Münchner Sicherheitskonferenz:Schatten des Holocaust

Israel fühlt sich durch das iranische Atomprogramm bedroht. Teherans derzeitige Haltung macht einen Militärschlag Israels wahrscheinlicher.

Ronen Bergman

Dr. Ronen Bergman ist politischer Kommentator der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth und Autor von "The Secret War With Iran".

Münchner Sicherheitskonferenz: Israel ist besorgt: Derzeit spricht wenig dafür, dass Druck oder Verhandlungen Teheran von seinem Streben nach Kernwaffen abhalten können.

Israel ist besorgt: Derzeit spricht wenig dafür, dass Druck oder Verhandlungen Teheran von seinem Streben nach Kernwaffen abhalten können.

(Foto: Foto: Reuters)

Vor einiger Zeit bat der Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad den Chef des CIA-Büros in Tel Aviv zu einem dringenden Treffen zu sich nach Hause. Bei einer Begegnung, die er später "das schwierigste Treffen, dass ich je mit einem Repräsentanten eines ausländischen Geheimdienstes hatte" nannte, präsentierte er seinem Besucher die Argumente für einen präemptiven Militärschlag Israels.

Die Situation sei ernst, erklärte er, und die Zeit arbeite gegen Israel. Persönlich bedauere er, dass Israel noch nicht gehandelt habe. Ja, man müsse wohl ein paar Regeln brechen, doch das Ergebnis habe sicherlich positive Auswirkungen, sowohl für die USA als auch für Israel.

Die Antwort des Amerikaners war eine verwirrende Mischung aus Drohungen und Ermutigungen, woraufhin die israelische Regierung den Mossad-Chef nach Washington schickte, um dort vom Außenminister zu erfahren, was die US- Regierung zu tolerieren bereit sei.

Diese Ereignisse trugen sich vor 40 Jahren zu, am Vorabend des Sechstagekriegs. Mossad-Chef war damals Generalmajor Meir Amit, Bürochef der CIA in Tel Aviv war John Hadden, und der Außenminister, den der Mossad-Chef in Washington traf, hieß Robert McNamara. Als Amit McNamara darüber informierte, dass Israel Ägyptens Aufmarsch nicht länger hinnehmen werde, antwortete der Minister: "Ich höre Sie laut und deutlich." Israels Regierung war zufrieden mit McNamaras lakonischer Replik, und startete - zuversichtlich, dass es keine negative Folgen seitens der USA geben würde - seine Militäroffensive. Weniger als eine Woche später befand sich der Nahe Osten im Krieg.

Es steht mehr auf dem Spiel - für Israel und die USA

Heute stellt sich wieder die Frage, wie weit Washington sich einer Militäraktion Israels widersetzen würde - diesmal wegen Irans atomarer Ambitionen. Unbestreitbar steht diesmal mehr auf dem Spiel - für Israel und die USA.

Barack Obama ist nach Einschätzung vieler Beobachter weniger als irgendeiner seiner Vorgänger der jüngeren Zeit gewillt, israelische Aktionen hinzunehmen, die seine außenpolitische Agenda ernsthaft gefährden würden. Daher kann die Entscheidung über einen Angriff für die israelische Regierung eine schwere Belastung für das Verhältnis zu den Verbündeten bedeuten.

Die Kosten, die Israel für eine Fehlkalkulation zu tragen hätte, wären wohl nicht hinnehmbar. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass Israel ohne grünes Licht aus Washington zuschlagen würde. Zurzeit ist es unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit ein Okay gibt; Israel wird also nicht angreifen.

Bedeutung des Holocaust

Das zumindest ist die übliche Sichtweise; israelische Diplomaten und Geheimdienstler berichten, dass die Frage, ob Israel Iran angreifen werde, heutzutage von ihren Gesprächspartnern in Europa kaum noch gestellt werde, während sie zu Regierungszeiten von George W. Bush regelmäßig auf der Tagesordnung stand.

Tatsächlich aber liegt die Sache anders: Obwohl Washingtons Reaktion immer einen wichtigen Platz in den strategischen Abwägungen der israelischen Entscheidungsträger hatte, wären sie diesmal bereit, die Sache allein durchzuziehen und sich den Zorn der Amerikaner zuzuziehen oder sie gar außen vor zu lassen, wenn das Überleben des Landes auf dem Spiel steht. Das war auch der Fall, als die israelische Luftwaffe 1981 den irakischen Atomreaktor außerhalb von Bagdad zerstörte, sehr zum Ärger von Präsident Ronald Reagan.

