Mormonen als Missionare im Ausland:Im Auftrag des Herrn

Facebook verboten, Telefonate nur zwei Mal im Jahr. Trotzdem zieht es viele junge Mormonen ins Ausland, wo sie missionieren und ihren Glauben stärken sollen. So wie einst Mitt Romney, der den Franzosen das Weintrinken austreiben wollte. Ein Besuch im Trainingszentrum in Utah.

Matthias Kolb, Provo

Die drei wichtigsten Worte können die jungen Männer bereits auf Deutsch sagen. "Ich weiß, dass Joseph Smith der Prophet ist", sagt Andrew Bratsman. "Ich weiß, dass der Heilige Geist Bedenken ausräumen kann", erklärt Adam Kent im Rollenspiel seinem Gegenüber. Andrew und Adam sind zwei von sechs Millionen Mormonen in Amerika und wissen deswegen ganz genau, dass Gott 1827 den Engel Moroni auf die Erde schickte, um einem Jungen namens Joseph Smith den Weg zu mehreren goldenen Platten zu weisen, in denen das neue Evangelium stand. Smith übersetzte und veröffentlichte 1827 das "Buch Mormon", dessen Inhalt Adam und Andrew nun in die Welt tragen.

Junge Mormonen als Missionare

Unterwegs im Auftrag des Herrn: Zwei Jahre lang wollen diese jungen Mormonen aus den ganzen USA in Deutschland missionieren. Hilfe bekommen sie dabei von ihrem Lehrer, Bruder Corey (li.), der selber gerade erst von seiner Mission zurückgekehrt ist.

(Foto: Matthias Kolb)

Seit vier Wochen sitzen die beiden sechs Tage die Woche mit fünf weiteren 19-jährigen Mormonen unter einer schwarz-rot-goldenen Flagge in einem Seminarraum im Missionary Training Center in Provo. Die jungen Männer, stets rasiert und ordentlich mit schwarzer Hose, weißem Hemd und Krawatte gekleidet, haben ein Datum im Visier: Am 17. Juli werden sie nach Deutschland fliegen, um dort zwei Jahre für die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" als Missionare zu arbeiten. Aus Andrew wird "Elder Bratsman" - wer als Mann im Ausland für die Mormonen wirbt, wird nur als "Ältester" angeredet. Die Frauen werden "Schwester" gerufen.

Er habe als 18-Jähriger erstmals daran gedacht, auf eine Mission zu gehen, berichtet Andrew, der gerade sein erstes Uni-Jahr beendet hat. "Ich merkte, dass ich sehr glücklich bin und ein großer Teil dieser Zufriedenheit daher kommt, dass ich so viel über das Evangelium und Jesus Christus weiß." Diese Botschaft des Glücks wollte er mit anderen teilen und so schickte er seine Bewerbung gemeinsam mit einer ärztlichen Bestätigung und einem Empfehlungsschreiben seines Bishops, dem Vorsteher seiner Gemeinde (mehr zu den Aufgaben eines Bishops und dem Alltag der Mormonen in dieser Reportage), an die Zentrale der LDS-Kirche in Salt Lake City. Einige Wochen später lag ein Schreiben im Briefkasten: Es geht für zwei Jahre nach Deutschland.

Nach der Mittagspause beginnt der Unterricht mit einem passenden Lied: "Auserwählt, zu dienen unserm König / ja, als Zeugen wählte er uns aus / Weit und breit berichten wir vom Vater / rufen seine Liebe aus." Danach beschäftigt sich die Klasse mit dem Modalverb "können". Bruder Corey, der Lehrer, spricht einen Satz vor, den die Schüler im Chor wiederholen: "Ja, ich kann Wahrheit erkennen."

Zwei Anrufe daheim sind erlaubt - pro Jahr

Der Unterricht ist extrem fokussiert: Die künftigen Missionare sollen auf ihre Aufgabe vorbereitet werden, Kenntnisse über deutsche Kultur oder Politik sind in den neun Wochen Vorbereitung nicht drin. Insgesamt werden am MTC in Provo 52 Sprachen unterrichtet - wen es nach China, Japan oder Taiwan verschlägt, wird zwölf Wochen instruiert. Also folgt auf eine Lektion Grammatik stets ein Rollenspiel: Es gilt, den Deutschen Jens beim zweiten Treffen von seinen Zweifeln zu befreien. Mit Feuereifer und eigenwilliger Grammatik redet Adam alias Elder Kent auf seinen Kameraden alias Jens ein: "Du kannst eine Antwort empfangen, wenn Sie das Evangelium studieren."

