Mordserie an Roma:Wie rechtes Gedankengut Ungarns Politik durchsetzt

Vona, chairman of Hungary's far-right party 'Jobbik' delivers a speech in Budapest

Der Vorsitzende der Jobbik-Partei in Ungarn Gábor Vona

(Foto: REUTERS)

Das Urteil nach der Mordserie an ungarischen Roma zeigt: Die Justiz greift bei rassistisch motivierten Verbrechen durch. Dennoch schwelt in Ungarn eine gefährliche Stimmung aus Rechtsextremismus und Fremdenhass. Ihr wichtigster Protagonist ist der Vorsitzende der Jobbik-Partei, Gábor Vona. Doch auch Ministerpräsident Victor Orbán hat damit zu tun.

Die wichtigsten Aspekte im Überblick

Drei lebenslange Gefängnisstrafen, einmal 13 Jahre - in Budapest sind vier Männer schuldig gesprochen worden, an der Ermordung von sechs ungarischen Roma beteiligt gewesen zu sein. Das Urteil hat politische Signalwirkung, denn es zeigt, dass die Justiz des Landes weiterhin wachsam gegenüber rechtsextremistischen Strömungen ist. Dennoch herrscht in dem EU-Land ein Klima, in dem sich eine schleichende Nationalisierung mit offenem Fremdenhass und Gleichgültigkeit vermischt.

Die wichtigsten Aspekte im Überblick:

Jobbik-Partei: Auf Deutsch übersetzt bedeutet der Parteiname in etwa "Bewegung für ein besseres Ungarn". Im europäischen Parteienspektrum ordnen Politikwissenschaftler Jobbik in die Kategorie der extremen Rechten ein und bescheinigen ihr eine Nähe zu faschistischen Regimen beziehungsweise dem Nationalsozialismus. Die im Januar 2003 gegründete Partei erhielt bei der Wahl 2010 knapp 17 Prozent der Stimmen und zog als drittstärkste Kraft erstmals ins Parlament ein. Ihr Vorsitzender ist der 34-jährige Gábor Vona, der die nationalistische und christliche Ausrichtung der Partei nahezu idealtypisch verkörpert. Zu ihren Gegnern hat Jobbik ungarische Minderheiten wie Juden und Roma auserkoren. Ihre Anhängerschaft rekrutiert die Partei aus dem studentischen Milieu und der schlecht gestellten Landbevölkerung. Sie kann derzeit mit einem stabilen Stimmpotenzial von mehr als zehn Prozent rechnen.

Magyar Gárda - "Ungarische Garde": Die paramilitärische Organisation wurde im Jahr 2007 über einen Trägerverein vom Jobbik-Vorsitzenden Vona gegründet. Uniformiert marschierte sie im gleichen Jahr durch den nahe Budapest gelegenen Ort Tatarszentgyörgy, um dort wohnende Roma einzuschüchtern. Heute muss dieser Aufmarsch als frühes Warnsignal verstanden werden. Denn im Februar 2009 zündeten Rechtsextreme dort das Haus einer Roma-Familie an. Als die Menschen versuchten, vor den Flammen zu fliehen, schossen die Täter auf sie und töteten einen jungen Familienvater und seinen fünfjährigen Sohn - nur zwei Opfer einer rassistischen Mordserie, bei der zwischen November 2008 und August 2009 sechs Menschen sterben mussten. Zwei der an diesem Dienstag zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder waren Mitglieder der "Ungarischen Garde". Die Ankläger warfen den Tätern vor, bewusst Hass und Gewalt gegen die Roma geschürt und die rassistische Botschaft ihrer Anschläge bewusst in großem Stil publik gemacht zu haben.

Der Trägerverein der "Ungarischen Garde" wurde von der ungarischen Justiz im Juli 2009 in letzter Instanz verboten. Seitdem kann das Tragen der Uniform, die an die Kleidung der früheren ungarischen Nazi-Partei der Pfeilkreuzler erinnert, mit einer Geldstrafe von umgerechnet 180 Euro geahndet werden. Das hinderte Vona im Mai 2010 bei seinem ersten Auftritt im Parlament nicht daran, seine Garde-Weste zur Schau zu stellen. Am 9. Juli 2013 bestätigte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verbot der Garde als "bedrohliche Gruppe" von "organisierten Militanten". Jobbik kündigte an, die Entscheidung anzufechten.

Regierung von Ministerpräsident Orbán: Der ungarische Regierungschef Victor Orbán kann sich im Parlament auf eine Zweidrittelmehrheit stützen. Seine Koalition setzt sich aus seiner rechtskonservativen Partei Fidesz und der wesentlich kleineren Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) zusammen. Deren Vorsitzender und Vizepremier Zsolt Semjén fiel im Januar vergangenen Jahres unangenehm auf, als er Verständnis für die Verbrennung einer EU-Flagge durch die Anhänger der rechtsextremen Jobbik zeigte. Doch auch Orbán selbst steht wegen seines Umgangs mit Rechtsradikalen einerseits und Roma andererseits in der Kritik. Seine Regierung verlieh im März 2013 einem Moderator des Fidesz-nahen Senders Echo TV, Ferenc Szaniszlo, den wichtigsten staatlichen Journalistenpreis des Landes. Szaniszlo hatte zuvor antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet und die Minderheit der Roma als "Menschenaffen" diffamiert. Auf dem Jüdischen Weltkongress im Mai 2013 in Budapest verurteilte Orbán zwar Antisemitismus, er versuchte allerdings, das Problem in Ungarn zu relativieren, in dem er die wirtschaftliche Krise in Europa für ein Klima von Frustration, Wut und Hass verantwortlich machte.

Verfassungsänderungen in Ungarn: Auch die Verfassungsänderungen, die Orbán mit seiner Koalition durch das Parlament brachte, lassen eine schleichende Nationalisierung und Machtkonzentration in Ungarn erkennen. Vor allem im Bereich der Kultur und Bildung zeichnet sich eine Diskriminierung von Minderheiten ab. In der neuen Verfassung ist die ungarische Sprache unter besonderen Schutz gestellt, nicht jedoch die Sprachen der Minderheiten wie Roma, Slowaken oder Ungarndeutschen. Orbán entmachtete die Kommunen und verfügte die Schließung von Dorfschulen, die für die Minderheiten zur Pflege ihrer eigenen Sprache und Kultur von großer Bedeutung waren.

Diskriminierung und fehlende Integration von Minderheiten: In einem kürzlich erschienenen Zwischenbericht der EU-Kommission zur Integration von Roma in den vergangenen drei Jahren kam auch Ungarn nicht gut weg. Er kommt zu dem Schluss, dass innerhalb der Europäischen Union vier von fünf Roma in Armut lebten. Nicht nur die Länder mit großer Roma-Bevölkerung müssten mehr tun, um Diskriminierung im Alltag zu beenden. Erst vor wenigen Tagen machte Ungarn in diesem Zusammenhang erneut negative Schlagzeilen. Trotz extremer Hitze hatte die Verwaltung der nordungarischen Stadt Ozd eine veramte Roma-Siedlung von der Wasserversorgung abgeschnitten. Zur Begründung erklärte das Rathaus, die Roma würden Wasser "verschwenden" und dies sei zu teuer für die Stadt. Ozd wird von Fidesz-Politikern verwaltet.

Mit Material von dpa und AFP.

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