Modellversuch:Leichter zum Rückenkneten

Betteln beim Arzt, um ein Rezept für die Physiotherapie zum Beispiel? Damit soll bald Schluss sein: Künftig dürfen Ärzte Blankorezepte ausstellen. So steht es im neuen Heil- und Hilfsmittelgesetz. Nicht alle jubeln.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wenn gesetzlich Versicherte zu ihrem Orthopäden oder Hausarzt gehen, ist das oft mit einer unangenehmen Bettelei verbunden. Der Doktor möge doch bitte ein Rezept ausstellen, etwa für den Physiotherapeuten, sagt der Patient, der es mal wieder im Kreuz hat. Damit ist jetzt vorübergehend Schluss, zumindest in einigen Modellregionen. Das ist im neu gefassten Heil- und Hilfsmittelgesetz vorgesehen, das der Bundestag an diesem Donnerstag verabschiedet hat. Die Mediziner dürfen dann ein Blankorezept ausstellen. Gleichzeitig können die Therapeuten selbst entscheiden, welche Behandlung geeignet ist, wie lange sie kneten und massieren dürfen und wie oft dies geschieht. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will so die Therapeuten stärker in die Versorgung der Patienten einbinden.

Es handelt sich jedoch zunächst nur um einen Modellversuch, der in allen Bundesländern erprobt werden soll. Er gilt nach Angaben des Gesundheitsministeriums für Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und Podologen. Mit deren Berufsverbänden müssen die Krankenkassen Verträge über das Modellvorhaben abschließen. Auf dieser Basis werde entschieden, "ob die Versorgungsform der Blankoverordnung für die Regelversorgung geeignet ist", heißt es im Ministerium.

Bisher braucht man nach sechs Anwendungen ein neues Rezept

Bislang müssen die Patienten ihren Arzt fragen, ob sie - meist nach sechs Anwendungen - ein neues Rezept erhalten. Nicht selten sagt der Mediziner aber "nein", mit dem Hinweis, sein Budget sei erschöpft. Das Vorhaben ist allerdings umstritten. Die Ärzte fürchten einen Machtverlust, weil sie weniger Kontrolle über die Patienten haben. Die Krankenkassen und die Arbeitgeberverbände warnen vor steigenden Kosten.

Ums Geld geht es auch beim zweiten wichtigen Eckpunkt des Gesetzes: Die Honorare für die fast 200 000 Therapeuten in Deutschland sind oft nicht gerade üppig. Angestellte Physiotherapeuten kommen auf gerade einmal um die 2000 Euro brutto im Monat, obwohl sie für ihre Ausbildung teilweise selbst mehrere hundert Euro Schulgeld zahlen müssen. Sogar Kanzlerin Angela Merkel räumte bei einem Bürgerdialog in Nürnberg ein, dass die Heilberufe bei der Bezahlung "doch relativ runterfallen".

Nun erhalten die Therapeuten mehr Spielraum, in Verhandlungen mit den Krankenkassen höhere Preise für ihre Leistungen durchzusetzen. Laut Bundesgesundheitsministerium gilt dies "zunächst für die Jahre 2017 bis 2019. Dann wird überprüft, ob die Neuregelung wirksam und sinnvoll ist."

Außerdem hat das neue Gesetz ein wichtiges Anhängsel: Damit will die Koalition die Manipulation von Krankheitsdiagnosen verhindern. So ist den gesetzlichen Krankenversicherern künftig untersagt, Ärzte beim Abrechnen zu beraten und für bestimmte Diagnosen extra zu honorieren, so wie dies derzeit in Verträgen vereinbart ist. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, hatte den Krankenkassen vorgeworfen, Patienten auf dem Papier kränker zu machen, als sie sind, um so mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten.

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