Myanmar:Schwertkampf um die Macht

Vor der Wahl schockiert eine blutige Attacke auf Mitstreiter von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi.

Von Arne Perras, Yangon

Draußen auf dem Gang des Krankenhauses herrscht Gedränge, alle rufen aufgeregt durcheinander. Aber wer durch die Tür ins Innere tritt, ist plötzlich von quälender Stille umgeben. Auf dem Bett am Fenster liegt reglos der Abgeordnete Naing Ngan Lin. Sein Kopf ist in einen dicken Verband gehüllt, und auch seine beiden Arme sind eingebunden. Er rührt sich nicht. Der 38-Jährige hat die nächtliche Attacke überlebt, aber keiner weiß an diesem Morgen, wie schlimm die Kopfverletzungen sind. Gleich werden sie ihn hinausrollen zur Computertomografie, seine Frau steht wie gelähmt neben seinem Bett. Ein Freund wedelt dem Verletzten mit einem Fächer Luft zu.

Am Abend zuvor war Naing Ngan Lin noch im Wahlkampf unterwegs, mit seinen Anhängern zog er durch das Viertel Tharkayta im Osten der Wirtschaftsmetropole Yangon, sie sangen und verteilten Flugblätter der "Nationalen Liga für Demokratie" (NLD). Die Partei von Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ist zuversichtlich, dass sie bei den ersten freien nationalen Wahlen nach der Junta-Herrschaft am 8. November die meisten Sitze erobern wird. Auch an diesem Abend waren die NLD-Anhänger in Siegerlaune. Doch dann, gegen halb zehn, tauchten brüllende Gestalten auf und stürzten sich mit Schwertern auf den Wahlkampftross. Bevor sie überwältigt werden konnten, hatten sie Lin bereits an Kopf und Armen getroffen und auch zwei weitere Parteimitglieder verletzt.

Einschüchterungen und Drohungen gab es in diesem Wahlkampf in Myanmar immer wieder - aber keinen so brutalen Angriff wie die Schwertattacke vom Donnerstag. Über das Motiv der Tat wurde bislang nichts bekannt. "Es ist Sache der Polizei, die Hintergründe der Tat umfassend aufzuklären", sagt Han Thar Myint aus der führenden Riege der NLD. "Wir haben einen solchen Angriff in Yangon nicht erwartet." Stundenlang harren NLD-Anhänger im Hospital aus, am Nachmittag kommt Aung San Suu Kyi, um die Verletzten zu besuchen, dann endlich Erleichterung: Kandidat Lin ist außer Lebensgefahr.

Dennoch steigt acht Tage vor der Wahl nun die Nervosität, am Sonntag wird ein großer Auftritt von Aung San Suu Kyi in Yangon erwartet, die Nachricht von der Attacke hat viele im Vorfeld geschockt. Die Facebook-Seite des Informationsministeriums erwähnt die nächtliche Attacke auf die Opposition erst 17 Stunden später und behauptet, der Vorfall habe nichts mit dem Wahlkampf zu tun. Die Regierung zitiert einen namenlosen Zeugen, der angibt, es habe sich um einen persönlichen Streit gehandelt. Ansonsten verbreitet das Ministerium Bilder eines Ausflugs von Präsident Thein Sein, der am Vortag staatliche Entwicklungsprojekte im Delta des Irrawaddy begutachtete und nebenbei zärtlich Kinder am Straßenrand hätschelte.

Ein Gesetz blockiert den Weg der Nobelpreisträgerin auf den Stuhl des Präsidenten

Thein Sein führt die regierende Partei "Union der Solidarität und Entwicklung" (USDP), die aus der Militärjunta hervorgegangen ist und deren Kräfte seit vier Jahren den selbstverordneten Wandel und eine schrittweise Öffnung Myanmars steuern. 2010 hatte die oppositionelle NLD die nationale Abstimmung noch boykottiert, gewann dann allerdings 2012 bei Nachwahlen 43 Mandate im Ober und Unterhaus. Nun zieht Aung San Suu Kyi aus, bei den ersten freien landesweiten Wahlen im Land seit dem Ende der Junta-Herrschaft zu triumphieren.

Allerdings versperrt ihr noch immer eine alte Verfassungsklausel den Weg zur Präsidentschaft. Aus der Ehe mit ihrem britischen Ehemann hat sie zwei Kinder mit ausländischem Pass. Deshalb kann sie nicht Staatsoberhaupt werden. Das immer noch mächtige Militär hat alle Versuche blockiert, diese Sperre zu beseitigen. Wen die NLD ins Amt des Präsidenten heben wird, wenn sie eine Regierung bilden kann, hat die Partei nicht gesagt.

Der Rivale Thein Sein von der USDP muss weit weniger Mandate gewinnen als die NLD, um an der Macht zu bleiben. Denn ein Viertel der Sitze ist für das Militär reserviert, das hinter der USDP steht. "Es ist damit zu rechnen, dass die NLD die meisten Mandate erringt. Ob es für den Machtwechsel reicht, ist aber nicht gewiss", sagt Analyst Thiha Saw in Yangon.

Erst die nächsten Tage dürften zeigen, ob sich hinter der Attacke auf die Parteimitglieder der NLD ein größerer Plan verbirgt, oder ob es ein Einzelfall bleibt. Gegen Aung San Suu Kyi und ihre Partei machten zuletzt auch radikale Mönche Stimmung, die sich als Hüter des Buddhismus in Szene setzen und Hass gegen die Minderheit der Muslime schüren. Sie stützen jetzt die Partei von Präsident Thein Sein, wobei sich Analysten nicht einig sind, ob das die Freiheitsikone Aung San Suu Kyi am 8. November Stimmen kosten wird oder nicht.

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