Bruder Corey, der Lehrer, korrigiert immer wieder und gibt Tipps, wie sich das skeptische Gegenüber überzeugen lässt. Der 22-Jährige ist vor einem Jahr von seiner Mission in Hamburg, Berlin, Nienburg und Halle an der Saale zurückgekehrt und bereitet die Neulinge auf das anstrengende Leben vor: "Der Wecker klingelt um halb sieben, danach ist eine halbe Stunde Zeit für Duschen und Frühstück. Anschließend lesen wir eine Stunde in den Heiligen Schriften, bevor die Termine des Tages geplant werden. Bevor wir um zehn das Haus verlassen, wird nochmals eine Stunde Deutsch gepaukt."

Zwei Mormonen teilen sich eine Wohnung und sind jeweils für sechs Wochen als Duo unterwegs. Wirklich allein sei man während der Mission nur auf der Toilette, witzeln ehemalige Missionare.

Wenn keine festen Termine ausgemacht wurden, klopfen die jungen Mormonen an Haustüren oder sprechen in der Fußgängerzone Leute an. 60 Minuten Mittagspause sind fest eingeplant, ansonsten seien sie bis um halb zehn "im Auftrag Christi" unterwegs, sagt Bruder Corey. Nach dem Abendessen bleibt noch Zeit fürs Tagebuch, bevor das Licht gegen halb elf gelöscht wird. "Ein Mal pro Woche haben wir den Vorbereitungstag, an dem wir waschen, einkaufen und E-Mails schreiben", berichtet er. Ein Anruf zu Hause sei nur zwei Mal im Jahr gestattet: An Weihnachten und am Muttertag.

"Jede Ablenkung ist schädlich"

Diese Aussicht scheint die sieben 19-Jährigen eher anzuspornen als abzuschrecken. Bereits am MTC gilt die Sechs-Tage-Woche, als Ablenkung steht vor allem Sport auf dem Programm. Wie alle gläubigen Mormonen folgen sie die im "Wort der Weisheit" (auf Deutsch nachlesen) niedergeschriebenen Regeln und verzichten auf Alkohol, Tee und Kaffee ebenso wie auf Zigaretten und Sex vor der Ehe. Doch das kleine Missionarshandbuch, das jeder in der Hemdtasche trägt, hält weitere Grausamkeiten bereit: Fernsehen und Facebook-Nutzung ist ebenso verboten wie Rockmusik. Elder Kent gibt sich stark: "Unsere Aufgabe ist es, für unseren Glauben zu werben. Alles, was uns ablenkt, schadet diesem Ziel."

Sein Kamerad Elder Guymon hat andere Sorgen: "Natürlich wird es uns schwerfallen, von unseren Familien getrennt zu sein." Aber weil ihnen die Kirche so viel bedeute, seien sie zu diesem Opfer bereit, sagt er und blickt in lauter nickende Gesichter. Einige haben jahrelang Zeitungen ausgetragen, um die 10.000 Dollar zu verdienen, die jeder Missionar selbst beisteuern muss.

Die jungen Männer wissen, dass es in Deutschland nur 40.000 Mormonen gibt und die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" auch schon mal mit Scientology verwechselt wird. Er wolle sich kein Ziel setzen, meint Elder Bratsman: "Hier geht es doch um Menschen und nicht um Zahlen." Wenn es gelinge, auch nur einen Menschen zu Christus zu bekehren oder wirklich zum Nachdenken anzuregen, dann habe sich der Einsatz gelohnt.

Bratsman weiß aus den Erzählungen seines Vaters und seiner Onkel, dass die Mission im Ausland helfe, den eigenen Glauben zu festigen. Davon schwärmt auch der momentan berühmteste Mormone: Mitt Romney versuchte in den sechziger Jahren, den Franzosen den Wein auszutreiben. "Während der Mission verschwindet dein Glaube entweder völlig oder er wird tiefer", sagte er rückblickend. Seine Religiosität sei gewachsen und die Zeit in Europa habe ihm geholfen, vom Draufgänger der Elite-Schule Craddock zu einem ausgeglicheneren Menschen zu werden.

Wie viele Mormonen in Utah wollen die künftigen Missionare nur wenig über den Kandidaten der Republikaner sagen. "Die Leute sollen sich wegen seines Programms für oder gegen ihn entscheiden - und nicht wegen seines Glaubens", meint Lehrer Corey. Und Elder Kent ist überzeugt, dass es nicht die Aufgabe eines Politikers sei, für eine Religion zu werben. Am besten sei es, Taten sprechen zu lassen: "Wir Missionare sind die eigentlicher Botschafter: Wenn wir höflich sind und als gute Christen den Menschen helfen, dann erkennen diese, worum es bei unserer Religion geht."

Linktipps: Der Ostafrika-Korrespondent der New York Times hat in einer szenischen Reportage beschrieben, wie junge Mormonen aus Utah in Uganda als Missionare arbeiten. Die gleiche Situation wird in dem Broadway-Musical "Book of Mormon" dargestellt - der Eröffnungssong ist hier nachzuhören.

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