Mögliche Folgen des Syrien-Konflikts:Den Flächenbrand vor Augen

Free Syrian Army fighters hold up their weapons as they cheer after seizing Aleppo's town of Khanasir

Kämpfer der Freien Syrischen Armee

(Foto: REUTERS)

Die Nachbarstaaten Syriens warten gebannt auf ein militärisches Eingreifen der Amerikaner. Es könnte schwerwiegende Folgen haben und die Kräfteverhältnisse in der gesamten Region verschieben. Selbst wenn die USA nur "ein bisschen Krieg" führen, ist nicht ausgeschlossen, dass der Westen in den syrischen Konflikt gezogen wird - und die unruhige Region aus den Angeln hebt.

Von Sonja Zekri, Kairo

Es ist der Augenblick für apokalyptische Ausblicke, für "katastrophale Konsequenzen", vor denen beispielsweise Russlands Außenministerium warnte, sollte Amerika Syrien wirklich angreifen. In der Tat kann ein internationales Eingreifen schwerwiegende Folgen für die Region haben, Kräfteverhältnisse verschieben, Regionalmächte ermutigen, militärische Gruppen provozieren. Der Fallout unter Syriens Nachbarn dürfte sehr viel überschaubarer ausfallen, wenn Washington sich auf zweitägige, eher symbolische Luftschläge beschränkt, ohne die Machtverhältnisse in Syrien entscheidend zu verändern.

Schon jetzt haben Präsident Assad und die Aufständischen, inklusive der zahlreichen Dschihadi-Brigaden das Land praktisch untereinander aufgeteilt - ein dritter Teil gehört den Kurden. Führt Amerika nur "ein bisschen Krieg", kann diese Dreierbeziehung noch sehr lange weiter bestehen, was offenbar ganz im Sinne Washingtons ist. Dennoch ist selbst in diesem Fall nicht ausgeschlossen, dass auf einen ersten Warnschuss irgendwann weitere folgen werden, dass der Westen am Ende also doch in den syrischen Sumpf gezogen wird, dass jene Dynamik in Gang gesetzt wird, die eine unruhige Region aus den Angeln heben könnte. Aus dem syrischen Außenministerium heißt es, Syrien werde sich gegen "jeden internationalen Angriff" verteidigen. Ein Militärschlag könnte "Chaos in der ganzen Welt" stiften. Vor allem unter den Nachbarn.

In kaum einer Hauptstadt dürfte man besorgter nach Washington blicken als in Beirut. Libanon, mit Syrien über Jahrzehnte symbiotisch verbunden und selbst ehemaliges Bürgerkriegsland, hat sich lange aus dem Konflikt herausgehalten, aber ist inzwischen Kriegspartei, wenn auch meist auf syrischem Boden. Die Hisbollah, die mächtige Schiitenmiliz- und Partei, hat für Präsident Assad den Sieg in Qusair erkämpft, einer wichtigen Stadt an der libanesischen Grenze und Symbol für jüngste Erfolge des Regimes. Assad und den Waffenlieferungen aus Damaskus, respektive Teheran, verdankt wiederum die Hisbollah ihre Stellung als mächtigste Miliz des Nahen Ostens und wichtigste politische Kraft in Libanon.

Schlange stehen für Gasmasken

Allerdings hat der von Sunniten getragene Aufstand gegen Assad auch die Sunniten mobilisiert. Tausende kämpfen auf der Seite der Rebellen, der sunnitische Norden Libanons ist Rückzugsgebiet und Lazarett für die sunnitischen Aufständischen. Bei Explosionen in Libanons zweitgrößter Stadt Tripoli im sunnitischen Norden starben vor einer Woche mehr als 40 Menschen. Eine Eskalation in Syrien, auch nur ein Umschwung, könnte das zerbrechliche Libanon zerreißen.

Und nicht nur Libanon ist in Sorge. In Israel stehen die Menschen Schlange, um per Post georderte Gasmasken abzuholen. Viele fürchten hier ein ähnliches Szenario wie im Golfkrieg 1991, als Iraks Despot Saddam Hussein das Land mit Raketen beschoss. Assads Giftgasdepots könnten in die Hände der Dschihadisten fallen, so die Sorge, die Aufständischen könnten die Golanhöhen beschießen, was ohnehin gelegentlich geschieht. Gleiches gilt aber auch für die Hisbollah, die von weiterem Chaos im Land profitiert. Assad wiederum könnte, sollte er sich in die Ecke gedrängt fühlen, Israel in einem letzten Aufbäumen mit Scud-Raketen beschießen.

