Mord an Buback:Ein "anständiger Mann" als Hassfigur

Vor 30 Jahren hat die RAF den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordet. Damit begann am Gründonnerstag 1977 der Deutsche Herbst.

Heribert Prantl

Am späten Abend erhielt Rudolf Augstein einen Anruf von seinem Bruder Josef, der in Hannover als Rechtsanwalt und Notar amtierte: Die Spiegel-Redaktion sei von der Polizei besetzt und gegen den Spiegel-Herausgeber liege ein Haftbefehl vor; "Herr des Verfahrens" sei der Erste Staatsanwalt Siegfried Buback, "ein anständiger Mann".

Generalbundesanwalt Siegfried Buback

Siegfried Buback

(Foto: Foto: AP)

In seinen Erinnerungen an die Spiegel-Affäre von 1962 urteilte dann auch Rudolf Augstein selbst so: "Das war er." Siegfried Buback, ein anständiger Mann: ein großer, fülliger, jovialer Herr, der die Ordnung in seiner Welt liebte, der in Schaubildern an der Wand den Stand der Ermittlungen einzeichnete und eine stattliche Briefmarkensammlung pflegte.

Der Unanständige in dieser Spiegel-Affäre, die nun fast fünfundvierzig Jahre zurückliegt, war nicht Buback, sondern der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der eine eher harmlose Titelgeschichte ("Bedingt abwehrbereit") von Conrad Ahlers, dem späteren Regierungssprecher Willy Brandts, zum Anlass nehmen wollte, den Spiegel zu erledigen. Denn der Spiegel galt dem CSU-Mann, seines legendären Archivs wegen, als "die Gestapo im Deutschland unserer Tage".

"Nur bedingt abwehrbereit"

Als der Verteidigungsminister Strauß den in Spanien urlaubenden Spiegel-Redakteur Ahlers dort durch einen Militärattaché rechtswidrig festnehmen ließ, bemerkte Buback zu Augstein fast erschrocken: "Das waren nicht wir!"

Zwischen den Spiegel-Leuten und Buback, der in der besetzten Hamburger Redaktion vier Wochen lang, wie Verlagsdirektor Hans Detlev Becker notierte, "bis zum Rand physischer Erschöpfung'' arbeitete, entwickelte sich ein halb respektvolles, halb gemütliches Gegeneinander. Dem Untersuchungshäftling Augstein brachte Buback Bier in die Zelle.

Und als das ebenso spektakuläre wie unnütze Ermittlungsverfahren, das "Landesverrat" auf den Aktendeckeln stehen hatte, eingestellt und Augstein aus der Haft entlassen worden war, lud dieser seinen Verfolger zum Mittagessen ein. Buback telegraphierte mit der ihm gelegentlich eigenen Schlitzohrigkeit zurück: "Bin nur noch bedingt abwehrbereit".

Der in der Öffentlichkeit bis dahin völlig unbekannte Siegfried Buback, Erster Staatsanwalt - ein niedriger Dienstrang, der heute "Staatsanwalt als Gruppenleiter" heißt - kam 1962 über Nacht bundesweit in die Schlagzeilen. Buback war ein juristisches Arbeitstier, aber eines ohne Parteibuch. Vielleicht musste er sich deshalb länger als die Kollegen in unteren Chargen bewähren.

Es schien ihm nichts auszumachen, er war ein Mann der juristischen Front, kein Aktenhengst. Er war 1959 von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Celle zur Bundesanwaltschaft gekommen, wurde aber erst 1971, mit 51 Jahren, zum Bundesanwalt befördert - obwohl er spektakuläre Verfahren respektabel bewältigt hatte: 1969 etwa fasste er nach monatelanger, zunächst hoffnungslos erscheinender Suche die beiden Soldatenmörder von Lebach.

Statt vom Karlsruher Dienstzimmer aus dirigierte er seinen Einsatzstab am Tatort, kampierte auf einem Feldbett in der Lebacher Kaserne und ging mit den Hundeführern Streife, als das Gerücht aufkam, die Täter planten einen zweiten Anschlag. So etwas gefiel Buback besser als die juristische Akrobatik des Revisionsrechts.