Diese Wahrheit scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Zu einem gewissen Maße mag das am Wunschdenken insbesondere der europäischen Beobachter liegen. Wichtiger jedoch scheint mir zu sein, dass viele ausländische Beobachter zutiefst unterschätzen, welche Bedeutung in Israel der Erinnerung an den Holocaust als treibender Kraft der politischen Entscheidungsfindung zukommt.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Erinnerung an den Holocaust auf die gegenwärtige Debatte in Israel Einfluss nimmt.

Moralische Verpflichtung des "Nie wieder"

Es ist kaum möglich, den Einfluss zu unterschätzen, den die kollektive Erinnerung an den Holocaust auf die israelische Gesellschaft 65 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz hat. Der Schatten, den die Vernichtung der europäischen Juden wirft, ist im Laufe der Jahre nicht schwächer geworden.

Im Gegenteil: Dadurch, dass neue, bedrohliche Möglichkeiten der physischen Vernichtung entstanden sind, hat die Bedeutung des Holocaust für die moderne israelische Gesellschaft zugenommen; und die Lehren, die aus der Vergangenheit zu ziehen sind, erscheinen heute bedeutsamer als je zuvor .

Moralische Verpflichtung

Der Satz, den man in diesem Zusammenhang am häufigsten hört, ist: "Nie wieder!" Er folgt dem Gedanken, dass die Juden es sich selbst schuldig sind, nie wieder in eine Situation zu geraten, in der ihnen Vernichtung droht und sie der Bedrohung nicht frontal entgegentreten.

In der Debatte in Israel über Irans Atomprogramm obsiegt immer wieder das Argument, dass es eine moralische Verpflichtung gebe, "etwas zu tun" - egal ob am Kabinettstisch in Jerusalem oder in einem Café in Tel Aviv. Für die meisten Israelis steht die lange Liste politischer, strategischer und militärischer Überlegungen, die gegen einen Angriff auf Iran sprechen, zurück hinter den Lehren, die es aus dem Holocaust zu ziehen gilt.

Die Folgerungen aus der "Nie-wieder"-Mentalität lasten schwer auf Israels politischer Führung. Das galt für David Ben-Gurion, Israels ersten Premier. Der gestand einst, es sei sein schlimmster Albtraum gewesen, dass er den verbliebenen europäischen Juden geholfen habe, eine neue Heimat zu finden - und damit riskiert habe, dass die Juden Gefahr laufen, einen zweiten Holocaust zu erleiden.

Diesmal im eigenen Land. Das galt genauso für Premier Menachem Begin, der sich entschied, den irakischen Reaktor zu bombardieren, ohne die USA zu informieren, weil das Überleben Israels in Gefahr war. Ähnliche Überlegungen leiteten Premierminister Ehud Olmert, als er 2007 Syriens Atomanlagen bombardieren ließ, trotz der Warnungen, er könne damit einen Krieg mit Syrien auslösen.

"Abschreckung gegen Verrückte"

Und das Gleiche gilt für Benjamin Netanjahu heute. Es ist kein Zufall, dass Netanjahu öffentlich mehrmals Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad mit Hitler gleichgesetzt hat. Dieser Vergleich mag plakativ wirken, aber die israelische Öffentlichkeit versteht ihn sofort. Netanjahu hat mit Blick auf die Bedrohung Israels durch Iran einen Ton gewählt, der scharf, ja extrem ist.

Die iranischen Drohungen haben großen Einfluss darauf gehabt, wie er seine Pflichten als Anführer des Landes sieht. Israel, davon ist er überzeugt, kann nicht mit einem nuklearen Iran leben. Ein Land, das mehrmals zur Vernichtung Israels aufgerufen hat, darf nicht die Mittel erlangen, dies wahrzumachen. Und wie Netanjahu mir in einem Interview 2007 sagte: Wenn Israel es nicht schaffe, zu verhindern, dass Iran Atomwaffen erlangt, dann müsse sich Israel auf alle Eventualitäten einstellen: "Gegen Verrückte muss Abschreckung absolut und perfekt sein."

Aus diesem Grund werden letztlich weder die Sorgen über Obamas Reaktion, über eine mögliche Vergeltung Irans und seiner Handlanger noch die beispiellosen Schwierigkeiten bei der erfolgreichen Ausführung eines Militärschlages bestimmen, ob Israel handelt. Derzeit sieht es nicht so aus, als werde Iran sein Atomprogramm stoppen - sei es aufgrund von internationalem Druck oder durch verdeckte Operationen.

Daher fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Premierminister Netanjahu darauf verzichtet, den Weg zu gehen, der praktisch die einzig verbleibende Handlungsoption ist - falls Iran die Nuklearfähigkeit erreicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: