Myanmar:Ein Coup in der Nacht

Security Forces Surround Myanmar's Ruling Party's Head Quarters

Im Hauptquartier der Regierungspartei USDP in Naypyidaw wechselten die Militärs den Hausherren aus.

(Foto: Getty Images)

Das Militär lässt Soldaten ausschwärmen, um die Führung der von ihr kontrollierten Partei auszuwechseln. Die Elite der konservativen Generäle zeigt, dass sie nicht daran denkt, allzu viel Wandel zuzulassen.

Von Arne Perras, Singapur

Die Spannungen hatten sich über längere Zeit aufgebaut, aber dann ging alles blitzschnell: Das Militär fuhr vor der Parteizentrale auf, Soldaten schwärmten aus und brachten das Gebäude der myanmarischen Regierungspartei Union der Solidarität und Entwicklung (USDP) unter ihre Kontrolle. Es waren Szenen wie bei einem Armeeputsch. Doch tags darauf ließ die Partei über das nächtliche Überraschungskommando kein Wort verlauten. In einer nüchtern abgefassten Stellungnahme hieß es am Donnerstag lediglich, dass der Vorsitzende der USDP ausgewechselt worden sei.

Nach der großen Überraschung gab es am Wochenende also reichlich Stoff zum Grübeln: Was sollte das alles für die Zukunft Myanmars bedeuten? Drei Monate vor den Wahlen am 8. November, die den Übergang in eine demokratische Ära besiegeln sollen, fühlen sich manche nun an alte Zeiten erinnert, als noch die Militärjunta über Land und Leute herrschte. Der nächtliche Vorstoß in der Hauptstadt Naypyidaw spricht kaum für das Einüben demokratischer Verfahren. Eher trug der Einsatz der Sicherheitskräfte die Handschrift des alten Regimes, dessen Kräfte immer noch so viel Macht besitzen, dass sie lenkend in das politische Geschehen eingreifen.

Was genau ist geschehen? Entmachtet wurde ein Mann, von dem viele zuletzt den Eindruck hatten, dass er sich recht geschickt in eine Schlüsselposition für die kommenden Wahlen manövriert hatte: Ex-General Thura Shwe Mann, Parlamentssprecher und bisheriger USDP-Vorsitzender, galt als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat im Lager des Establishments, das seit 2011 den verkündeten Wandel in Myanmar kontrolliert und das Land Schritt für Schritt aus der internationalen Isolation manövriert hat. Sanktionen wurden aufgehoben, die Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Ländern intensiviert. In der maßgeblichen Partei USDP versammeln sich die alten Kräfte, die mal mehr, mal weniger Reformwillen zeigen, vor allem aber nach Wegen suchen, wie sie ihren Einfluss wahren, ihre Pfründen und Privilegien in die neuen Zeiten retten können. Offenbar aber ist Shwe Mann nicht mehr derjenige, auf den sich das konservative Establishment verlassen will.

Präsident Thein Sein hatte den Posten des Parteivorsitzenden einst an diesen Mann abgegeben, doch nun rückt ein anderer, Htay Oo, an Shwe Manns Stelle. Seine Rolle ist noch nicht deutlich geworden, womöglich ist er ernannt worden, um dem Präsidenten für künftige Pläne den Rücken freizuhalten. Analysten deuten die Ereignisse der vergangenen Tage als Sieg der Konservativen und Hardliner. Er könnte bedeuten, dass Präsident Thein Sein, ebenfalls ein Ex-General der Junta, selbst auf eine zweite Amtszeit als Staatschef zusteuert. Der nach außen oft milde wirkende 70-Jährige, der in den vergangenen Jahren um die Welt tourte, um skeptische Staaten vom Reformwillen seiner Regierung zu überzeugen, hat schon signalisiert, dass er für den obersten Posten noch einmal zur Verfügung stehe, falls er denn gefragt werde. Das klingt bescheiden, passt aber nicht zum brachialen Coup der Konservativen von Mittwochnacht, der Thein Sein nun freie Bahn zu geben scheint.

Mit Sicherheit lässt sich dies immer noch nicht sagen, denn die myanmarische Politik ist alles andere als transparent. Wenn Thein Sein seine eigene Position in dieser Woche gestärkt haben sollte, wie viele vermuten, so wäre er jetzt auch der weitaus aussichtsreichste Kandidat für das höchste Staatsamt, wie der Risikoanalyst Christian Lewis von der Eurasia Group sagt.

Denn der Rivale Shwe Mann ist gestürzt. In einer ersten Stellungnahme nach der Entmachtung Shwe Manns äußerte sich Informationsminister Ye Htut im Interview mit Reuters. Er ist zugleich Sprecher Thein Seins und gab als Gründe für den Wechsel an, dass Shwe Mann Kontakte mit rivalisierenden Parteien geknüpft habe. Ins Detail ging er dabei nicht. Auch habe der ausgewechselte Parteivorsitzende umstrittene Gesetzesvorlagen gebilligt und immer wieder versucht, anderen seinen Willen aufzuzwingen, was laut Ye Htut der innerparteilichen Demokratie geschadet habe.

Insider hingegen deuten den Schritt so: Shwe Mann hat einen zu rasanten Wandel vom ehemaligen Junta-Mitglied zum engagierten Reformer hingelegt und damit das mächtige konservative Establishment gegen sich aufgebracht. In diesen Kreisen dominieren das Militär und dessen Günstlinge. Deren Macht spiegelt sich auch in den Verhältnissen im Parlament wider, in der nicht nur die USDP dominiert, sondern die Armee darüber hinaus per Gesetz über 25 Prozent aller Sitze in den beiden Parlamentskammern verfügt. Sie besitzt damit eine Sperrminorität bei Verfassungsänderungen. Im Klartext bedeutet dies, dass die Armee so gut wie alles blockieren kann, was ihr nicht passt.

Besonders schwer könnte wiegen, dass Shwe Mann Kontakte zu Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi geknüpft hatte, was den Kräften der früheren Junta schon seit Längerem missfiel. Die Trägerin des Friedensnobelpreises gilt als äußerst populär, doch sie hat ein Problem: Eine Verfassungsklausel aus Zeiten der Militärdiktatur verbietet ihr eine Kandidatur als Präsidentin, weil sie zwei Söhne mit ausländischem Pass hat. Versuche, diese Regel im Parlament zu beseitigen, sind bislang gescheitert, sodass Aung San Suu Kyi derzeit nicht ganz nach oben kommen kann. Allerdings war bislang denkbar, dass sie eine künftige Präsidentschaft Shwe Manns dazu nützen könnte, doch noch eine Verfassungsänderung zu erwirken, die ihr dann später den Weg ins Präsidentenamt ebnen könnte. Reformerische Kräfte, die auf einen solchen Weg gehofft hatten, sind nun frustriert, manche auch verängstigt.

Anderseits macht es der Coup gegen Shwe Mann den Wählern jetzt leichter, die Lager auseinanderzuhalten. Aung San Suu Kyi führt mit ihrer Partei NLD die demokratischen Kräfte an, während in der Regierungspartei die konservativen Strömungen das Sagen haben. Die Menschen in Myanmar haben also tatsächlich eine Wahl, wenn die Abstimmung am 8. November frei und fair ausgetragen wird.

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