Morawiecki in Berlin:"Polens Regierung schießt immer wieder über das Ziel hinaus"

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki

Mateusz Morawiecki (PiS), Polens neuer Minsterpräsident, besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin.

(Foto: dpa)

Es steht nicht gerade gut zwischen Polen und Deutschland. Warum der Besuch des neuen Ministerpräsidenten Morawiecki bei Merkel eine Chance sein kann, erklärt Osteuropa-Experte Kai-Olaf Lang.

Interview von Markus C. Schulte von Drach

Das Verhältnis zwischen Polen und der EU sowie Deutschland ist angespannt. Es gibt heftige Kritik an Warschaus Flüchtlingspolitik und dem Abbau der Rechtstaatlichkeit. An diesem Freitag trifft sich Polens neuer Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der PiS mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Fragen an den Osteuropa-Experten Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

SZ: Ein Treffen zwischen Merkel und Morawieckis Vorgängerin Beata Szydło vor einem Jahr verlief eher frostig. Wird das mit ihrem Nachfolger anders?

Kai-Olaf Lang: Ich denke, der Besuch in Berlin ist ein Moment der Hoffnung in einer Periode voller Komplikationen zwischen beiden Ländern. Morawiecki und Teile seiner neuen Regierungsmannschaft signalisieren gegenüber Brüssel und Berlin eine neue Pragmatik, eine neue Dialogbereitschaft. Er ist auch ein ganz anderer Typ als seine Vorgängerin. Weltgewandt, gut vernetzt, er kennt sich aus auf dem internationalen Parkett. Dass Morawiecki neuer Ministerpräsident ist, ist ein positives Signal, eine atmosphärische Aufhellung.

Dass er anders auftreten kann, bedeutet aber noch nicht, dass er für eine andere Politik steht, oder?

Das ist die entscheidende Frage. Eine Verbesserung des Dialogs ist zwar eine notwendige Voraussetzung, um auch die Zusammenarbeit zu verbessern, aber natürlich keine hinreichende. Ob es tatsächlich substanzielle Veränderungen in der polnischen Politik gibt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Ich wäre da vorsichtig. Das eigentliche Kraftzentrum ist weiterhin PiS-Chef Jarosław Kaczyński, und es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass er seine bisherige Politik nicht weiter vorantreiben will.

Der polnische Senatspräsident fordert seine Landsleute im Ausland auf, antipolnische Äußerungen zu melden. Das ist mehr als irritierend.

Der ganze Bereich der Geschichts- und Identitätspolitik ist ein zentrales Element der Politik der PiS. Sie wirft den Liberalen im Land vor, sie hätten eine "Pädagogik der Schande" betrieben und in den vergangenen Jahren nur auf Fehler in der polnischen Geschichte hingewiesen. Dies habe auch im Ausland zu einer Fehlwahrnehmung Polens und seiner Vergangenheit geführt. Durch eine Politik der patriotischen Mobilisierung will sie damit konsequent brechen. Polens Regierung schießt dabei aber immer wieder über das Ziel hinaus.

Wieso ist es überhaupt zum Wechsel in der Regierung von Beata Szydło zu Morawiecki gekommen?

Darüber haben in Polen selbst viele gerätselt. Zumal es für die PiS eigentlich ganz gut läuft. Sie hat mit ihren sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen Pluspunkte gesammelt. Selbst die Konflikte mit der EU haben sich für sie nicht negativ ausgewirkt. Aber Polen steht ab dem Herbst vor einer ganzen Serie von Wahlen. Ich glaube, die Partei will zeigen, dass sie sich stärker zur Mitte der Gesellschaft hin öffnet, ohne zugleich ihre alte Klientel zu verlieren. Sie will so als eine PiS mit menschlichem Antlitz auftreten.

Morawiecki und manche in seinem Kabinett gelten als Technokraten mit wirtschaftlichem Sachverstand. Aber es sollte nicht übersehen werden, dass gerade der Ministerpräsident eine Biographie hat, bei der Widerstand gegen den Kommunismus eine große Rolle spielte, und dass er auch zu sozialkulturellen oder historischen Fragen klare Ansichten hat, die der PiS-Politik entsprechen.

Hat die Partei die Hinwendung zur Mitte denn nötig?

Der Wahlsieg der PiS 2015 beruhte nicht nur darauf, dass sie die Menschen in den abgelegenen Regionen, im ländlichen Raum und die sozial Abgehängten auf ihre Seite gebracht hat. Auch Teile der unteren Mittelschicht waren unzufrieden. Die PiS ist daher in Polen gegenwärtig die einzige Volkspartei.

Aber die Auseinandersetzung im vergangenen Sommer mit Präsident Andrzej Duda wegen der Justizreform hat manche befürchten lassen, dass sich eine neue Kraft der rechten Mitte bilden könnte. Das ist zwar nicht passiert, aber Kaczyński hat erkannt, wie wichtig diese Mitte ist und kommt ihr entgegen - ohne dass er seine Politik tatsächlich ändern will.

Sie haben die Justizreform angesprochen. Wegen dieser Reform hat die Europäische Kommission ein Sanktionsverfahren gegen Polen eingeleitet, weil sie eine schwerwiegende Bedrohung für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz bedeute. Wird Morawiecki da einlenken?

