Muslimische NS-Helfer:Hakenkreuz und Halbmond

Mohammed Amin al-Husseini inspiziert bosnische SS, 1944

Amin al-Husseini, Großmufti von Jerusalem, schreitet 1944 die Front bosnischer Freiwilliger der Waffen-SS ab.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Nazis waren voll des Lobes für den Islam. Ihre Sympathie für Muslime war allerdings taktisch - Hitler selbst hatte ein unerquickliches Treffen mit dem Großmufti von Jerusalem.

Von Ronen Steinke

Ein Fez ist ein Hut in der Form eines stumpfen Kegels aus rotem Filz mit Quaste. Für militärische Zwecke ist diese Kopfbedeckung denkbar schlecht geeignet, sie ist weder windschnittig noch wasser- oder gar kugeldicht. Aber sie ermöglicht es, beim muslimischen Gebet den Boden mit der Stirn zu berühren.

Als im November 1943 eine Großlieferung solcher Feze bei der SS eintrifft, dunkelrot, mit schwarzer Troddel oben und metallenem Reichsadler und Totenkopf vorne, da schaltet sich der SS-Führer Heinrich Himmler persönlich ein: Er ist unzufrieden mit dem Design.

Die Feze, so schreibt er seinem Verwaltungschef, müssten "umgefärbt und etwas abgeschnitten werden", erst dann würden sie sich ausreichend von den Hüten der verfeindeten Marokkaner unterscheiden. "Diese Äußerlichkeiten bedeuten für die Festigung der Division ungeheuer viel."

Feld-Imame predigen über Hitler

Die Hüte sind für den Balkan bestimmt. Bei ihrem Einmarsch dort haben die deutschen Truppen muslimische Albaner und Bosnier rekrutiert, Kollaborateure, Helfershelfer für die Jagd auf Titos Partisanen. Und nun bemüht sich die SS auf allerlei Weisen, diese Männer bei Laune zu halten, vor allem aber, in einem kuriosen Gegensatz zu ihrer sonstigen Politik, sie jederzeit an ihre Religion zu erinnern und "die Entwicklung einer islamischen Identität unter ihnen zu befördern", wie die SS selbst sagt.

Die Rekruten werden zum Beispiel angehalten, die muslimischen Gebetszeiten einzuhalten. Feld-Imame predigen zu ihnen über Hitler, "der für Gott, Glauben, Sittlichkeit und eine schönere und gerechtere Ordnung in der Welt kämpft".

Zitat

"Die mohammedanische Religion wäre für uns viel geeigneter als ausgerechnet das Christentum mit seiner schlappen Duldsamkeit" - Adolf Hitler.

So formuliert es der Divisions-Imam der bosnischen Handžar-Einheit der SS - benannt nach dem orientalischen Krummsäbel - in einer festlichen Ansprache im Jahr 1943. Noch im Herbst 1944 zieht die SS ihr 1. Ostmuslimisches Regiment sogar kurz von der Ostfront ab: Sie will mit ihm das Ende des Ramadan am 18. September feiern, mit einem "großen Gottesdienst bei Sonnenaufgang", wie es heißt.

Die Nationalsozialisten und der Islam - dieses Verhältnis lässt einen bis heute etwas befremdet zurück, nicht nur wegen der wohl einmaligen Verneigung der Nazis vor einer fremden Kultur. Das Abzeichen der Turkestanischen Legion der Wehrmacht zeigte den Wahlspruch Biz Alla Bilen, "Allah ist mit uns", und darüber die Shah-i-Sinda-Moschee von Samarkand, einen der heiligsten Orte für die Muslime Zentralasiens.

Die Nazis und der Islam, das ist bis heute aber auch ein gefundenes Fressen für jene sich bürgerlich gebenden Europäer, die anderen die Augen öffnen wollen für eine angeblich "totalitäre" Religion. Dafür wird die Historie immer wieder in Dienst genommen: Aha, Hitler mochte den Islam. Sagt das nicht alles? Oder: Spricht nicht der Umstand, dass die Nazis mit diesem Glauben so gut konnten, ihn als "Männer-Religion" lobten, schon Bände über die Verwandtschaft beider Denkweisen?

"Der Islam ist unserer Weltanschauung sehr ähnlich." Dieser Satz wird dem SS-Führer Himmler zugeschrieben, der am Islam angeblich besonders den Märtyrerkult schätzte, die 72 Jungfrauen ("Diese Sprache versteht der Soldat"), und solche Zitate hat etwa der Münchner Rechtspopulist Michael Stürzenberger, Autor des islamfeindlichen Webportals "Politically Incorrect", schon triumphierend auf Plakate gedruckt, wie zum historischen Beweis für das wahre Gesicht des Islam.

Keine Frage: Wer sucht, der findet leicht Zitate von NS-Größen, die genau wie Himmler tatsächlich den Islam lobten. "Als die Mohammedaner im achten Jahrhundert über Frankreich nach Mitteleuropa vordringen wollten", so zitiert Albert Speer in seinen Memoiren aus einem der berüchtigten Monologe Hitlers, damals bereits eingegraben in seiner Tunnelwelt unter dem brennenden Berlin, "seien sie in der Schlacht von Poitiers zurückgeschlagen worden. Hätten die Araber diese Schlacht gewonnen, wäre die Welt heute mohammedanisch."