Chef der Bundesanwaltschaft, Generalbundesanwalt also und damit alsbald öffentliche Hassfigur, wurde Buback 1974, im Alter von 54 Jahren, eher aus Zufall: Als eine Reihe potentieller Kandidaten abgelehnt hatte, rückte Buback ins politische Blickfeld, weil er damals oft in Bonn zu tun hatte - er führte die Ermittlungen gegen den CDU-Abgeordneten Julius Steiner, der mit der Stasi zusammengearbeitet hatte (und sich 1972, beim gescheiterten Misstrauensvotum der Union gegen Willy Brandt, der Stimme enthielt). Und schon am ersten Arbeitstag als Generalbundesanwalt, am 1. Mai 1974 um zehn Uhr, traf er sich mit Horst Herold, dem - heute legendären - damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamts.

Es war dies die Geburtsstunde der siamesischen Zwillinge der Anti-RAF: Buback, der juristische Ankläger, kein Mann der vorsichtigen Reserve, ein Mann der rustikalen Unerschrockenheit; "Angst kann ich mir nicht leisten", sagte er, und verzichtete regelmäßig auf Begleitschutz.

Und Doktor Herold, gelernter Staatsanwalt auch er, Denker und Kriminalist, Vater der Rasterfahndung, angeblich computerwahnsinnig - weil er die Möglichkeiten des Computers schon zu einem Zeitpunkt erkannte und für die Polizei nutzte, als die späteren Jungunternehmer, die mit der Informatik Millionen verdienten, noch nicht einmal geboren waren.

Die RAF war die Front

In diesem ersten Gespräch der beiden ging es allerdings noch um etwas anderes: um die hochheiklen Ermittlungen gegen den Spion Günter Guillaume und den Verdacht, er könne von seinen DDR-Auftraggebern auch darauf angesetzt gewesen sein, die Intimverhältnisse des Kanzlers auszukundschaften. Die beiden Herren waren sich leidlich einig: Die Privatsphäre Willy Brandts müsse geachtet, der Vorgang aber als Bestandteil einer Straftat aufgeklärt werden.

Während des Gesprächs entfuhr Herold die Wendung: "Eines sollten Sie beachten, Buback..." Und Buback retournierte die etwas despektierliche Anrede sofort: "Sie müssen wissen, Herold..." Bei dieser Anrede blieb es, geduzt haben sich die beiden nie. Sie wussten fast nichts von den Lebensgewohnheiten des anderen, sie haben sich nie danach gefragt, es war ihnen unwichtig, es gab nichts Privates zwischen ihnen, und trotzdem waren sie Freunde.

Bubacks Frau lernte Herold erst am Grab ihres Mannes kennen. Buback und Herold: Es war eine Frontsoldatenkameradschaft; die Rote Armee Fraktion war die Front. In fast täglich spätabendlichen, oft stundenlangen Telefonaten, war allein das wichtig, was Herold sehr viel später einmal so beschrieb: "Wir hatten das Verbrechen als gemeinsamen Gegner und den Auftrag, es zu bekämpfen, und waren vereint und zugleich vereinsamt durch das Wissen um heraufziehende Gefahren, die wir gegenüber der politischen Führung als noch nicht Seiendes, erst noch Werdendes nur in undeutlichen Konturen beschreiben konnten."

Ein "anständiger Mann" als Hassfigur

Buback wusste, dass ihm bei den Anklagen gegen die RAF, gegen die es so gut wie keine subjektiven Beweismittel, also keine Geständnisse und Zeugenaussagen gab, nur der von Herold angebotene "wissenschaftliche Sachbeweis" weiterhelfen konnte: Also Spuren, Spuren, Spuren - und deren akribische Analyse. Und so war es auch.

Der kurzgeschlossene Meinungsaustausch zwischen Buback und Herold verzahnte die Arbeit der beiden Behörden, also der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamts, so eng, dass beide wie eine Einheit erschienen: als Anti-RAF-Komplex. Buback war einer, der das beiseite räumte, was er für "Nebensächlichkeiten, Etikettefragen und Zwirnsfäden" hielt; Hauptsache, die Fahndung und die Ermittlungen funktionierten. Liberale Kritiker monierten die Verwischung der Kompetenzen, die Verteidiger im Stammheim-Prozess sprachen von einer polizeilichen Machtübernahme.

