Mordanschlag in Frankreich:Islam-Debatte, mit Benzin übergossen

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Nach der Mordattacke auf eine Theaterregisseurin ist Frankreich verstört. Die hoch umstrittene Identitätsdebatte wird nun noch hitziger.

Stefan Ulrich

Sie hat in Frankreich die Freiheit gesucht: die Freiheit, Theaterstücke zu schreiben, als Schauspielerin aufzutreten und die Unterdrückung von Frauen zu kritisieren. Nun wurde sie mitten in Paris von Verfolgern eingeholt.

Anhänger von Rayhana demonstrieren vor dem Kulturzentrum "La Maison des Métallos". (Foto: Foto: AFP)

Rayhana, so ihr Künstlername, war vergangene Woche zu einer Aufführung im Kulturzentrum "La Maison des Métallos" unterwegs, als zwei Männer sie überraschten. Sie beschimpfen die 45 Jahre alte, aus Algerien stammende Frau auf Arabisch und überschütteten sie mit Brennspiritus. "Dann sah ich etwas Glühendes, eine Zigarettenkippe", berichtete Rayhana später. "Ich glaubte, gleich in Flammen aufzugehen, und bin losgelaufen." Das nasskalte Wetter rettete sie davor, Feuer zu fangen. Kurz darauf stand sie, noch nach Spiritus riechend, wieder auf der Bühne.

"Hure und Ungläublige"

Frankreich ist verstört durch den Anschlag auf die Künstlerin. Wird jetzt Benzin geschüttet über die leicht entflammbaren Debatten über nationale Identität, Einwanderung, Islam und Burka-Verbot? Zugleich bekommt Rayhana von Politikern, Künstlern und Menschenrechtlern Zuspruch. Man vermutet extremistische Muslime hinter der Attacke. "Wer hätte sich vorstellen können, dass im Frankreich des Jahres 2010 eine Frau nur deshalb angegriffen wird, weil sie ein Theaterstück geschaffen hat, das Islamisten missfällt?", fragt die Internationale Liga für Frauenrechte.

"In meinem Alter verberge ich mich noch, wenn ich rauche" - so heißt das Schauspiel, das bis zum Wochenende im Maison des Métallos aufgeführt wurde. Darin lässt Rayhana neun Frauen in einem Hamam in Algier auftreten. Eine Lehrerin ist dabei, eine Islamistin, eine Masseuse, eine Großmutter. Während die Frauen sich, geschützt vor den Männern, reinigen, vertrauen sie sich einander an. Sie sprechen davon, wie sie in Algerien politisch, sozial und religiös unterdrückt werden.

Rayhana selbst spielt eine schwangere junge Frau, die der eigene Bruder umbringen will. Nun muss sie auch jenseits der Bühnenwelt um ihr Leben bangen. "Ihr bewegendes und starkes Stück wird von der Wirklichkeit auf dramatische Weise illustriert", meint Kulturminister Frédéric Mitterrand.

Rayhana war Anfang Januar schon einmal eingeschüchtert worden. Auch da waren es zwei Männer, die sie auf der Straße anherrschten: "Glaubst du, wir wissen nicht, wer du bist?" Dann beschimpften sie sie als "Hure und Ungläubige". Der Künstlerin muss das alles wie ein Déjà-vu-Erlebnis erscheinen. In Algier geboren, hatte sie in ihrer Heimat Schauspielschulen besucht, in Filmen mitgewirkt, als Regisseurin gearbeitet. Dabei erlebte die Feministin und Kommunistin, wie Kollegen von Extremisten ermordet wurden. Sie selbst lebte lange im Verborgenen, bevor sie im Jahr 2000 Asyl in Frankreich erhielt.

Islamdiskussion statt Identitätsdebatte?

Ihr Theaterstück wurde in Paris auch von vielen Musliminnen besucht. Das mag nicht allen gefallen. Rayhanas Werk sei von einem freimütigen Ton durchzogen und habe womöglich manchen muslimischen Mann verärgert, sagt der Direktor des Maison des Métallos. Das glauben auch viele Politiker. Der kommunistische Abgeordnete André Gerin, ein Vorkämpfer gegen die Burka, sagte, er fühle sich bestärkt im Kampf "gegen eine barbarische Ideologie, die sich heimtückisch in unserem Land ausbreitet".

Die ohnehin gereizte Stimmung ist so durch den Anschlag noch hitziger geworden. Die Regierung unter Nicolas Sarkozy hat vor einigen Wochen eine hoch umstrittene Identitätsdebatte begonnen. Sie argumentiert, das Land müsse sich Klarheit darüber verschaffen, was es heißt, Franzose zu sein und welche Rechte und Pflichten damit einhergehen. Sarkozys Gegner kritisieren, aus der Identitätsdebatte sei eine Islamdiskussion geworden, die Ressentiments entfache und Frankreich spalte.

Tatsächlich werden nationale Identität, Immigration, der Platz des Islam in der Republik, der Umgang mit Fundamentalisten und ein Burka-Verbot im Zusammenhang diskutiert. Von einer "Amalgam" sprechen die Kritiker Sarkozys. Sie finden, diese Themen gehörten getrennt. Allerdings lässt sich schlecht über nationale Identität sprechen, ohne auch zu thematisieren, wie die Nation mit ihren Einwanderern umgeht, was sie ihnen gibt und abverlangt. Hierzu gehört die Frage, wie sich religiös begründete Gebote und Traditionen mit den Regeln der Republik vertragen. Eine solche Diskussion muss keineswegs anti-islamisch sein. Sie kann nicht-muslimischen Bürgern zum Beispiel verständlich machen, warum es widersprüchlich ist, Muslimen würdige Moschee-Bauten zu verweigern und sich zugleich über subversive Gebetsräume in den Banlieus zu empören.

Wie sehr die Franzosen mit all diesen Fragen ringen, zeigt Rayhana selbst. In einem Interview nach dem Anschlag sprach sie sich gegen die staatliche Identitätsdebatte, aber für ein Burka-Verbot aus. Der sozialistische Politiker Manuel Valls hat derweil eine passende Antwort auf den Spiritusanschlag gefunden. Er schlägt vor, Rayhanas Stück in möglichst vielen Banlieus auf die Bühne zu bringen. Es wäre eine Demonstration jener Freiheit, die die Künstlerin in Frankreich sucht.

© SZ vom 18.01.2010/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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