Muslimbrüder gegen Oppositionelle in Kairo:Islamisten schlagen zurück

Muslimbrüder gegen Oppositionelle in Kairo: Erst verliefen die Proteste friedlich, nun eskaliert vor dem Präsidentenpalast in Kairo die Gewalt.

Erst verliefen die Proteste friedlich, nun eskaliert vor dem Präsidentenpalast in Kairo die Gewalt. 

(Foto: AFP)

In Kairo eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mursi, zwei Menschen sollen ums Leben gekommen sein, mehr als 200 wurden verletzt. Friedensnobelpreisträger el-Baradei warnt, das aktuelle Regime sei so repressiv wie das frühere und schüre die Gewalt.

Von Sonja Zekri, Kairo

Einen Tag nach weitgehend friedlichen Massenprotesten vor dem Präsidentenpalast in Kairo ist es zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Mohammed Mursi zu schweren Ausschreitungen gekommen. Am Mittwochnachmittag hatten Islamisten der Muslimbrüder, der Salafisten und anderer Gruppen ein Zeltlager überrannt, das Oppositionelle am Dienstagabend vor dem Palast errichtet hatten. Daraufhin strömten Anhänger des oppositionellen Nasseristen Hamdin Sabbahi zum Ort der Auseinandersetzungen.

Auch Hunderte "Ultras", radikale Fußballfans, kamen zur Unterstützung der Mursi-Gegner zum Palast. Am Abend bewarfen sich Anhänger und Gegner Mursis mit Steinen und Molotow-Cocktails, auch Schüsse sollen gefallen sein. Unbestätigten Berichten zufolge sollen am Abend mindestens zwei Menschen ums Leben gekommen sein, nach Behördenangaben wurden mehr als 200 verletzt. Die Krankenwagen kamen in der Menschenmenge nur mit Mühe voran. In Seitenstraßen wurden Autos angezündet. Auch Schüsse sollen gefallen sein; Anhänger der Muslimbruderschaft behaupteten, sie seien von ihren Gegnern beschossen worden.

Die Muslimbruderschaft hatte ihre Anhänger zum Palast im Kairoer Stadtteil Heliopolis geschickt, um "die Legitimität" des Präsidenten zu schützen, anschließend waren Tausende Islamisten über Hunderte Oppositionelle hergefallen. Die Polizei hatte sich am Dienstagabend aus den anfangs mit Stacheldraht gesicherten Straßen um den Präsidentenpalast in das Gebäude zurückgezogen. Sie griff auch am Mittwoch anfangs nicht ein. Dann jedoch zeigte das ägyptische Fernsehen, wie Einheiten von Sicherheitskräften aufliefen. Unterdessen hatten die Islamisten Protestgraffiti an den Palastwänden gegen Mursis Machterweiterung und den islamistisch gefärbten Verfassungsentwurf übermalt.

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei verurteilte den "bösartigen Angriff auf friedliche Protestierende" und twitterte: "Das Regime führt Ägypten zu Gewalt und Blutvergießen." Auf einer Pressekonferenz der oppositionellen Nationalen Rettungsfront sagte Baradei: "Das aktuelle Regime ist so repressiv wie das frühere."

"Aufstachelung zum Umsturz"

Die offizielle Webseite der Muslimbrüder, Ikhwanweb, beschuldigte hingegen die Opposition, namentlich Baradei und den Nasseristen Hamdin Sabbahi, die Gewalt ausgelöst zu haben: "Wir machen die Oppositionsführer, namentlich Sabbahi und ElBaradei, voll verantwortlich für die Eskalation der Gewalt und die Aufhetzung ihrer Anhänger."

Gegen Baradei, Sabbahi und den einstigen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, gehen die Islamisten auch juristisch vor. Generalstaatsanwalt Talaat Ibrahim Abdullah, von Mursi erst vor kurzem ernannt, lässt gegen sie ermitteln aufgrund der Anzeige eines Ex-Abgeordneten wegen "Aufstachelung zum Umsturz". Eine Anzeige wegen "Spionage für Israel" gegen die Politiker hatte der Generalstaatsanwalt an den Staatssicherheitsdienst übermittelt. Ein Anwalt hatte Anzeige erstattet, die Männer hätten mit der israelischen Ex-Außenministerin Zipi Livni eine Verschwörung geplant, um in Ägypten "interne Krisen" auszulösen.

Die jüngste Eskalation dürfte die ohnehin geringe Erfolgsaussicht des Vermittlungsversuches von Vizepräsident Mahmud Mekki weiter schmälern. Mekki hatte vorgeschlagen, einige umstrittene Artikel der Verfassung im Dialog mit Juristen abzuändern und nach dem Referendum und den vorgesehenen Wahlen in die Verfassung aufzunehmen. Das umstrittene Referendum solle aber wie geplant am 15. Dezember abgehalten werden. Mursi hatte ägyptischen Medien zufolge am Dienstag seinen Palast verlassen, als die Zahl der Protestierenden zu groß wurde. Am Mittwoch kehrte er zurück - nur um angesichts der Ausschreitungen seinen Amtssitz erneut zu verlassen.

Drei Berater des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi haben am Mittwoch aus Protest gegen die Gewalt auf der Straße ihren Rücktritt erklärt. Der Politologe Seif Abdel Fatah verkündete seinen Rücktritt am Abend in einem tränenreichen Interview mit dem TV-Sender Al-Jazeera live. Er erklärte, die komplette Elite des Landes sei eigennützig und habe nicht die Interessen der Bevölkerung im Blick. Die Website des Kairoer Tageszeitung al-Shorouk meldete, auch Eiman al-Sajed und der Fernsehmoderator Amr al-Laithi hätten sich aus dem Beratergremium des Präsidenten zurückgezogen.

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