Mögliche Aussage zur NSA:Snowdens Preis und Deutschlands Entscheidung

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Plakat auf einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor: Soll NSA-Whistleblower Edward Snowden Asyl in Deutschland bekommen?

(Foto: AFP)

Edward Snowden richtet all seine Hoffnung auf Berlin: In keinem anderen freiheitlichen, westlichen Staat findet er so viel Aufmerksamkeit. Doch bevor Deutschland ein Urteil über seine Zukunft fällt, gilt es, Interessen abzuwägen und die Folgen für das Verhältnis zu den USA zu bedenken. Nach aller politischen Vernunft darf die Antwort nicht schwerfallen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Die USA, so weiß man nach fünf Monaten Snowden, sammeln in gewaltigem Umfang Informationen, die sie zu ihrem Vorteil und gelegentlich auch zum Vorteil ihrer Verbündeten auswerten. Sie tun dies weltweit, konzentrieren sich aber besonders auf sechs Staaten: Venezuela, Nordkorea, Iran, den Irak, Russland und China. Nein, Deutschland gehört nicht in diese Kategorie.

Mit vier Staaten kooperieren die US-Dienste dabei sehr eng: Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien. Vier weitere Staaten finden sich in einem Verbund, der sich "nine eyes" nennt. Deutschland ist nicht darunter.

Edward Snowden hat die Dimension des modernen Nachrichtenwesens öffentlich gemacht, weshalb ihn manche als Verräter, andere als Helden sehen. Gäbe es einen chinesischen oder einen russischen Snowden, dann würde er Spionage- und Überwachungs-Aktivitäten in vergleichbarem Ausmaß aufdecken können - vieles davon auf die Bürger des eigenen Landes gerichtet. Auch in Frankreich und Großbritannien könnte ein Snowden viele Geheimnisse enttarnen. In Deutschland wäre die Ausbeute geringer, weil der Staat weniger in die klandestine Form von Sicherheits-Vorsorge investiert.

Auch hierzulande wissen die Industriekonzerne sich sehr wohl zu schützen

Man muss dies vorausschicken, um die Entrüstung zu dämpfen, die sich gerade ausbreitet. Diese Entrüstung ist einerseits naiv. Niemand hat erwartet, dass sich die Dienste der Großmächte in digitaler Zurückhaltung üben. Auch hierzulande wissen die Industriekonzerne sehr wohl ihre Rechenzentren und Datennetze zu schützen. Die deutsche Telekommunikationsindustrie bietet nicht die schlechtesten Produkte, die derlei Spionage erst ermöglichen.

Andererseits ist die Entrüstung begründet, weil sich auch ein Ausmaß an politischer Spionage offenbart, die wenig mit Gefahrenabwehr zu tun hat. Sie zeugt von einem Misstrauen, das unter Verbündeten nicht herrschen darf.

In der aufgeheizten Stimmung in Deutschland wächst nun der Wunsch nach Selbstbehauptung und gar nach Revanche. Doch bevor im Reflex und in einer Pose moralischer Überlegenheit das Urteil fällt, gilt es, Interessen abzuwägen und alle Akteure in diesem globalen Spiel im Auge zu behalten.

Russland gehört zu den Profiteuren der Aktivitäten Snowdens. Präsident Putin kann zurückgelehnt beobachten, wie sein großes strategisches Ziel fast von alleine Wirklichkeit wird: die Abkehr Westeuropas von den USA, zumindest die Spaltung Europas. Die Saat des Misstrauens ist ausgebracht. Hier und da streut Putin nach. Ohne das russische Einverständnis wird Snowden niemanden empfangen. Sein Schicksal liegt in Putins Hand.

Deutschland spielt eine Schlüsselrolle

Deutschland spielt - wie schon 2003 vor dem Irak-Krieg - eine Schlüsselrolle, und deswegen richtet Snowden auch all seine Hoffnung auf Berlin. Nirgendwo in einem freiheitlichen, westlichen Staat findet er so viel Aufmerksamkeit und Unterstützung und kann sich gleichzeitig so geschützt fühlen vor politischem Missbrauch oder gar Verfolgung. Snowden hat hohes Interesse an Deutschland. Nicht an Frankreich und auch nicht an Italien.

Und Deutschland? Deutschland hat eine schwierige Abwägung zu treffen, die sehr viel mit Interessen zu tun hat. Der Furor über die USA ist jedenfalls so groß, dass wohl eine Mehrheit bereit wäre, mithilfe der Person Snowden ebenfalls eine Machtdemonstration zu wagen.

Würde man ihn aufnehmen und nicht ausliefern, wäre die Botschaft an die USA eindeutig: Ihr seid kein Rechtsstaat, wir haben kein Interesse an einer rechtsstaatlichen Zusammenarbeit, und wir verurteilen eure Methoden der Sicherheitspolitik. Die Antwort der USA wäre ebenso absehbar: Ihr seid kein Kooperationspartner mehr, ihr seid sicherheitspolitisch naiv und als Verbündeter von geringem Wert. Das wird sich auswirken auf die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste, des Militärs, auf die Beziehungen insgesamt.

Snowden verlangt Deutschland einiges ab

Snowden verlangt Deutschland also eine politische Entscheidung von gewaltiger Bedeutung ab: mit den USA oder gegen sie? Nach aller historischer Erfahrung, nach allem sicherheitspolitischem Interesse, nach aller politischen Vernunft darf die Antwort nicht schwerfallen.

Snowden ist sein Werk längst entglitten. Ja, seine Enthüllung zeigt das Ausmaß der digitalen Überwachung, die auf der Welt und nicht nur in den USA möglich ist. Darüber hinaus aber wird es grundsätzlich: Es geht um Bündnisse, um Sicherheit, um die Abwägung von Vor- und Nachteilen. Für Snowden gibt es nur den Weg in ein neutrales Land, das seine Notlage nicht ausnutzen kann - dem er aber auch nicht schadet. Oder er wählt den Weg vor Gericht. Für Deutschland hat er kein Nullsummenspiel zu bieten.

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