"Wir finden immer einen Weg"

Als Buback in einem Spiegel-Interview 1976 zur geplanten Zentralkompetenz bei der RAF-Bekämpfung befragt wurde, sang er ein Loblied auf den Anti-RAF-Komplex: "Zwischen Herold und mir funktioniert die Zusammenarbeit reibungslos. Da brauchen wir keine Zuständigkeitsregelungen. Staatsschutz lebt davon, dass er von Leuten wahrgenommen wird, die sich dafür engagieren. Und Leute, die sich dafür engagieren, wie Herold und ich, die finden immer einen Weg."

Herold war über diese Wendung ziemlich entsetzt und sagte das Buback auch, aber der ließ sich nicht beirren: Es stimmte eben so. Die Wirkungsgeschichte des Satzes war verheerend. Die RAF-Sympathisantenszene gebrauchte den Satz als Losung: "Zwei Kumpane finden immer einen krummen Weg."

Und die Mörder Siegfried Bubacks machten daraus das gehässig-überhebliche Motto ihres Bekennerschreibens: "für 'akteure des systems selbst' findet die Geschichte immer einen Weg", hieß es da, und weiter: "Am 7.4.77 hat das Kommando Ulrike Meinhof Generalbundesanwalt Buback hingerichtet". Die "Geschichte": Das waren Christian Klar, Knut Folkerts, Günter Sonnenberg und Brigitte Mohnhaupt; sie wurden jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Christian Klar sitzt bis heute in Haft. An den Mauern in Universitätsstädten aber las man den Satz: "Buback hin, das macht Sinn".

Der 7. April 1977 war ein Gründonnerstag: Der Dienstwagen Bubacks hielt um 9.10 Uhr an der Kreuzung Frankenheimer Landstraße/Moltkestraße in Karlsruhe vor einer roten Ampel. In diesem Moment fuhr ein Motorrad auf gleiche Höhe, zwei Männer mit Schutzhelmen, der hintere Mann schoss 15 Mal; wer der Schütze war, ist bis heute nicht klar.

Buback und sein Fahrer Wolfgang Göbel starben am Tatort, der Beamte Georg Wurster, der Chef der Fahrbereitschaft, der auf dem Rücksitz gesessen hatte, eine Woche später. Es war dies der Auftakt des brutalsten Terrorjahres in der Geschichte der Bundesrepublik: Jürgen Ponto, Chef der Dresdner Bank, wurde am 30. Juli erschossen, am 5. September Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer entführt und später ermordet, dann die Lufthansa-Maschine Landshut entführt, Flugkapitän Jürgen Schumann getötet.

"Das sind unsere Mörder"

Die Ahnungen davon lagen Anfang April 1977 neben Kaffee und Kuchen: Buback kam bei Herold vorbei. Charlotte Jung, die Chefsekretärin, servierte. Am Kaffeetisch begann das letzte Gespräch der beiden. Herold legte Buback Fotos vor und sagte trocken: "Das sind unsere künftigen Mörder, Buback."

Es waren Bubacks Mörder, es waren die von Ponto und Schleyer. Christian Klar, Knut Folkerts und andere waren nämlich von Herold im Weg der Befa, der beobachtenden Fahndung, per Computer als Reisebegleiter von gesuchten RAF-Tatverdächtigen festgestellt worden. Bei der Überprüfung ihrer Wohnsitze hatte sich herausgestellt, dass sie abgetaucht waren. "Erstmals", so kommentierte Herold später, "kannten die Sicherheitsorgane die mutmaßlichen Täter vor der Tat, aber die Chance, sie vorher zu ergreifen, ließ sich nicht realisieren."

Die Fernsehfahndung musste abgebrochen werden, weil, wie Herold heute erkennt, "wir nicht zur Überzeugung von Medien und Öffentlichkeit erklären konnten, dass es sich schon um Bandenmitglieder handelte und nicht um Menschen, die sich noch nichts hatten zuschulden kommen lassen".

Drei Wochen nach dem Buback-Attentat ging der Stammheim-Prozess gegen die inhaftierten Köpfe der RAF (Baader, Ensslin, Raspe) mit Lebenslänglich-Urteilen zu Ende: nach zwei Jahren, nach 142 chaotischen Sitzungstagen und katastrophalen Schwächen der richterlichen Prozessleitung. Bei der Verhaftung der Angeklagten hatte der damalige Vizekanzler Walter Scheel angekündigt: "Das Problem Baader-Meinhof ist zu Ende." Es war ein grausamer Irrtum. Mit dem Attentat auf Buback im Frühjahr 1977 begann der Deutsche Herbst.

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