Montagsdemos: 20. Jahrestag:Anfang vom Untergang

Am 4. September 1989 erlebte Leipzig die erste Montagsdemonstration. Am Anfang kamen nur 1000 Personen. Später sollten über 300 000 für einen Regimewechsel in der DDR demonstrieren.

Von Renate Meinhof

Warum war es gerade Leipzig, die Stadt Johann Sebastian Bachs, wo am 4. September 1989 der Kampf um die Straße begann und der Untergang des kleinen deutschen Staates buchstäblich eingeläutet wurde? Leipzig war wie alle Städte der DDR heruntergekommen, sichtbar vor allem im Verfall der Altbauten. Die Wohnungsnot wuchs unerträglich, gerade für junge Familien.

Und doch war aufmüpfiges Leben in der Stadt, der Schuss Weltoffenheit, den vor allem die Messen mit sich brachten. Zweimal im Jahr fanden sie statt. Anfang September 1989 gab es hier schon eine aktive Opposition, es gab mutige Pastoren und 5000 Menschen, die Ausreiseanträge gestellt hatten, um dem Sozialismus den Rücken zu kehren.

"Die Stimmung ist mies, Genosse Minister", so beschrieb Stasi-Generalleutnant Manfred Hummitzsch aus Leipzig seinem Chef Erich Mielke am 31. August die Lage in der Stadt. "Es ist tatsächlich so, dass aus einer zufälligen Situation hier und da ein Funke genügt, um etwas in Bewegung zu bringen".

1000 Menschen am 4. September

Diesen Funken fürchtete die SED. Längst hatte Mielke deshalb seine Untergebenen auf eine härtere Gangart eingeschworen, die Nationale Volksarmee war auf einen Einsatz im Inneren vorbereitet. Die Friedensgebete in der Nikolaikirche, die nach sechswöchiger Sommerpause am 4. September wieder beginnen sollten, mussten unbedingt verhindert werden. Auf Bischof Johannes Hempel und seine Pastoren wurde Druck ausgeübt.

Und doch kamen um 17 Uhr etwa 1000 Menschen in die Kirche. Versöhnung und Schuld, das war das Thema der Predigt. Nach dem Gebet traf man sich vor der Kirche. Die ersten Transparente tauchten auf, schon das war eine Revolution. "Reisefreiheit statt Massenflucht", stand auf einem.

Demonstranten singen das Refrain der Internationalen

Es hielt sich nicht lange. Männer vom Ministerium für Staatssicherheit griffen sofort zu. Mehrere hundert Menschen, von Polizeiketten immer wieder abgedrängt, marschierten bis zum Hauptbahnhof. Die Leipziger Volkszeitung machte sich lustig über die "Störenfriede". Die Masse der Leipziger habe einen "ganz normalen friedlichen Messe-Montagabend" verbracht.

Bald war nichts mehr normal, nichts mehr gewohnt. Am Montag, dem 11. September, sprach Pastor Christian Führer zum Ausreiseproblem. Es gab Verhaftungen, Verurteilungen. Schnell solidarisierten sich Gemeinden in anderen Städten mit den Leipzigern, der Funke sprang über.

Am 25. September versammelten sich schon 6000 Demonstranten, die 1500 Einsatzkräften gegenüberstanden. Die aber waren überfordert, überrascht von der Wucht der Menge. Am 23. Oktober zogen 300000 Menschen durch die Innenstadt. Manche Demonstranten nahmen, zum Ärger der SED, sogar kommunistische Revolutionstraditionen auf und sangen den Refrain der "Internationale"-"Völker, hört die Signale!" Vor allem aber riefen sie: "Montag sind wir wieder da." Wochen später fiel die Mauer.

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