Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Ašner:"Ich habe ein reines Gewissen"

Milivoj Ašner soll während der von Hitler gestützten Ustascha-Diktatur in Kroatien zum Verbrecher geworden sein - er lebt weiter unbehelligt in Österreich, weil er als dement gilt. Am Telefon klingt er alt, aber aufgeräumt.

Dorothea Grass

Vor ein paar Tagen kam Milivoj Ašner ganz groß raus. Auf der Titelseite der britischen Boulevard-Zeitung Sun prangte ein Foto von dem Kroaten und seiner Frau, dazu die Schlagzeile: "We find wanted Nazi at Euro 2008" - ein gesuchter NS-Kriegsverbrecher mitten im EM-Trubel auf den Straßen Klagenfurts.

Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Ašner: Ein Foto von Ašner und seiner Frau auf dem Cover der "Sun" vom 16. Juni

Ein Foto von Ašner und seiner Frau auf dem Cover der "Sun" vom 16. Juni

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Der mittlerweile 95 Jahre alte Ašner steht auf der Liste des Simon Wiesenthal Zentrums der meistgesuchten Naziverbrecher an vierter Stelle. Der Kroate war während des Zweiten Weltkrieges Polizeichef im slawonischen Požega.

In dieser Funktion soll Ašner an Grausamkeiten beteiligt gewesen sein, weshalb Interpol seit 2001 einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat. Die Anschuldigung: Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Denn Ašner war ein Rädchen in einem brutalen Regime: Zwischen 1941 und 1945 regierten in seiner Heimat die faschistischen Ustascha. An der Spitze des "Unabhängigen Staates Kroatien" stand Ante Pavelić, ein Mann, der zunächst Mussolini, dann Hitler nacheiferte.

Vasallenstaat von Hitlers Gnaden

Der Vasallenstaat von Nazi-Gnaden strukturierte sich nach dem Führerprinzip des nationalsozialistischen Deutschlands, ließ auch Konzentrationslager errichten. Wie im "Reich" wurden Rassengesetze erlassen - Grundlage für einen mörderischen Furor, dem bald Hunderttausende - zumeist Serben, Juden, Sinti und Roma - zum Opfer fielen.

Die Sun will inzwischen auch einen Zeitzeugen gefunden haben, der von Milivoj Ašners Verhalten in den grausamen Jahren berichtet. Dusan Jasenovic, ein 88-jähriger Serbe, sagte dem Blatt, er sei sechs Monate lang unter Polizeichef Ašner im Gefängnis gequält worden - wie viele andere auch.

Das heutige Kroatien will Ašner den Prozess machen. Die Sache stockt, weil Ašner im österreichischen Klagenfurt lebt. Und daran wird sich wohl nichts ändern. Denn Österreich weigert sich, Ašner auszuliefern. Begründung: ein ärztliches Attest, das ihm eine schwere Demenz bescheinigt - ein juristisches Verfahren sei ihn nicht zuzumuten.

Genau dies zweifelt der Sun-Bericht an, nach dem Motto: Wer munter auf der EM-Fanmeile flaniert, und später noch ein Interview gibt, ist auch verhandlungsfähig. Ašner selbst wird in dem Blatt mit den Worten zitiert, er würde vor "jedem Gericht erscheinen" - schließlich seien die Vorwürfe unwahr und er habe er nichts zu befürchten.

Ein Schritt, den Efraim Zuroff vehement einfordert. Der Leiter des Jerusalemer Simon Wiesenthal Zentrums sagt im Gespräch mit SZ.de, Ašner habe gewusst, was er dem Sun-Reporter sage. "Dann soll er die Suppe auch auslöffeln!"

Seit Jahren versucht der israelische Historiker den Ustascha-Mann vor Gericht zu bringen. Ein kroatischer Amateurhistoriker hatte Zuroff ein Dossier mit Dokumenten über die mutmaßlichen Verbrechen Milivoj Ašners zukommen lassen. Der strengte beim kroatischen Staat 2004 ein Verfahren gegen Ašner an. Zuroff: "Zwei Tage, nachdem ich bei der kroatischen Justiz die Eröffnung des Verfahrens erreicht hatte, war er weg."

Wochen später spürte Zuroffs Team Ašner auf - in Klagenfurt. Für Zuroff begannen lange Verhandlungen mit Kroatien und der österreichischen Justiz, die in einen Auslieferungsantrag Kroatiens mündeten.

