann wieder einmal mit seinem Stolz auf Sachsen. Kupfer verurteilt den Anschlag in Bautzen, das Johlen von Clausnitz, aber er sagt auch: "Von einer Verharmlosung des Problems in Sachsen, von landesweiter Fremdenfeindlichkeit und einer Normalität des Extremismus, kann keine Rede sein." Auf das mea culpa von Tillich folgt also eine Art "naja" von Kupfer.

"Dem Reden muss ein Handeln folgen"

Auch diese Beobachtung trägt zum Resümee Uwe Wurlitzers bei, dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion. Die sächsische AfD ist natur- und parteigemäß bislang nicht dadurch aufgefallen, die Landesregierung zu einem beherzteren Vorgehen gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit anzutreiben. Und doch wundert sich Wurlitzer nun. Nach Heidenau säßen die Parlamentarier "ein halbes Jahr später wieder hier und hören die deckungsgleichen Vorschläge vom Ministerpräsidenten erneut. Was ist davon bisher umgesetzt worden? Nichts!"

Volkmar Zschocke, Fraktionschef der Grünen, wiederum betont, es gehe nicht darum, "eine überforderte Regierungsspitze sturmreif zu schießen". Aber auch er nimmt auf die von der Opposition beobachtete Arbeitsteilung der CDU Bezug und fragt den Ministerpräsidenten: "Ist das jetzt ein Kurswechsel?" Es wäre unter Umständen einer, insinuiert Zschocke mit einer Forderung, die das Beschwichtigen und Aufrechnen verschiedener Probleme in Sachsen betrifft: "Herr Tillich, widersprechen Sie Ihren Parteifreunden, die damit immer noch nicht aufhören!"

Bleibt der Blick auf die SPD, die ja an der Seite der CDU in Regierungsverantwortung steht - und die sich schon aus Selbstschutz mit den Widersprüchen in der CDU intensiv befasst. Dirk Panter, der SPD-Fraktionschef, hält gefasst eine Rede der Kategorie Staatsräson. Der letzte Satz seines Manuskripts ist fettgedruckt: "Dem Reden muss ein Handeln folgen!" Dieser Auftrag richtet sich vor allem an den Ministerpräsidenten - letztlich aber an die gesamte Regierung, das gesamte Parlament, das ganze Land.

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