Münchner Sicherheitskonferenz zur Krise in Ägypten:Frau Merkels Gespür für die Revolution

Auch wenn der Aufruhr in Ägypten mit der Revolution des Jahres 1989 "nicht vergleichbar" sei, zieht Kanzlerin Angela Merkel bei der Sicherheitskonferenz diese Parallele.

Paul-Anton Krüger und Janek Schmidt

Die Kanzlerin kennt das Gefühl, dass eine Revolution nicht schnell genug gehen kann. "Wir haben damals keinen Tag warten wollen, man wollte die D-Mark sofort haben", erinnert sich Angela Merkel an die Zeit nach dem Fall der Mauer.

The 47th Munich Security Conference

Angela Merkel im Gespräch mit US-Außenministerin Hillary Clinton.

(Foto: Getty Images)

Als am 3. Oktober dann die deutsche Einheit vollzogen wurde, sei sie aber doch ganz froh gewesen, "dass das jemand gut vorbereitet" hat. "Wandel", erläutert Merkel den Teilnehmern der Münchner Sicherheitskonferenz ihr Credo, "Wandel muss gestaltet werden." Sie spricht über Ägypten, "auch wenn das nicht vergleichbar ist" - und doch zieht sie die Parallelen zu 1989, zu der Revolution, die sie miterlebt hat.

"Sie denken da nicht daran, wie eine nachhaltige Struktur aussieht", beschreibt Merkel das - aus ihrer Sicht - zentrale Problem revolutionärer Dynamik. Eine Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesse hält sie denn auch für "falsch". Neue Kräfte brauchten Zeit, sich zu etablieren, fährt die Kanzlerin fort, auch das hat sie nach dem Zusammenbruch der DDR lernen müssen.

Übergang ohne Machtvakuum

"Ich gehörte damals einer neuen Partei an, die all die richtigen Ideen hatte. Und bei der Wahl haben wir satte 0,9 Prozent bekommen." Die Ankündigung von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, im September nicht mehr für eine weitere Amtszeit anzutreten, sei ein erster wichtiger Schritt gewesen. Man müsse nun einen "Übergangsprozess hinkriegen, ohne dass ein Machtvakuum entsteht".

Das ist genau das Problem, das die internationale Diplomatie zurzeit auf Trab hält. Seit Tagen loten vor allem Vertreter der amerikanischen Regierung mit ägyptischen Offiziellen aus, wie ein Machtwechsel organisiert werden kann. Der US-Sondergesandte Frank Wisner wurde gerade erst von Kairo nach Washington zurückbeordert. Was sich herausschält ist eine Lösung, bei der Mubarak zwar vorerst nicht zurücktritt, wie es die Demonstranten fordern, aber de facto die Herrschaft abgeben muss.

Er könnte sich in sein Anwesen im Badeort Scharm el-Scheich zurückziehen, heißt es aus amerikanischen Regierungskreisen. Eine andere Variante wäre, dass sich der 82-Jährige - wie jedes Jahr - zu ärztlichen Untersuchungen nach Deutschland begibt und seinen Aufenthalt dort verlängert. Im vergangenen Frühjahr hatte Mubarak sich in der Heidelberger Universitätsklinik behandeln lassen. Offiziell hieß es, ihm seien die Gallenblase und ein harmloses Geschwür im Verdauungstrakt entfernt worden, doch lag der Präsident sechs Wochen in der Klinik, was Spekulationen über seine Gesundheit befeuerte.

Furcht vor dem Chaos

Auch US-Außenministerin Hillary Clinton warnte in München davor, dass der Wandel im schlechtesten Fall zum Chaos führen könne - und dazu, dass ein autoritäres System von einem anderen abgelöst wird; das Szenario etwa einer Machtübernahme durch das Militär ohne die angestrebten demokratischen Reformen. Es müsse einen Prozess geben, an dem "sowohl jene teilnehmen, die in der derzeitigen Regierung sitzen, als auch ein breiter Querschnitt durch die Gesellschaft", folgert Clinton daraus.

Wahlen alleine seien nicht ausreichend. Es müssten Strukturen geschaffen werden, auf die sich politische Parteien stützen könnten, die Pressefreiheit und den Schutz von Minderheiten garantieren und eine starke Zivilgesellschaft ermöglichen.

Als Partner in Ägypten setzen die westlichen Regierungen dabei offenbar auf Vize-Präsident Omar Suleiman und die Spitzen des Militärs. Mubarak hat seine fast 30-jährige Regentschaft auch dadurch abgesichert, indem er sicherstellte, dass neben ihm niemand so mächtig werden konnte, dass er ihm gefährlich werden würde.

Das Militär ist in fünf selbständige Regionalkommandos aufgeteilt, nur Verteidigungsminister Mohammad Hussein Tantawi und Generalstabschef Sami Anan haben landesweite Kommandogewalt. Und Suleiman beherrscht den wohlorganisierten Geheimdienstapparat. Anders als die Polizei, hat sich das Militär bislang neutral verhalten und war auch nicht beteiligt an der Gewalt gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo und anderen ägyptischen Städten.

Diplomaten ermutigen Suleiman und die Militärspitze, den Dialog mit den verschiedenen Oppositionsgruppen zu suchen, wie eine Öffnung des politischen Systems aussehen könnte und welche Änderungen an der Verfassung vorgenommen werden müssten, um vor der für September geplanten Präsidentenwahl grundlegende demokratische Prinzipien zu verankern. Suleiman hatte jüngst sogar die offiziell verbotene islamistische Muslim-Bruderschaft zu Gesprächen eingeladen, die größte und am besten organisierte Gruppe im breiten Spektrum der Opposition.

Eine Frage des Tons

In den vergangenen Tagen haben sich Suleiman und Premierminister Ahmed Shafik bereits mit einer Gruppe von 30 Intellektuellen, Schriftstellern, Geschäftsleuten und Juristen getroffen, wie die Washington Post berichtet. Auch in diesem Zirkel soll eine gesichtswahrende Lösung besprochen worden sein, die Mubarak den würdevollen Abgang gestatten würde, den er in mehreren Fernsehansprachen für sich gefordert hatte.

Merkel wie Clinton rechtfertigten die offizielle Zurückhaltung des Westens. Niemand könne den Ägyptern vorschreiben, von wem sie geführt werden wollen, heißt es. Und die Kanzlerin weiß aus eigener Erfahrung zu berichten, wie wichtig es ist, den richtigen Ton zu treffen.

"Wenn damals Berater aus dem Westen kamen und uns erklären wollten, was wir zu tun haben, haben wir auf dem Absatz kehrtgemacht". Das, so lautet die unausgesprochene Botschaft, würde im Falle Ägyptens die Gefahr mit sich bringen, dass der Westen seinen ohnehin schon begrenzten Einfluss auf die Entwicklung in dem Land vollends verspielt.

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