Möglicher Boetticher-Nachfolger Jost de Jager:Ein Retter, tugendhaft und dröge

Christian von Boetticher galt schon vor seinem Sturz über die Beziehung zu einer 16-Jährigen als Leichtfuß: Konservative Strippenzieher arbeiteten bereits seit längerem gegen ihn. Nun wird Wirtschaftsminister Jost de Jager als Favorit für den Posten des Spitzenkandidaten der Nord-CDU gehandelt - ausgerechnet ein Mann, dem alle Eigenschaften fehlen, die einen Politiker ganz nach oben bringen.

Jens Schneider

Unspektakulär, tugendhaft und sachlich, dazu mit einer klaren Linie, vielleicht manchmal ein bisschen dröge und nicht überehrgeizig: Solche Attribute fallen, wenn man im Kieler Landtag nach Wirtschaftsminister Jost de Jager fragt. Das sind eigentlich nicht die Eigenschaften, die einen Politiker ganz nach oben bringen. Aber es gibt Zeiten, da entwickeln Parteien und Wähler eine große Sehnsucht nach Solidität. Dann soll ein zuverlässiger Mann die Wunden heilen, die der Skandal um seinen schneidigen Vorgänger gerissen hat.

Nord-CDU - Jost de Jager

Jost de Jager ist der Favorit für die Spitzenkandidatur der schleswig-holsteinischen CDU bei der Landtagswahl im nächsten Mai.

(Foto: dpa)

Für die Unionsparteien wird dieser Reflex gerade zu einer Gewohnheit. Noch ist der 46 Jahre alte Jost de Jager nach dem Rücktritt Christian von Boettichers nicht als neuer Spitzenkandidat nominiert, da gilt seine Kandidatur schon als sicher. Der Protestant ist Mitglied der Nordelbischen Synode, lebt mit Frau und Tochter in Eckernförde. Nach dem Studium volontierte er beim braven Evangelischen Pressedienst, bevor er in den Landtag kam.

In der Nord-CDU hoffen sie nun, dass er ähnlich schnell populär wird wie Thomas de Maizière als Nachfolger von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Erst mal aber ist die eher konservative CDU des Landes tief erschüttert. Am Sonntag riefen den ganzen Tag über Vertreter von Kreisverbänden bei der Parteispitze an und warnten: Sollte Boetticher bleiben, würden sie für ihn keinen Wahlkampf machen. In Neumünster überklebten regionale Parteigrößen noch am Sonntagabend Boettichers Namen auf Plakaten, mit denen sie zu ihrem Sommerfest für nächsten Samstag einladen. Der Stargast war nun eine unerwünschte Person. Gern ließen sie sich dabei filmen, "menschlich tief enttäuscht" von einem Landesvorsitzenden, der ihnen doch wortreich die Rückkehr zu konservativen Werten versprochen hatte. Erschrocken spricht Landesgeschäftsführer Daniel Günther von einer "völlig unakzeptablen Aktion".

Leichtfuß auf Sylt

Angesichts solcher Emotionen werden sogar jene Strippenzieher nicht erleichtert sein, die insgeheim schon lange gegen Boetticher arbeiteten. Sie hielten ihn nicht mehr für den geeigneten Spitzenkandidaten. Für sie hatte er sich als Leichtfuß entpuppt, der auf Sylt feierte, während ein Minister wie Jost de Jager vor aufgebrachten Bürgern für das Sparprogramm der Regierung kämpfte. Der rhetorisch begabte Jager, dem auch politische Gegner Substanz bescheinigen, wurde als Alternative ins Spiel gebracht. Längst wollten diese Parteifreunde Boetticher ablösen - aber um diesen Preis?

Weniger als ein Jahr vor der Landtagswahl am 6. Mai war die schwarz-gelbe Koalition schon vor diesem Wochenende in den Umfragen abgeschlagen. Der SPD-Spitzenkandidat und Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig kann mit einer klaren rot-grünen Mehrheit rechnen. Den Montag über wurde in Kiel spekuliert, ob die Landtagswahl sogar vorgezogen werden muss.

Peter Harry Carstensen regiert mit seiner Koalition aus CDU und FDP mit nur einer Stimme Mehrheit. Hätte Boetticher auch auf sein Abgeordnetenmandat verzichtet, wäre die Mehrheit dahin gewesen. Dazu wollte er sich eigentlich erst an diesem Dienstag erklären. Es hieß, er wollte den Fraktionsvorsitz behalten. Am frühen Montagabend dann ließ Boetticher eine Erklärung verbreiten. "Um weiteren Schaden abzuwenden", habe er sich um 17.10 Uhr entschlossen, auch den Fraktionsvorsitz aufzugeben, schreibt er. Sein Mandat aber wolle er "aus Verantwortung für die bürgerliche Koalition weiter ausüben".

In seinem Brief deutet er an, dass er schon lange nicht mehr den vollen Rückhalt der Fraktion spürte. Er entschuldigt sich "bei denjenigen, die mich unterstützt haben". All das will er der Fraktion nicht persönlich erklären. Sein Brief liest sich, als ob ihm die Kraft dazu fehlt. Zu groß sei der mediale Druck, klagt er. "Die öffentliche Jagd auf mich und mein Umfeld haben ein Ausmaß angenommen, das mir keine andere Wahl lässt."

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