Myanmar:Verantwortungslos

Die Welt und ihre Großmächte schauen zu, wie in Myanmar das Militär täglich schwere Verbrechen an der Minderheit der Rohingya verübt. Geopolitische Rivalitäten verhindern ein Eingreifen. Doch die Tatenlosigkeit der Welt könnte sich bald rächen.

Von Arne Perras

Wäre alles nur ein Film, würde man sich vermutlich über das schräge Drehbuch wundern: Da geschehen in einer abgelegenen Ecke der Stadt mehrere Morde. Zeugen haben die Polizei alarmiert und Beschreibungen der Täter geliefert. Aber auf der Wache streiten sich die Polizisten darüber, ob sie überhaupt in ihren Streifenwagen steigen sollen, wo doch der Tatort so weit weg ist, oder ob es nicht sinnvoller wäre, noch ein wenig abzuwarten. Als Zuschauer einer solchen Geschichte würde man diese Polizisten sicherlich für verantwortungslos halten.

Die Lage in Myanmar ist freilich komplizierter, aber es zeigt sich am Umgang der Welt mit dem Staat doch, dass sich Großmächte vieles leisten, was ähnlich verantwortungslos erscheint. In Myanmar führt das Militär einen Vertreibungskrieg gegen die muslimische Minderheit der Rohingya, bekommt aber kaum internationalen Druck zu spüren. Tausende Menschen sind schon gestorben, Hunderttausende geflohen. Aber der UN-Sicherheitsrat, der sich zuständig fühlen müsste, wenn schwerste Verbrechen begangen werden, wirkt wie eine zerstrittene Polizeiwache, die ihren Job nicht machen will.

Man mag darüber streiten, ob die Gewalt gegen die Rohingya als Völkermord einzustufen ist. Vieles spricht dafür. Und täglich kommen weitere Indizien hinzu. Nach allem, was Helfer, Menschenrechtler und Reporter zusammengetragen haben, ergibt sich ein hinreichend klares Bild: Myanmars Armee jagt eine diskriminierte Minderheit aus dem Land und tut alles dafür, dass die Menschen nicht zurückkehren können. Niemand darf hinein in die abgeschotteten Todeszonen. Journalisten, die der Spur des Verbrechens folgen, kommen in den Knast. Eigentlich müsste das längst reichen, um den UN-Sicherheitsrat zu mobilisieren. Doch nicht mal zu gezielten Sanktionen kann sich die Runde durchringen.

Geostrategische Rivalitäten verhindern, dass der Westen, Russland und China gemeinsam Druck machen: Washington fordert Härte, Moskau und Peking sind dagegen. Russland sieht Vorteile darin, die USA zu schwächen. Und China schlüpft in die Rolle des Schutzpatrons für Myanmar, um verlorenen Einfluss gutzumachen. In diesem Patt haben sich die myanmarischen Generäle gut eingerichtet. Für die Opfer bedeutet das: Weder haben sie Aussicht auf Gerechtigkeit, noch auf eine Rückkehr in ihre Heimat.

Viele fragen sich, warum die einstige Freiheitsikone Aung San Suu Kyi nichts gegen die Gewalt unternommen hat. Die Antwort lautet: Sie konnte es nicht, selbst wenn sie es wollte. Sie erscheint nun wahlweise als Komplizin des Militärs oder als kraftlose Demokratin. So oder so ist sie gescheitert, sofern man unterstellt, dass ihr die alten Ideale noch etwas bedeuten, für die sie früher mal gekämpft hat.

Doch die Tatenlosigkeit der Großmächte wird sich noch rächen. Flüchtlingslager sind Brutstätten für Terror. Menschen, die jede Perspektive verloren haben, lassen sich leicht von Extremisten locken; im korrupten Bangladesch kann man Papiere für nahezu jeden besorgen. Der Terror kennt keine Grenzen, er kann überall zuschlagen. Deshalb geht es im Drama um die Rohingya nicht nur um Straflosigkeit und den Versuch einer Armee, schwerste Verbrechen zu vertuschen. Versagt die Weltpolizei im Falle Myanmars, wird diese Krise die Welt unsicherer machen. Wenn nicht morgen, dann übermorgen.

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