Müntefering in Gysis Wahlkreis:Der goldene Reiter der SPD

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Straßenwahlkampf mit Müntefering: Während Kanzlerkandidat Steinmeier noch auf der Suche nach der richtigen Wähleransprache ist, zeigt der SPD-Chef im Gysi-Wahlkreis Köpenick, wie es richtig geht.

Thorsten Denkler, Berlin

Die zwei Bronze-Pferde stehen - in Bewegung erstarrt - gesattelt und gezäumt auf dem Köpenicker Schlossplatz. Als hätten sie ihre Reiter gerade freudig abgeworfen. Ein schönes Sinnbild für den Zustand der SPD. Die Partei wirkt derzeit auch irgendwie, als fehlte ihr ein erfahrener Reiter, der das Pferd sicher nach Hause bringen kann.

SPD-Parteichef Franz Müntefering vergangene Woche bei einer Kundgebung in Erfurt. Am Dienstag wagte er sich in den Berliner Bezirk Köpenick - dem Revier von Platzhirsch Gregor Gysi. (Foto: Archiv-Foto: dpa)

Parteichef Franz Müntefering will hier an diesem lauen Sommerabend dem Wahlkampf seines alten Gefolgsmannes Karl-Josef Kajo Wasserhövel die Sporen geben. Der Wahlkampfmanager der SPD will hier gegen Gregor Gysi erstmals ein Direktmandat für den Bundestag gewinnen.

47 Tage vor der Bundestagswahl verharren die Umfragewerte im Keller, Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zündet auch nicht so richtig und die Union will auf Teufel komm' raus keine Angriffsfläche bieten.

Nicht leicht, da Wahlkampf zu führen.

Hier im Berliner Bezirk Köpenick, der außer dem weltbekannten Hauptmann eher wenig zu bieten hat, muss Müntefering einen von unzähligen Praxistests bestehen.

Immerhin: Am Ende seines Auftritts klatschen mehr Leute als am Anfang. Das ist schon viel für die tief verunsicherte SPD.

Nichts von "den Westerwelles und Merkels kaputt machen" lassen

Der Wind auf dem Schlossplatz zerrt an den dünnen Haaren Münteferings. Mit etwas Phantasie wirkt er wie ein Arbeiterführer aus den Anfängen der glorreichen Geschichte der SPD, auf die Müntefering in seinen Reden gern und oft zu sprechen kommt. Der Sozialstaat etwa, den die Sozialdemokraten in den 140 Jahren ihrer Geschichte mühsam erkämpft hätten. Müntefering macht ihn zum Wahlkampfthema wenn er sagt, den lasse er sich nicht von "den Westerwelles und Merkels kaputt machen".

An anderer Stelle will er dafür sorgen, dass die Welt nicht "kaputtgeht", wenn irgendwann mehr als neun Milliarden Menschen auf ihr lebten. Weshalb die Energiefrage nicht gelöst werden könne - zumindest nicht mit Atomkraft. Mit der verhalte es sich so wie mit einem "Flugzeug, das gestartet ist ohne Landebahn. Nur muss das irgendwann wieder runter".

Das verstehen die Leute hier, sie klatschen. Hätte Steinmeier jetzt einen Fachvortrag über Atomspaltung gehalten - das hätten sie eher nicht verstanden.

Von den umstehenden Zuhörern brüllt einer mit schwarzer Sonnbrille, der Müntefering solle ihm "mal ein Konzept sagen, wie man gute Arbeit schafft!". Der Mann gehört erkennbar nicht zur SPD. Er steht mit verschränkten Armen am Rande des Schlossplatzes, als sei er allein mit der Absicht gekommen, nichts, aber auch gar nichts von dem, was Müntefering zu sagen hat, an sich herankommen zu lassen.

Müntefering sagt nur: "Gut, mach ich". Und macht. Redet über die Friseurin im Osten, die nur knapp mehr als drei Euro Stundenlohn bekommt, über den Zeitarbeiter in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen, der mit kaum mehr als zwei Euro pro Stunde auskommen muss und dass das alles "in Ordnung" gebracht werden müsse.

Ein Mindestlohn müsse deshalb her, fordert Müntefering und viele nicken. Eine "Sauerei" sei es, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sage, dass sie für Mindesteinkommen sei, aber nicht sagt, wer es bezahlen soll. Jetzt klatschen die Allermeisten.

Er traut sich etwas

Der Mann mit der Sonnenbrille klatscht nicht. Aber die Arme sind nicht mehr verschränkt vor der Brust. 60 Prozent der Wähler sollen noch unentschieden sein. Würde Müntefering sie alle auf einem Haufen vor sich haben, die SPD hätte wohl tatsächlich noch eine Chance, die Wahl zu gewinnen.

Er traut sich auch - im Gegensatz zu seinem Kanzlerkandidaten - die Bundeskanzlerin anzugreifen. Es gehe nicht, wenn sie sich bedeckt halte, keinen Piep zum Wahlkampf sage, meckert er. Dabei hat Merkel - frisch aus dem Urlaub zurück - am Abend etwas gesagt: Steinmeiers Plan, bis 2020 Vollbeschäftigung zu erreichen, sei unrealistisch.

Darauf scheint Müntefering nur gewartet zu haben. Seine Botschaft: Wir kümmern uns um Arbeitsplätze, die Kanzlerin nicht. Wir nehmen Massenarbeitslosigkeit nicht hin, die Kanzlerin schon. Merkel bietet plötzlich Angriffsfläche, Müntefering nutzt sie.

An diesem Abend wirkt das. Jetzt klatschen auch die, die ganz außen stehen, die SPD-Fernen im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht reicht das, um Kajo Wasserhövel sein Direktmandat gegen Platzhirsch Gregor Gysi gewinnen zu lassen.

Aber Müntefering kann nicht jeden Marktplatz der Republik besuchen. Manchmal muss das eben auch Steinmeier machen. Und das ist vielleicht das größte Problem, das die SPD derzeit hat.

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