Das NS-Regime verordnete Islam-Freundlichkeit

Die sogenannte Islamisierung des Abendlandes also: Hitler fuhr fort zu erklären, dass dies eine schöne Vorstellung sei. "Denn sie hätten damit den germanischen Völkern eine Religion aufgenötigt, die durch ihre Lehre: den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten und alle Völker diesem Glauben zu unterjochen, den Germanen wie auf den Leib geschrieben sei.

Infolge ihrer rassischen Unterlegenheit hätten sich die Eroberer auf die Dauer nicht gegen die in der raueren Natur des Landes aufgewachsenen und kräftigeren Einwohner halten können, sodass schließlich nicht die Araber, sondern die mohammedanisierten Germanen an der Spitze dieses islamischen Weltreiches gestanden hätten."

Hitler pflegte diese Erzählung mit der Betrachtung zu schließen: "Wir haben eben überhaupt das Unglück, eine falsche Religion zu besitzen ... die mohammedanische Religion wäre für uns viel geeigneter als ausgerechnet das Christentum mit seiner schlappen Duldsamkeit."

Allerdings schlugen NS-Ideologen solche Töne erst nach einer Reihe von propagandistischen Wendungen an, die viel über rhetorische Flexibilität und Projektionen der Nazis verraten, aber wenig über das Innenleben einer Religion.

Ihre ostentativ betonte Zuneigung zum Islam wird in gleich zwei neuen, wohltuend nüchternen Büchern in einen größeren Zusammenhang gestellt: Die Analyse des in Detmold aufgewachsenen, in Cambridge lehrenden Historikers David Motadel ("Islam and Nazi Germany's War", Cambridge University Press, 2014, erscheint auf Deutsch 2017 bei Klett-Cotta) ist dabei die bislang umfassendste; Francis R. Nicosias "Nazi Germany and the Arab World" (Cambridge University Press 2015) ist fast gleichzeitig erschienen.

Wer deutscher Muslim war, konnte auch NSDAP-Mitglied werden

In Deutschland, so zeigen beide Autoren, musste die nationalsozialistische Freundlichkeit gegenüber dem Islam von oben herab verordnet werden. So unvermittelt kam sie. Noch in "Mein Kampf" hatte Hitler Araber für rassisch minderwertig erklärt, ihren antikolonialen Kampf gegen Briten und Franzosen nannte er eine "Koalition von Krüppeln". Ausdrücklich hatte der NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg in seinem Buch "Mythus des 20. Jahrhunderts" ihre Unterwerfung unter den Stiefel Europas begrüßt.

Davon rückten die Nazis erst nach ihrer Machtübernahme ab, als sich ihr Blick bereits auf Kriegsvorbereitungen und mögliche Bündnisse an den Rändern Europas richtete. Erst da erschien die muslimische Welt plötzlich als reizvoller Partner gegen die Rivalen Frankreich und England - während zugleich auch dort, in London und Paris, die Regierenden nun heftig um den Orient buhlten und zum Beispiel plötzlich Moscheen finanzierten.

Wer ist der vertrauenswürdigere Partner für die Muslime? Vier der sechs "Freiwilligen"-Legionen, welche die Wehrmacht im Osten aufbieten konnte, waren muslimisch: eine Turkestanische Legion mit 110 000 bis 180 000 Soldaten, eine Kaukasisch-Mohammedanische Legion mit 25 000 bis 38 000 Soldaten, eine Nordkaukasische Legion mit 28 000 sowie eine Wolgatatarische Legion mit 35 000 bis 40 000 Soldaten.

Turkistanischer Freiwilliger, 1944

Wehrmachts-Soldat eines Infanteriebataillons der Turkestanischen Legion an der Ostfront.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Drei muslimische Bataillone nahmen auf deutscher Seite an der Schlacht um Stalingrad teil, sechs an der Verteidigung Berlins. Ob freilich religiöse Motive bei den Rekruten den Ausschlag gaben, bleibt zweifelhaft. Der Historiker David Motadel zitiert NS-Offiziere, die beklagten, wie wenig Interesse die muslimischen "Freiwilligen" an religiösen Unterweisungen zeigten; es waren Kriegsgefangene, welche die deutsche Uniform oft nur anzogen, um am Leben gelassen zu werden.

Die Nationalsozialisten begannen, ideologische Parallelen zu suchen, und sie warnten, die Alliierten hätten ein Interesse, "möglichst viele Muselmannen (sic) töten zu lassen". Das schrieb die SS in Bosnien in einem Pamphlet, das sich an die muslimischen Rekruten richtete, und es ging noch weiter.

Die SS erinnerte daran, dass 232 Millionen Muslime "unter englischer, amerikanischer, französischer und russischer Fremdherrschaft" lebten, sparte zugleich freilich aus, dass den NS-Führern wenig anderes vorschwebte als das. Nur Deutschland achte wirklich den Islam. "Wird Deutschland vernichtet, so schwindet auch die letzte Möglichkeit für Euch Muselmannen, jemals frei zu werden."

