Nach Aussetzen des Defizitverfahrens:Union sperrt sich gegen Vorziehen der Steuerreform

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Der hessische Ministerpräsident Koch nannte die Entscheidung der EU-Finanzminister gegen ein Defizitverfahren gegen Deutschland eine "Katastrophe für den Euro". Nach dem Beschluss aus Brüssel werde die Union ihre Verhandlungsposition im Streit um eine vorgezogene Steuerreform noch strikter verteidigen.

Die Bundesregierung habe durch ihr Verhalten gegenüber Brüssel "schwere Schuld auf sich geladen", sagte Koch der "Berliner Zeitung" (Mittwoch). "Wenn der Geist einmal aus der Flasche ist und die Aufweichung des Stabilitätspakts beschlossen, wird man ihn nicht mehr wieder hineinbekommen - mit langfristig schlimmen Folgen", warnte Koch.

Die Entwicklungen in Europa "bestärken mich in der Auffassung, dass es kein Vorziehen der Steuerreform auf Pump und gegen europäisches Recht geben darf", sagte Hessens Ministerpräsident weiter.

Der CDU-Wirtschaftsexperte Reinhard Göhner, der in einer der vom Vermittlungsausschuss eingesetzten Arbeitsgruppen über die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsreformen verhandelt, pflichtete Koch bei. Nach der "Demontage des Stabilitätspakts", die von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) zu verantworten sei, sei der "Weg über weitere Schulden versperrt".

Der notwendige Spielraum für ein Vorziehen der Steuerreform könne nur durch ein Vermindern der Ausgaben an anderer Stelle geschaffen werden, sagte Göhner dem Blatt.

Schröder: Vernünftiger Kompromiss

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) wies die Kritik der Opposition zu Beginn der mehrtägigen Haushaltsberatungen am Dienstag im Bundestag zurück: "Der Pakt funktioniert." Die Empfehlungen der EU-Kommission habe Deutschland nicht akzeptieren können. Eichel bekräftigte die Verpflichtung Deutschlands, 2005 das Defizit wieder unter den in der EU geltenden Grenzwert von 3,0 Prozent zu drücken.

Bei den von der Kommission unterstellten Wachstumsraten, die niedriger seien als die der Bundesregierung, würde das Defizit 2005 bei 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Zugleich kritisierte Eichel die Kommission: Sie habe bereits vor der Abstimmung der Minister ihre Empfehlungen korrigieren müssen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder begrüßte den Beschluss der EU- Finanzminister als "vernünftigen Kompromiss", der bei der Haushaltskonsolidierung helfe. Wer jetzt dagegen "polemisiert", vergehe sich an den Chancen für ein höheres Wachstum 2004.

EZB: Entscheidung birgt ernste Gefahren

Deutsche Wirtschaftsexperten waren geteilter Meinung. HypoVereinsbank-Chefvolkswirt Martin Hüfner sprach im Tagesspiegel (Mittwoch) von einer realen Gefahr für die Stabilität des Euro. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, meinte dagegen in der Frankfurter Rundschau, die Entscheidung öffne die Tür für eine dauerhafte Lösung des Schuldenproblems und er sehe den Pakt daher "eher gestärkt als geschwächt".

Kritik kam vom Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Entscheidung der EU-Finanzminister berge "ernste Gefahren", erklärte der EZB-Rat in Frankfurt und schloss sich ausdrücklich der Sicht der EU-Kommission an. Die Nichteinhaltung des Stabilitätspaktes könne die Glaubwürdigkeit in das Regelwerk und das Vertrauen in solide öffentliche Haushalte untergraben. Auch Bundesbank-Vize Jürgen Stark sprach von einem "herben Schlag gegen die Fundamente der Währungsunion".

Die seit Monaten eskalierende Konfrontation zwischen der Kommission sowie Deutschland und Frankreich spaltete auch die Finanzminister, da sich Spanien, Österreich, die Niederlande und Finnland gegen das Abkommen stellten. Mit einem politischen Kraftakt sammelten die Regierungen in Berlin und Paris dennoch genügend Verbündete, um auch die von der Kommission geforderten harten Sparauflagen abzuschwächen.

Solbes will vor Europäischen Gerichtshof ziehen

Der Entscheidung war in der Nacht eine neunstündige harte Debatte im Kreis der zwölf Euro-Finanzminister vorangegangen. Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm zeigte sich enttäuscht: "Er (der Pakt) funktioniert nicht."

In dem Dauerkonflikt will EU-Kommissar Pedro Solbes nun rechtliche Schritte prüfen, da "der Rat die rechtlichen Regeln missachtet". Das könnte auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der höchsten richterlichen Instanz in der EU, bedeuten. FDP-Chef Guido Westerwelle forderte in der "Rhein-Zeitung" die Kommission zu diesem Schritt auf.

Deutschland und Frankreich werden 2004 zum dritten Mal ein Haushaltsdefizit oberhalb der erlaubten 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) haben. Deutschland hat sich nach Eichels Worten verpflichtet, 2005 wieder den Defizit-Grenzwert einzuhalten. Voraussetzung sei ein deutsches Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent 2004 und von 1,8 Prozent 2005.

Im kommenden Jahr soll Deutschland sein um Konjunktureinflüsse bereinigtes Defizit um 0,6 Prozentpunkte senken, während die Kommission 0,8 Punkte verlangt - dieser Unterschied macht bis zu sechs Milliarden Euro aus. 2005 soll die Verringerung 0,5 Prozentpunkte betragen, sagte Eichel. Das Verfahren könne jederzeit wieder aufgenommen werden, falls Deutschland diese Verpflichtungen nicht einhalte.

Frankreich soll das bereinigte Defizit im kommenden Jahr um 0,8 Prozentpunkte vom BIP vermindern - die Kommission hatte einen ganzen Prozentpunkt gefordert. 2005 sollen es dann 0,6 Prozentpunkte sein. Auch Paris muss 2005 die Drei-Prozent-Grenze wieder einhalten.

Mit einem neuen Schritt im Verfahren wären beide Länder in die Nähe hoher Geldbußen geraten. Es drohen im Falle Deutschlands bis zu zehn Milliarden Euro, im Falle Frankreich bis zu 7,5 Milliarden Euro Strafe.

(sueddeutsche.de/AP/AFP/dpa)

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