Mordfall Regeni:Streit um eine Leiche

Rom wirft Kairo im Fall des in Ägypten zu Tode gefolterten Italieners vor, die Wahrheit zu vertuschen. Dennoch scheut Italien vor einem großen Eklat zurück - Ägypten gilt weiterhin als Stabilisierungsfaktor in Nahost.

Von Oliver Meiler, Rom

Der Tonfall wird gehässiger, die Vorwürfe werden härter. Im Streit um den Mordfall Giulio Regeni nähern sich Italien und Ägypten, zwei enge politische und wirtschaftliche Partner, einem diplomatischen Zerwürfnis. Der italienische Doktorand Regeni hatte für eine wissenschaftliche Forschungsarbeit in Kairo gelebt und war dort am 25. Januar, dem Jahrestag der äyptischen Revolution, verschwunden. Seine Leiche wurde am 3. Februar mit Folterspuren aufgefunden. Die ägyptischen Behörden haben den Mord bisher nicht überzeugend aufgeklärt und liefern widersprüchliche Erkenntnisse.

Der italienische Botschafter in Kairo, Maurizio Massari, reiste nun nach Rom, um sich mit Außenminister Paolo Gentiloni zu beraten. Die Einberufung des eigenen Diplomaten durch Rom erfolgte nach dem enttäuschenden "Gipfeltreffen der Ermittler" beider Länder. Der Rückruf nach Rom gilt als Warnschuss: Die Italiener akzeptieren nicht, was sie eine "Scheinwahrheit" nennen und werfen Kairo vor, Untersuchungsmaterial zurückzuhalten.

Der 28-jährige Regeni aus Triest war am Revolutionstag in Kairo verschwunden. Wenige Tage später fand man ihn tot in einer Grube am Stadtrand der Hauptstadt, gezeichnet von Spuren schwerster Folter. In der Folge bemühten die Behörden immer neue, widersprüchliche Erklärungen. In Italien ist man überzeugt, dass Regeni, der im Umfeld der inoffiziellen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung Ägyptens forschte, von einem der Sicherheitsdienste verschleppt und zu Tode gefoltert wurde.

Kairo hatte unter hohem diplomatischem Druck zugestimmt, dass italienische Fahnder gemeinsam mit den Ägyptern ermitteln. Letzte Woche fand dann der "Gipfel der Ermittler" statt. Die Ägypter hatten angekündigt, eine Delegation werde ein 2000-Seiten-Dossier präsentieren. Dann reisten sechs Ägypter mit "weniger als dreißig Seiten"an. Zudem fehlten die Telefonlisten von zwanzig Personen und die Videos von Überwachungskameras, die Regeni vor seinem Verschwinden in Kairo zeigen sollen.

Kairo argumentiert, die Telefondaten nicht herausgeben zu dürfen, weil die Verfassung die Privatsphäre schütze. Die Bilder der 56 Überwachungskameras in der U-Bahn-Station im Stadtteil Dokki fehlten, weil nur eine der 56 Kameras an dem Tag funktioniert habe. Um sie auszuwerten könne, müsse man sie erst zur Wartung nach Deutschland schicken. Dazu habe bisher die die Zeit gefehlt.

So endete der "Gipfel" im Streit: Rom beorderte seinen Botschafter zurück. Die Ägypter wiederum warfen Rom vor, den Fall zu "politisieren", obschon "98 Prozent" der Forderungen erfüllt seien.

Vor einer Eskalation scheut Rom jedoch zurück. So könnte Italien das Land auf die Liste unsicherer Staaten setzen, was den ägyptischen Tourismus treffen würde. Doch damit würde man auch eigene wirtschaftliche Interessen in Milliardenhöhe gefährden. Außerdem sieht Rom im Kairoer Regime einen Stabilitätsfaktor im instabilen Nahen Osten - trotz aller Vorbehalte im Mordfall Regeni.

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