Mord an Oppositionspolitiker in Tunesien:Schüsse auf die Demokratie

Hammami delivers press conference

Der Mord an Oppositionspolitiker Brahmi erschüttert Tunesien: Hamma Hammami, der genau wie Brahmi der nationalarabischen "Volksbewegung" angehört, hat die Bürger aus Protest gegen den Mord zu zivilem Ungehorsam aufgefordert. 

(Foto: dpa)

Mit einem Dutzend Kugeln wird der Oppositionspolitiker Brahmi in seinem Auto niedergestreckt. Die Mörder verwendeten dieselbe Waffe, mit der vor Monaten auch ein linker Oppositionspolitiker getötet wurde. Junge Demonstranten bezichtigen Salafisten der Taten und wollen die Massen gegen die Regierung in Stellung bringen - wenngleich bisher mit wenig Erfolg.

Von Rudolph Chimelli

Nach dem zweiten Mord an einem Oppositionspolitiker binnen fünf Monaten herrschte in Tunesien am Freitag politische Hochspannung. Der Gründer der nationalarabischen "Volksbewegung", der 56-jährige Mohammed Brahmi, war am Donnerstag in seinem Auto mit einem Dutzend Kugeln niedergestreckt worden, nachdem ihn Unbekannte mit einen Telefonanruf aus seinem Haus im nördlichen Hauptstadt-Vorort Ariana gelockt hatten.

Seine Angehörigen sowie laizistische Demonstranten beschuldigten die regierende islamistische Ennahda-Partei und deren Anführer Rachid Ghannouchi, hinter der Tat zu stehen. Dieser erklärte seine Abscheu vor einer terroristischen Tat, welche die Destabilisierung der Republik zum Ziel habe. Präsident Moncef Marzouki sprach von einer zweiten nationalen Katastrophe und kündigte eine Fernsehansprache an, in der er zur Ruhe aufrufen wollte. "Man darf nicht das Spiel jener treiben, die Tunesiens Blut fließen lassen möchten", sagte er zu Le Monde.

Laut Mitteilung von Innenminister Loutfi Ben Jeddou wurde das Opfer mit der selben Waffe getötet, die schon am 6. Februar beim Attentat auf den linken Politiker Chokri Belaïd benutzt worden war, eine Pistole vom Kaliber neun Millimeter. Dies sei das Ergebnis der ballistischen Untersuchungen. Als Täter identifizierte der Minister eine Zelle von 14 Dschihadisten, von denen vier in Haft seien.

Generell richtete sich der Verdacht schon vorher gegen eine Gruppe von Salafisten, die sich Ansar al-Scharia (Helfer der Scharia) nennt. Sie steht unter Führung des 43-jährigen Seifallah Ben Hassine, genannt Abou Ayad, eines Afghanistan-Veteranen, der auch einer der Organisatoren des Angriffs auf die amerikanische Botschaft im September 2012 war. Unter dem Diktator Ben Ali im Gefängnis, wurde Abou Ayad nach der Revolution im Januar 2011 befreit.

"Nieder mit den Salafisten", schrie die Menge

Am Freitag war das Land durch einen Generalstreik weitgehend gelähmt. Die mächtige Gewerkschaft UGTT hatte dazu aufgerufen, der der Ermordete nahe stand. Tunis Air und die meisten internationalen Gesellschaften sagten ihre Flüge nach Tunis ab. Banken und die meisten Geschäfte blieben geschlossen. Die wenigen Cafés, die sonst im Ramadan geöffnet waren, blieben versperrt. Nur Taxis und Straßenbahnen fuhren, letztere bedient von islamistischem Personal - aber meist ohne Passagiere.

Das Opfer des Anschlags stammte aus Sidi Bouzid, wo im Dezember 2010 die Selbstverbrennung eines Erwerbslosen die tunesische Revolution ausgelöst hatte. Dort suchten Demonstranten den Sitz des Gouverneurs in Brand zu setzen. Das örtliche Parteibüro von Ennahda wurde demoliert. "Nieder mit den Finsterlingen, mit Ennahda, mit den Salafisten", schrie die Menge. In der Hauptstadt erwogen die oppositionellen Abgeordneten in der Verfassunggebenden Versammlung ihren kollektiven Rücktritt.

Brahmis Tochter hatte die Mörder gesehen

Die Partei von Brahmi hat wenige Mitglieder. In der Versammlung verfügt sie nur über zwei Mandate. In der ideologischen Gefolgschaft des einstigen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser stehend, hat sie indessen unter Intellektuellen und bei organisierten Arbeitern verhältnismäßig viele Anhänger. Sie verschob die für Freitag angesetzte Beisetzung des Ermordeten auf Samstag, um die Stimmung im Volk nicht weiter anzuheizen. Brahmis Tochter hatte die Mörder gesehen. Laut ihrer Schilderung warteten sie auf einer Vespa auf ihren Vater und eröffneten sofort das Feuer, nachdem dieser sich ans Steuer seines Wagens gesetzt hatte. Brahmi konnte noch in ein Krankenhaus gebracht werden, erlag dort aber eine halbe Stunde später seinen Verletzungen.

Das größere Ziel hinter dem Ermordeten ist zweifellos die demokratische Erneuerung Tunesiens, die schwer in Verzug geraten und krisenanfällig ist. Nach dem Beispiel der ägyptischen Tamarod-Bewegung (Aufruhr) suchen derzeit auch tunesische Jugendliche die Straße in Bewegung zu bringen - wenngleich bisher mit wenig Erfolg.

Trotz des Fastenmonats Ramadan berät die Verfassungsversammlung täglich, um die abschließende Version der Konstitution fertigzustellen. Danach muss freilich noch jeder einzelne Artikel gebilligt werden. Über die Zusammensetzung des Ausschusses, der die nächsten Wahlen ansetzen und überwachen soll, ist weitgehend Einigung erreicht.

Auf die Erwähnung der Scharia, des islamischen Rechts, als Grundlage der Gesetzgebung hat Ennahda längst verzichtet. Frauenrechte und Gleichheit der Religionen wurden zugesichert. Dennoch muss Ennahda einen zermürbenden Krieg an zwei Fronten führen: Laizisten werfen ihr schleichende Islamisierung der Gesellschaft vor. Unter ihren enttäuschten konservativen Anhängern werben die Salafisten.

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