Die israelische Armee gibt sich dennoch unaufgeregt. Assad habe anderes zu tun, als Israel anzugreifen, heißt es. Die Hisbollah käme in Erklärungsnöte, würde sie Libanon in einen neuen Krieg mit Israel verwickeln. Außerdem hat das Land seine Raketenabwehr ausgebaut, wie man im jüngsten Gaza-Krieg beobachten konnte.

Drohung gegen Jordanien

Aber es sind ja nicht nur die militärischen Folgen. Für den jordanischen König Abdallah beispielsweise war die syrische Tragödie bislang Problem und Lösung zugleich: eine Belastung durch die Flüchtlinge, aber auch ein abschreckendes Beispiel für alle, die vom Regimewechsel, von einem Ende der Monarchie gar träumen. Diese Rechnung verschiebt sich mit jedem neuen Flüchtling. Schon jetzt ächzt das Land unter Hunderttausenden Gestrandeten aus Syrien, die in riesigen Zeltstädten leben, wie in Saatari, die Preise für Wasser, Strom und Lebensmittel in die Höhe treiben und die Jordanier auf einem verzweifelt dünnen Arbeitsmarkt unterbieten. Die lange duldsamen Jordanier werden zusehends ungehaltener. Jordanien hat viele Flüchtlingswellen aufgenommen, die Hälfte seiner Bevölkerung sind Palästinenser, und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen ist nicht spannungsfrei.

Seit Monaten trainiert Amerika jordanische Kämpfer der Rebellen, in der Hoffnung, wenigstens diese gemäßigteren Kräfte an sich zu binden. Jordanien - prowestlich, proamerikanisch und neben Ägypten das einzige arabische Land mit einem Friedensvertrag mit Israel - gilt als einer der wahrscheinlichsten Ausgangspunkte für eine Flugverbotszone. Damit aber könnte Jordanien den Zorn des mächtigen Nachbarn auf sich ziehen: Dass der syrische Außenminister Walid al-Muallem am Dienstag sagte, die Sicherheit Syriens sei direkt verbunden mit jener Jordaniens, war eine kaum versteckte Drohung.

Auch im Irak fürchtet man die Flüchtlingswellen. So dramatisch hat der Menschenstrom zugenommen, dass die Behörden eine Brücke sperrten, aus Angst, sie könnte kollabieren. Zehntausende meist kurdische Syrier flüchteten vor allem in den vergleichsweise ruhigen und wohlhabenden kurdischen Teil des Irak, was dort mit Bedenken gesehen wird. Schließlich könne es nicht das Ziel sein, dass der kurdische Teil Syriens entvölkert werde und sozusagen die kurdische Sache völlig aufgebe. Vorerst aber wollte man sich aus dem syrischen Bürgerkrieg heraushalten.

Scheu vor der finalen Eskalation

Dabei ist der Irak längst Teil der regionalen Gleichung. Ähnlich wie in Libanon fühlen sich radikale Sunniten durch den Kampf in Syrien beflügelt: In Syrien kämpfen die Sunniten gegen die Alawiten-Herrschaft einer Sekte schiitischen Ursprungs über die sunnitische Mehrheit. Im Irak fühlt sich die sunnitische Minderheit zehn Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins und der sunnitischen Dominanz an den Rand gedrängt durch Premier Nuri al-Maliki. Die Ultrasunniten al-Qaidas im Irak und in Syrien sind verschmolzen, der Terror im Zweistromland ist fast ebenso schlimm wie in den Zeiten der größten konfessionellen Unruhen. Ein Sturz Assads und ein Sieg der irakischen Dschihadisten wären das Letzte, was Maliki sich wünscht.

Auch in der Türkei, Assads erklärtem Gegner, bereitet man sich auf mehr Flüchtlinge, mehr Instabilität, mehr Grenzgefechte vor. Und auch hier leben Kurden, die - würde Syrien zerbrechen - den Schritt zum eigenen Staat versuchen könnten.

Vieles wird von der Dimension des Militärschlags abhängen. Ein Zweitage-Angriff würde womöglich keine stärkere Reaktion aus Teheran nach sich ziehen. Für die Golfstaaten wie Saudi-Arabien oder Katar, Verbündete Amerikas, wäre dies eine Erleichterung. Der syrische Bürgerkrieg schien oft genug kurz davor zu stehen, einen regionalen Flächenbrand auszulösen. Meist sind die Akteure - obwohl spinnefeind - vor der finalen Eskalation zurückgescheut. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Rationalismus im Wahnsinn des Krieges auch im Fall eines US-Militärschlages beibehalten wird.

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