Hitler wollte auf keinen Fall Kaffee trinken - auch nicht mit dem Mufti

Ende der Dreißigerjahre mahnte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels die deutsche Presse zur Disziplin angesichts der neuen Propaganda-Sprachregel. Schmähungen gegen Muslime seien fortan unerwünscht.

Auch Berichte über Ähnlichkeiten zwischen dem Islam und dem Judentum, etwa die Speisevorschriften oder die rituelle Beschneidung, seien nunmehr zu unterlassen. Vielmehr sei der Islam als anti-bolschewistisch und antisemitisch zu loben.

Wobei, von "antisemitisch" sprachen die Nazis da schon nicht mehr. Um Araber nicht vor den Kopf zu stoßen, die sich von dem Begriff "semitisch" - der aus der Linguistik stammt - mitgemeint fühlen könnten, verwendete das Regime bereits nur noch den Ausdruck "antijüdisch".

Die Regierungsstelle für "Antisemitische Aktion" wurde in "Antijüdische Aktion" umbenannt, die Zeitungen sollten das Wort Antisemitismus aus ihrem Vokabular streichen. Und im September 1943 stellten die Nazis klar, dass die NSDAP auch "Deutschen, die Anhänger des Islam sind", offenstehe. Ein Partei-Rundschreiben, gezeichnet von Hitlers Parteisekretär Martin Bormann, erklärte, sie könnten "genauso Mitglieder der NSDAP sein wie die Anhänger christlicher Konfessionen."

Religiöse Flexibilität der braunen Truppe

Imam-Gebete für Hitler, religiöse Beschwörungen aus dem Munde von NS-Offizieren: Die Nazis erkannten eine strategische Chance darin, an religiöse Gefühle zu appellieren. Was die Details angeht, hatten sie sich da schon früh flexibel gezeigt. Noch auf der Weihnachtsfeier der NSDAP in München 1925 hatte Hitler erklärt, der Nationalsozialismus sei nichts als "eine praktisches Befolgung der Lehre Christi".

Im Zirkus Krone zu Beginn der Zwanzigerjahre, vor katholischen Kleinbürgern, entwurzelten Soldaten und deklassierten Akademikern, hatte er sich mit Jesus verglichen, wie sein Biograf Volker Ullrich zitiert: "Wir sind zwar klein, aber einst stand auch ein Mann auf in Galiläa, und heute beherrscht seine Lehre die ganze Welt."

Mohammed Amin al-Husseini bei Hitler

Adolf Hitler empfing Ende 1941 den Großmufti von Jerusalem. Der Gelehrte sollte bei den Arabern für NS-Ziele werben.

(Foto: SZ Photo)

Und in einem Brief an Bayerns konservativen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr schrieb der NS-Propagandist Rudolf Heß 1921, Hitler sei "ein selten anständiger, lauterer Charakter, voll tiefer Herzensgüte, religiös, ein guter Katholik." Show? Natürlich, genauso wie die später plötzlich entdeckte Hochachtung für den Islam.

"Die deutsche Propaganda kombinierte den Islam mit antijüdischer Agitation", schreibt der Historiker Motadel, "und dies in einem Ausmaß, das die moderne islamische Welt bisher nicht kannte." Bilder von Juden als Feinden des Islam wurden von den Nazis oft mit Aufforderungen zur Solidarität mit den Palästinensern verbunden.

Als 1941 der palästinensische Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, in Berlin eintraf und als Gast der SS eine "arisierte" Villa bezog, nutzen die Nazis dies als Propaganda-Coup: Der Großmufti sollte in die arabische Welt hinein für NS-Ziele werben.

Als Hitler den Gast am 28. November 1941 in der Reichskanzlei empfing, vermied er es, die ausgestreckte Hand des Muslims anzunehmen, er gab ihm auch keine politischen Zusicherungen, keine Unterstützung für einen Palästinenser-Staat, die der Großmufti sich erhoffte, und später nie wieder eine Audienz.

Tatsache ist, dass die Nazis ihren muslimischen Kollaborateuren überhaupt nirgends politische Wünsche zu erfüllen bereit waren, weder auf dem Balkan noch in Zentralasien noch in den arabischen Ländern, sondern dass sie stets nur nach sich überschneidenden Interessen suchen.

Nach Angaben eines Dolmetschers des Treffens in der Reichskanzlei weigerte sich Hitler, mit seinem Besucher gemäß arabischer Tradition Kaffee zu trinken. Auf den vorsichtigen Hinweis des Dolmetschers hin schnauzte Hitler, er lasse es nicht zu, "dass überhaupt jemand im Hauptquartier Kaffee trinkt", ließ seinen Gast stehen und verschwand wutschnaubend für einige Minuten aus dem Raum. Nach seiner Rückkehr um Höflichkeit bemüht, ließ er dem Großmufti von Jerusalem durch einen SS-Mann ein Glas Limonade bringen.

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