Murat Kurnaz:Ein Opfer des Staates

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Während Murat Kurnaz viele Jahre amerikanischer Willkür ausgeliefert war, wurde hierzulande mit bürokratischem Eifer sichergestellt, dass er nicht zurückkehren konnte. Beschlossen hat dies ein kleiner Kreis deutscher Spitzenbeamter und Politiker, denen bei der Terrorbekämpfung das Gefühl für Recht und Anstand verloren gegangen ist.

Nicolas Richter

Die rot-grüne Bundesregierung hat Murat Kurnaz jahrelang behandelt wie einen Geächteten, wie einen, den die Gesellschaft ausgestoßen hatte. Dabei wusste sie, dass er in Guantanamo seiner Rechte beraubt, misshandelt und gedemütigt wurde, während schon früh alles für seine Unschuld sprach.

Murat Kurnaz (Foto: Foto: ddp)

Kurnaz hat keinen deutschen Pass, aber er ist in Bremen geboren und aufgewachsen und damit in Deutschland zu Hause. Die ehemalige Regierung in Berlin, die öffentlich immer ihre Sorge über das US-Lager Guantanamo bekundete, hat Kurnaz der amerikanischen Willkür für viele Jahre ausgeliefert und mit bürokratischem Eifer sichergestellt, dass er nicht nach Deutschland zurückkehren konnte.

Beschlossen hat dies ein kleiner Kreis deutscher Spitzenbeamter und Politiker, denen bei der Terrorbekämpfung offenbar das Gefühl für Recht und Anstand verloren gegangen ist. Den Zirkel bildeten Bundesnachrichtendienst-Chef August Hanning, Geheimdienst-Koordinator Ernst Uhrlau und mehrere Staatssekretäre. Politisch verantwortlich waren die Minister Frank-Walter Steinmeier (Kanzleramt) und Otto Schily (Inneres).

Naiv und unschuldig

Die Motive der Sicherheitsexperten lassen sich nur erahnen. Wer weiß, ob sie Kurnaz als gefährlich, abstoßend oder nur lästig empfanden, im Herbst 2002 begannen sie jedenfalls ein minutiös geplantes Abwehrgefecht. Schon damals wussten sie von ihren eigenen Geheimdiensten, dass Kurnaz unschuldig war, ein naiver Jugendlicher, der in Pakistan den Koran studieren wollte und in die Wirren des Krieges gegen den Terror geriet.

Die Vorstellung, dass Kurnaz nach Bremen zurückkehrt, muss für die Beteiligten so unerträglich gewesen sein, dass sie sogar die Amerikaner brüskierten, die Kurnaz damals zurückschicken wollten. Die Deutschen wollten einen potentiellen Störenfried fernhalten, und dazu war jedes Mittel recht. Dass Kurnaz juristisch ein Ausländer war, erleichterte die Argumentation ungemein: Aufenthaltserlaubnis erloschen, Deutschland nicht zuständig. Fortan galt Kurnaz als Problem der Amerikaner - und der Türkei, in der Kurnaz nie zuhause gewesen ist.

Zweifelhafte Verteidigungslinie

In Regierungskreisen heißt es zur Verteidigung Steinmeiers, es habe Ende 2002 gar kein Angebot der Amerikaner gegeben, Kurnaz freizulassen. Und wenn überhaupt, dann sei dies mit unerfüllbaren Bedingungen verknüpft worden. Diese Verteidigungslinie erscheint zweifelhaft:

Wenn die Amerikaner Kurnaz gar nicht zurückschicken wollten, warum hätte die Runde im Kanzleramt dann beschlossen, eine Einreisesperre gegen Kurnaz zu verhängen? Warum hätte das Innenministerium einen Plan entworfen, die Aufenthaltserlaubnis aus seinem Pass zu reißen?

Noch gravierender sind die Vorgänge Ende 2005. Inzwischen hatten selbst die US-Justiz und das Bundeskriminalamt alle Anklagepunkte gegen Kurnaz verworfen, Guantanamo empörte die ganze Welt. Aber die Bundesregierung flehte die Amerikaner geradezu an, neue Verdachtsmomente zu liefern, damit die Deutschen ihm ein Visum verweigern konnten.

Das Kanzleramt unter Steinmeier war laut Akten auch damals noch gegen die Rückkehr des Bremers. Steinmeier mag befürchtet haben, dass dieser Heimkehr peinliche Enthüllungen folgen würden. Vielleicht hatte sich auch nur der Gedanke verselbständigt, Kurnaz müsse draußen bleiben.

Jeder Migrant in Deutschland muss hoffen, nie auf die Hilfe der Bundesregierung angewiesen zu sein. Was jede deutsche Geisel im Ausland zu Recht erwarten kann und auch bekommt, wurde im Zirkel des rot-grünen Sicherheitskabinetts nicht einmal erwogen.

Große Angst vor den Medien

Die Akten offenbaren eine große Angst vor den Medien, die Beamten glaubten, sie müssten dem Boulevard nachweisen, dass sie alles getan hätten, um die Rückkehr des Türken zu verhindern. Ob sich Steinmeier ähnlich ohnmächtig und getrieben fühlte, ist unklar. Aber er hätte erkennen müssen, dass das Kanzleramt offiziell ein Unrechtssystem der Amerikaner kritisierte, deren Opfern die Bundesregierung gleichzeitig nicht helfen wollte.

Doch Steinmeier und seine Zuarbeiter glaubten offenbar, dass sie sich für diese Verachtung gegenüber Kurnaz niemals würden rechtfertigen müssen. Auf solche Gedanken kommen nur Leute, die zu oft in Geheimtreffen sitzen. Es sind dieselben Menschen, die bis heute die Integrität von CIA-Entführungsopfern wie Khaled el-Masri mit Unterstellungen und falschen Behauptungen in Frage stellen.

Sie wissen, dass sie damit in der Bevölkerung verbreitete Ressentiments gegen irgendwie verdächtige Muslime bedienen. Ein politisches Urteil über Frank-Walter Steinmeier ist erst möglich, wenn er vor dem Untersuchungsausschuss ausgesagt hat. Seine politische Verantwortung für den skandalösen Fall Kurnaz aber kann er nicht wegreden. Das wiegt schwer bei einem Minister, der bei Reisen ins Ausland Menschenrechte anmahnen soll. Wenn Steinmeier die Vorwürfe nicht ausräumt, muss er zurücktreten.

Das mag im Halbjahr der EU-Präsidentschaft unpassend sein. Abstruser aber wäre der Schluss, der Fall Kurnaz müsse folgenlos bleiben, weil das Staatsinteresse dies verlange. Unter vermeintlich höherem Staatsinteresse hat ein Unschuldiger fast fünf Jahre lang gelitten.

© SZ vom 23. Januar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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