Das steht noch in den Sternen. Wir beobachten, dass die Kommunikation mit Brüssel intensiver wird. Es kommt aber darauf an, ob Polen tatsächlich zu Nachbesserungen bereit ist. Das wäre eigentlich nicht schwierig. Und alle, sowohl die Europäische Kommission als auch die meisten Mitgliedstaaten wären froh, wenn diese Kuh vom Eis ist. Die EU-Mitgliedstaaten wollen ja nicht wirklich über Sanktionen gegen Polen abstimmen müssen - allein schon deswegen, weil am Ende des Verfahrens ein einstimmiges Votum nötig wäre, das aus jetziger Sicht kaum möglich ist.

Die Regierung in Warschau könnte einige Veränderungen innenpolitisch auch ohne Gesichtsverlust rechtfertigen - und der Opposition so das Argument aus der Hand schlagen, sie würde Polen in der EU ins Abseits manövrieren. Es ließe sich vielleicht sogar als Erfolg verkaufen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán etwa macht das sehr gekonnt, indem er bei Konflikten mit der EU an entscheidenden Stellen immer wieder Flexibilität zeigt.

Letztlich wird sich hier zeigen, inwieweit der neue Anstrich der Regierung tatsächlich für eine etwas andere Gesinnung steht.

Ein zweites großes Problem mit der EU ist: Polen will keine Flüchtlinge aufnehmen. Ist da mit einer Änderung zu rechnen?

Das denke ich nicht. Polen ist hier ja auch nicht isoliert, sondern verfolgt gemeinsam mit einigen anderen EU-Mitgliedern, die gegen eine obligatorische Quote für die Verteilung von Flüchtlingen sind, eine klare Linie. Dass es bei Flucht und Migration ein gesamteuropäisches Problem gibt, erkennt Polen grundsätzlich an, aber die Prioritäten und Reaktionen sind anders als in Deutschland.

Man möchte in erster Linie mehr Grenzsicherung, verbesserte Kooperation mit Drittstaaten und Unterstützung vor Ort. Nicht von ungefähr war Morawiecki diese Woche im Libanon. Allerdings gibt es da beim polnischen Engagement in Sachen "flexibler Solidarität" noch ziemlich Luft nach oben.

Klingt ein wenig so, als wollte Warschau sich die Flüchtlinge vom Hals halten.

Keine Frage, Polen hat hier, wie viele andere EU-Mitgliedstaaten eine restriktive Haltung. Vielleicht findet die EU auch eine andere Möglichkeit, die Quote zu vermeiden. Ich könnte mir vorstellen, dass bei den Verhandlungen über den Finanzrahmen der EU, die im Frühjahr losgehen, diskutiert wird, dass Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, finanziell unterstützt werden.

Die Frage ist, woher das Geld dafür kommt. Eine Möglichkeit wäre, Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen, weniger Geld aus den Strukturfonds zukommen zu lassen, mit denen grundsätzlich strukturschwache Regionen unterstützt werden sollen. Aber ob Polen und andere Regierungen sich darauf einlassen, ist offen.

Was erwarten die Polen speziell von Berlin?

Das jetzige polnische Regierungslager erwartet Empathie, Respekt und Anerkennung. Für Morawiecki kann der Besuch in Berlin eine Chance sein. Sein Auftakt bei außenpolitischen Themen war schwierig. Er hat den Disput mit der EU wegen der Justizreform. Außerdem hat sich die Gesetzesnovelle zum polnischen Institut für Nationales Gedenken zu Zerwürfnissen mit Israel, den USA und der Ukraine geführt - alles eigentlich Schlüsselpartner für Polen.

Ein gelungener Auftritt in Berlin, bei dem beide Seiten neben den Streitthemen auch Verbindendes betonen werden, kann daher für den ponischen Ministerpräsidenten ein nicht unbedeutender Zwischenerfolg sein.

Info

Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow bei der Forschungsgruppe EU/Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Seine Schwerpunkte sind die Baltischen Staaten, Mittel- und Osteuropa und die EU-Erweiterungspolitik.

Außerdem gibt auch Diskussionen um die Gasleitung Nord Stream 2 von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Aus außenpolitischen Gründen und aus solchen der Energiesicherheit wird das Projekt in Polen sehr kritisch gesehen. Generell spielen Fragen der Sicherheit und der Russlandpolitik für Polen immer eine große Rolle.

Deutschlands Haltung im Ukraine-Konflikt wurde in Polen begrüßt.

Die PiS hat die konsequente Haltung in Berlin wertgeschätzt, aber es gibt Zweifel daran, ob Deutschland seine Aktivitäten in der Nato auch finanziell ausreichend absichert und ob in der deutschen Gesellschaft und in Teilen der Politik die sicherheitspolitische Bindung mit den USA infrage gestellt werden könnte.

Warschau schaut auch mit einiger Sorge auf die Möglichkeit, dass eine neue Dynamik zwischen Frankreich und Deutschland zu einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten führen könnte. Auch von einer neuen Bundesregierung erhofft sich Warschau daher, dass sie ihr Bekenntnis erneuert, Europa nicht zu spalten, und dass Polen in der EU beziehungsweise als Nicht-Euro-Staat nicht an den Rand einer sich differenzierenden EU gerät.

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