Mittelmeer:Verhaltenskodex für die Retter

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Ein NGO-Mitarbeiter hilft einem Kleinkind auf ein Rettungsboot. Künftig sollen Helfer nur noch bei offensichtlicher Lebensgefahr eingreifen dürfen. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Italiens Regierung verhandelt mit Hilfsorganisationen über deren Umgang mit Mittelmeer-Flüchtlingen. Viele lehnen den Kodex als Schikane ab.

Von Stefan Ulrich, München/Castrovillari

Die italienische Regierung will die Rettung von Flüchtlingen und Migranten auf dem Mittelmeer durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einem genauen Verhaltenskodex unterwerfen. Regierungsvertreter trafen sich am Dienstagnachmittag in Rom mit Abgesandten der Hilfsorganisationen, um über die Regeln zu diskutieren. Allerdings verliefen die Gespräche zunächst ergebnislos, für Freitag sei ein neues Treffen angesetzt worden, sagte Titus Molkenbur, der für die deutsche Organisation "Jugend Rettet" teilnahm. Die Regierung Italiens droht, NGOs, die den Kodex nicht unterzeichnen, dürften mit ihren Booten künftig keine italienischen Häfen mehr anlaufen. Etliche Organisationen lehnen die neuen Regeln dagegen als Schikane ab, die die Rettung erschwere und das Leben vieler Menschen gefährde. Hintergrund des Streits, der auch im italienischen Parlament ausgetragen wurde, ist der Eindruck der Regierung, Italien trage derzeit fast alleine die Last der Flüchtlingskrise und werde von anderen EU-Staaten im Stich gelassen.

Unicef kritisiert, die neuen Regeln gefährdeten vor allem das Leben von Kindern

Um die sozialliberale Regierung von Premier Paolo Gentiloni zu besänftigen, haben die Regierungen der anderen EU-Länder dem von Italien erarbeiteten Kodex bereits zugestimmt. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass die Rettungsboote der NGOs nur bei offensichtlicher Lebensgefahr für Flüchtlinge in libysche Hoheitsgewässer vordringen dürfen. Die Hilfsorganisationen müssen ihre Schiffstransponder stets eingeschaltet lassen, damit ihre Position überprüft werden kann. Auch sollen sie Schleppern keine Lichtsignale senden dürfen. Zudem will Rom die NGOs verpflichten, gerettete Migranten selbst in die Häfen Siziliens, Kalabriens und Apuliens zu bringen. Derzeit übergeben die Organisationen die Flüchtlinge oft auf hoher See an größere Schiffe, zum Beispiel der italienischen oder deutschen Marine. Schließlich sollen die Retter ihre Finanzierung offenlegen, staatliche Ermittler bei der Suche nach Schleusern unterstützen und italienische Justizbeamte an Bord lassen.

Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex hat unlängst kritisiert, die NGOs, die derzeit mit 13 Schiffen in internationalen Gewässern vor Libyen kreuzen, erleichterten objektiv die Geschäfte der Schlepper. Italienische Ermittler warfen den Rettungsorganisationen sogar vor, teilweise von Schleppern mitfinanziert zu werden. Beweise dafür sind bislang allerdings nicht vorgelegt worden. Der leitende Staatsanwalt der kalabrischen Stadt Castrovillari, Eugenio Facciolla, fordert dennoch mehr Kontrollen für die NGOs. "Sie laden die Flüchtlinge bei uns ab und lassen uns dann mit ihnen allein", sagte Facciolla der SZ.

Die NGOs argumentieren dagegen, sie würden sich schon jetzt streng an das Seerecht und die italienischen Gesetze halten. Die Vorwürfe, durch ihre Tätigkeit noch mehr Flüchtlinge aufs Mittelmeer zu locken, seien widerlegt. Es sei diskriminierend, dass der neue Verhaltenskodex nur für ihre Boote, nicht aber für Kriegs- oder Handelsschiffe gelten soll. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnt, der Kodex werde dazu führen, dass weniger Rettungsschiffe vor Libyen zur Verfügung stehen. Dadurch könnten "Menschen, die sich auf dem Mittelmeer in Gefahr befinden, zu einem sicheren Tod verurteilt werden". Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) kritisiert, der italienische Kodex gefährde vor allem das Leben von Kindern. Andere Hilfsorganisatinen wehren sich dagegen, Justizbeamte auf ihre Schiffe zu lassen. Ihre Aufgabe sei es, Leben zu retten und nicht, als Hilfspolizei zu fungieren.

Die EU-Staaten beschlossen am Dienstag in Brüssel, ihre Marinemission "Sophia" vor der Küste Libyens bis Ende 2018 zu verlängern. Italien hatte diese Entscheidung zunächst blockiert, um in der Flüchtlingskrise mehr Hilfe der Europäischen Union zu erzwingen. "Sophia" geht gegen Schlepperbanden vor und rettet Flüchtlinge aus Seenot - seit Anfang des Jahres schon mehr als 93 000.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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