Mord an Marwa El-Sherbini in Dresden:Blanker Hass

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder Alex W. macht der Witwer des Opfers seine beklemmende Zeugenaussage. Die Verteidigung schiebt die Schuld auf den Islam.

Hans Holzhaider, Dresden

Elwy Ali Okaz sieht wirklich nicht besonders ausländisch aus. Er ist ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurzgeschorenen Haaren und einer randlosen Brille - er sieht aus, wie man sich einen Doktoranden am Max-Planck-Institut vorstellt. Er geht an Krücken; er leidet noch immer an den Folgen des Vorfalls, über den jetzt vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden verhandelt wird.

Mord an Marwa El-Sherbini in Dresden: Der Angeklagte Alex W. wird in den Gerichtssaal geführt - und zeigt sich zu Prozessbeginn nicht kooperationsbereit.

Der Angeklagte Alex W. wird in den Gerichtssaal geführt - und zeigt sich zu Prozessbeginn nicht kooperationsbereit.

(Foto: Foto: dpa)

Elwy Ali Okaz, 32, ist der Ehemann - jetzt muss man sagen: der Witwer - von Marwa el-Sherbini, der Ägypterin, die am 1. Juli in diesem selben Gerichtsgebäude von dem 28-jährigen Russlanddeutschen Alex W. mit 16 Messerstichen getötet wurde.

Birgit Wiegand, die Vorsitzende Richterin, beginnt ihre Befragung mit aller Vorsicht. Dies ist kein leichter Tag für Elwy Ali Okaz. Für ihn wiederholt sich die Geschichte: Wieder in diesem Gebäude, wieder eine Zeugenaussage, wieder von Angesicht zu Angesicht mit dem Mann, der sein Leben aus der Bahn geworfen hat. Aber er meistert die Situation mit bemerkenswerter Fassung. Vielleicht verrät nur der Umstand, dass er, obwohl er gut deutsch spricht, lieber in arabischer Sprache aussagt, wie aufgewühlt er tatsächlich ist.

Im Video: Vor dem Landgericht in Dresden hat das Verfahren gegen den Mann begonnen, der bei einer vorherigen Verhandlung eine Zeugin getötet hatte. Weitere Videos finden Sie hier

Elwy Ali Okaz kam 2004 nach Deutschland, um sein Biologiestudium aufzunehmen. 2005 kam die Ehefrau Marwa nach, ihr Sohn Mustafa wurde hier geboren. Seit Ende 2008 arbeitete sie als Apothekenhelferin. Das Kopftuch trug sie nicht, weil sie unterdrückt wurde, sondern aus religiöser Überzeugung. Die Familie fühlte sich wohl in Dresden, Elwy und Marwa wollten bleiben, auch wenn der Ehemann seine Promotion beendet hätte.

Aber dann kam der Tag auf dem Spielplatz, ganz in der Nähe ihrer Wohnung. "Da saß ein Mann auf der Schaukel, und Mustafa wollte unbedingt schaukeln", berichtet Elwy Ali Okaz. "Sie hat den Mann gefragt, ob er nicht die Schaukel freigeben könnte. Dann hat er gesagt, er will sie und das Kind hier nicht sehen, sie hätten kein Recht, hier zu leben, und wenn der Junge auf die Schaukel käme, dann würde er ihn schaukeln, bis er tot ist." Der Mann habe Marwa als Islamistin und Terroristin beschimpft.

Ein anderer Vater habe Marwa sein Handy gegeben, damit sie die Polizei anrufen konnte. Die Polizisten hätten seine Frau dann nach Hause gefahren. Anzeige hätten sie nicht erstattet, das müsse wohl die Polizei selbst in die Wege geleitet haben.

Dann kam die Verhandlung vor dem Amtsgericht, Alex W. wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, er legte Berufung ein, und am 1. Juli wurde der Fall vor dem Landgericht verhandelt. Marwa el-Sherbini war für 10 Uhr als Zeugin geladen, ihr Ehemann begleitete sie, auch der kleine Mustafa war dabei, er war ein bisschen krank und konnte an diesem Tag nicht in den Kindergarten gehen. "Wir saßen auf dem Flur, da kam der Angeklagte heraus, ging an uns vorbei und starrte uns an", sagt Elwy Ali Okaz. "Fühlten Sie sich bedroht", fragt Staatsanwalt Frank Heinrich. "Nein", sagt der Zeuge, "es war unangenehm, aber wir fühlten uns völlig sicher."