Ašner besitzt laut Behördenangaben nur die kroatische, nicht aber die Staatsangehörigkeit Österreichs, die ihn vor einer Auslieferung bewahren würde. Die austriakische Justiz prüfte den Fall und kam nach Erstellung eines medizinischen Gutachtens zu dem Schluss, dass Ašner nicht ausgeliefert werden kann, da er aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht vernehmungsfähig sei.

Ašner steht im Telefonbuch, allerdings unter einem anderen Namen. Seine Frau nimmt ab und sagt: "Mein Mann ist krank und liegt im Bett." Er kann aber telefonieren.

Ašner kommt ans Telefon, seine Stimme klingt alt, aber klar. Ja, sagt er zu SZ.de, Polizeichef in Požega sei er zu der genannten Zeit gewesen. Seine Aufgaben: "Ich habe für Ordnung, Sicherheit und Gerechtigkeit gesorgt."

Dass zu der "Gerechtigkeit" der Ustascha auch Mord, Raub und Vertreibung gehörten - in Ašners Erinnerung war alles anders. "Das Ustascha-Regime hat niemanden verfolgt."

Efraim Zuroff Simon Wiesenthal Zentrum

Efraim Zuroff, Leiter des Simon Wiesenthal Zentrums

(Foto: Foto: AP)

Und auch die Vorwürfe gegen ihn seien erlogen. Von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er begangen haben soll, wisse er nichts. Er höre zum ersten Mal davon, sagt Ašner. "Ich persönlich habe ein reines Gewissen." Gegen Juden und Zigeuner habe er nichts.

Die Hände gebunden, "bedauerlicherweise"

Doch es sind auch Dokumente erhalten, die den alten Mann schwer belasten. Anordnungen, auf denen die Vertreibung jüdischer Familien aus ihren Häusern befohlen wurde oder die Deportation von Hunderten Serben ins KZ. Ašners Unterschrift steht unter den Papieren. Seine Erklärung heute: "Vielleicht hat das jemand gemacht, der gesagt hat, er sei Ašner".

Während des Telefonats schimmert bisweilen durch, was Ašner von den Serben hält. Er nennt sie "eingefleischte Hasser der Kroaten, die den kroatischen Staat zerstören wollten und die somit nichts in Kroatien verloren hätten". Trotzdem hätte er nichts gegen sie unternommen, "leider".

Eine Anklage habe er nie erhalten, er habe nie einen britischen Journalisten getroffen und auch vorher noch nie von der ganzen Angelegenheit gehört. Vermutlich wird sich nicht mehr viel daran ändern.

Denn das Gutachten, dass ein Tiroler Kriminalpsychiater zum ersten Mal 2006 über den Gesundheitszustand Ašners erstellte, wurde 2007 durch einen Grazer Experten bestätigt und wird seitdem regelmäßig überprüft.

Das jüngste Gutachten zum Zustand Ašners ist gerade mal einen Monat alt. Wieder lautete der Schluss, Ašner sei dement. "Er kann die Tragweite seiner Erklärungen nicht abschätzen", sagt Manfred Herrnhofer, Richter am zuständigen Landesgericht Klagenfurt zu SZ.de. Für eine Vernehmung Ašners sehe er keine Veranlassung.

Überhaupt hielte er es für schwierig, aus den Bildern, Aufnahmen und dem Bericht der Sun irgendwelche psychologischen Schlüsse zu ziehen. "Ich habe die Bilder gesehen und sehe darauf einen alten Mann, der durch Klagenfurt geht und dabei von seiner Frau gestützt wird." Natürlich, sei die Situation insgesamt unbefriedigend für ihn, aber: "Österreich ist nicht Guantanamo. Wir sind ein Rechtsstaat."

"Uns sind bedauerlicherweise die Hände gebunden", sagt Thomas Geiblinger, Sprecher von Justizministerin Maria Berger (SPÖ), zu SZ.de.

Die Causa Ašner schlug inzwischen schon hohe Wellen. Auch der populistische Landeshauptmann von Kärnten gab seine Sicht der Dinge zum Besten. Jörg Haider wies im Standard darauf hin, dass Ašner seit Jahren "friedlich bei uns" lebe. Der Gesuchte soll seinen Lebensabend in Österreich verbringen dürfen, forderte der Rechtsaußen, der in der Vergangenheit auch gerne vor SS-Veteranen sprach. Für ihn, so Haider, seien Milivoj Ašner und seine Frau eine "nette Familie".

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