Marwa machte ihre Aussage, Elwy saß mit Mustafa im Zuschauerraum. Dann wurde Marwa entlassen, sie ging zur Tür, Elwy und Mustafa folgten ihr. In diesem Augenblick geschah es. Alex W. sprang auf und griff die Ägypterin an. "Ich habe das Messer zuerst nicht gesehen", sagt ihr Ehemann, "ich dachte, er schlägt sie. Sie fiel hin, ich wollte ihr zu Hilfe kommen, da ging er auf mich los. In dem Augenblick sah ich das Messer."

Einmaliger Sicherheitsaufwand

Elwy wurde von mehreren Stichen getroffen, in den Unterkiefer, in den Hals, in die Brust. Irgendjemand muss die Tür geöffnet haben - "ich stolperte nach draußen, kam aber sofort zurück, der Angeklagte kam mir entgegen. Ich versuchte, nach dem Messer zu greifen." Dann kamen plötzlich mehrere Menschen in den Saal, "ich sah einen mit einer Pistole, sie war auf mich gerichtet, dann fiel ein Schuss. Ich stolperte noch einige Schritte, dann wurde ich bewusstlos." Der Mann, der den Schuss abgegeben hatte, war ein Bundespolizist. In der Anklage heißt es, er habe Elwy Ali Okaz irrtümlich für den Angreifer gehalten.

Noch nie hat das Landgericht Dresden einen solchen Sicherheitsaufwand gesehen wie vor diesem Prozess. Das Gerichtsgebäude ist weitläufig abgeriegelt, Straßen wurden gesperrt, alle anderen Verhandlungen in andere Gebäude verlegt. Die Kontrollen sind akribisch, sogar die Anwälte müssen sich durchsuchen lassen, einer beschwert sich, er habe "die Augen der Scharfschützen förmlich auf der Haut gespürt".

"Wir sind hier keine Staatsschutzkammer", betont die Vorsitzende Richterin, aber ob sie will oder nicht, der Fall ist ein Politikum. Der ägyptische Botschafter sitzt im Publikum, auch Ayub Köhler, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Unter den acht Anwälten, die den Ehemann, den Bruder und die Eltern von Marwa el-Sherbini als Nebenkläger vertreten, sind zwei französische und ein ägyptischer Advokat - EU-Recht und eine erst vor drei Wochen in Kraft getretene Änderung des Opferschutzgesetzes machen das möglich.

Der Verteidiger erntet Kopfschütteln

Der Angeklagte, dem die Staatsanwaltschaft Mord aus "blankem Hass" vorwirft, bleibt nahezu unsichtbar. An Händen und Füßen gefesselt wird er in den Saal geführt, dann duckt er sich zwischen seinen Verteidigern, den Rücken zum Publikum. Er hat eine Sonnenbrille aufgesetzt, eine Kapuze über den Kopf gezogen. Erst als die Richterin ihm ein Ordnungsgeld androht, zieht er sie ab. Die Sonnenbrille behält er trotz mehrfacher Ermahnungen auf, das kostet ihn 50 Euro.

Auf die Fragen nach seinen Personalien schweigt er, gutes Zureden der Vorsitzenden bewegt ihn endlich, die Angaben wenigstens abzunicken: Alex W., geboren am 12. November 1980 in Perm in Russland. Deutscher Staatsangehöriger, ledig. Auf die Frage, ob er leibliche Kinder habe, lässt er sich nicht einmal ein Kopfnicken abringen. Richterin Wiegand kündigt an, zur Klärung dieser Frage die Familienangehörigen zu laden.

Dass die beiden Verteidiger Michael Sturm und Veikko Bartel den Antrag stellen, die drei Berufsrichter wegen Befangenheit abzulehnen, hat nur protokollarischen Wert - der Antrag wurde schon einmal im Vorfeld gestellt und vom Oberlandesgericht abgewiesen. Aber der Rechtsanwalt Bartel hält zur Begründung eine lange Suada, in der er unter anderem fordert, das Gericht müsse untersuchen, "welches Bild der Islam von sich selbst zeichnet beziehungsweise zeichnen lässt", um herauszufinden, "was meinen Mandanten zu einem Menschen gemacht hat, der eine solche Tat begehen kann." Er erntet allgemeines Kopfschütteln.

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