Mitbegründer Sven Giegold:"Attac war ein Prophet"

Seit zehn Jahren gibt es Attac Deutschland. Im Gespräch mit sueddeutsche.de zieht Mitgründer Sven Giegold Bilanz und umreißt die Zukunft von Attac - Radikalisierung sei eine Option.

Oliver Das Gupta

Sven Giegold, Jahrgang 1969, ist studierter Wirtschaftswissenschaftler. Der Globalisierungskritiker gründete zusammen mit anderen vor zehn Jahren Attac Deutschland. Im September 2008 trat Giegold den Grünen bei, gleichzeitig beendete er sein Engagement bei Attac. Seit Juni 2009 sitzt er als Abgeordneter im Europäischen Parlament, er ist Mitglied im Ausschuss Wirtschaft und Währung.

Attac Frankfurt Börse AP

Eine Aktion, die Aufsehen erregte: Im Oktober 2008 werfen Attac-Aktivisten Flugblätter von der Besuchergalerie der Frankfurter Börse - und verdecken die Kurve des Dax mit einem Protestplakat.

(Foto: Foto: AP/Attac)

sueddeutsche.de: Herr Giegold, Attac wurde mit dem Ziel gegründet, internationale Finanzgewinne zu besteuern - ein Plan, der nicht Realität wurde. Was hat Attac Deutschland eigentlich bislang erreicht?

Sven Giegold: Viel! Als wir anfangs vor den Gefahren einer ungezügelten Finanz- und Wirtschaftswelt warnten, wurde ausschließlich von den Segnungen der Globalisierung und des freien Marktes gesprochen. Die aktuelle Wirtschaftskrise, aber auch die Klimaproblematik, geben uns endgültig recht. Attac war ein Prophet. Unsere Vorschläge zur Krisenbewältigung stehen jetzt auf der Tagesordnung von Regierungskonferenzen.

sueddeutsche.de: Selbst die CSU findet die Tobin-Steuer auf Devisenspekulation inzwischen prima. Braucht es bald Attac nicht mehr?

Giegold: Schön wär's! Rhetorisch sind jetzt alle bei Attac. Aber das Reden wird nicht durch Handeln gedeckt.

sueddeutsche.de: Bundeskanzlerin Angela Merkel plädiert inzwischen für eine globale Transaktionssteuer.

Giegold: Das ist ein billiger Trick, um nichts tun zu müssen. Die weltweite Einführung der Steuer abzuwarten, ist völlig unrealistisch. Jeder weiß, dass die USA da nicht mitmachen werden.

sueddeutsche.de: Wenn Washington blockiert: Hat das Ganze überhaupt eine Chance?

Giegold: Sicher - wenn man eine Transaktionssteuer auf europäischer Ebene durchsetzt. Dafür könnte sich Frau Merkel einsetzen. Sie lässt das lieber sein. Im Konflikt mit der Finanzindustrie scheut die Bundeskanzlerin eine klare Aussage.

sueddeutsche.de: Namhafte Politiker verschiedener Couleur wie Oskar Lafontaine, Andrea Nahles und Heiner Geißler traten Attac bei. Wie hilfreich war und ist die Unterstützung von Politprominenz?

Giegold: Die Unterstützung von Politikern war immer Teil von Attac, seit Gründung. Auch Grüne haben sich da engagiert. Aber der "Druck von draußen" sollte der Kern von Attac bleiben und Politiker sollten sich weiterhin aus dem Alltagsgeschäft heraushalten.

sueddeutsche.de: Sie persönlich sind den umgekehrten Weg gegangen - von draußen nach drinnen, ins Parlament. Widerspricht das nicht dem Grundgedanken von Attac, jenseits der Politik politisch zu wirken?

Giegold: Das sehe ich nicht so. Meine Ziele haben sich ja nicht geändert. Alle Attac-Mitglieder in politischen Funktionen wissen, dass sie ohne Druck von außen wenig erreichen werden. Das hilft uns.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Giegold: Im Europaparlament werden wir regelrecht belagert von Lobbyisten der Finanzindustrie. Da braucht es ein Gegengewicht in Gestalt sozialer Bewegungen wie Attac, Verbraucherschützern, Gewerkschaften oder engagierten Unternehmen. Wenn die keinen Druck machen mit Protesten sowie Aktionen, die medial verbreitet werden, würde sich gar nichts bewegen.

"Gegeneinander von Linke und SPD muss enden"

sueddeutsche.de: In den Medien wirkt Attac trotz Krise wenig durchschlagskräftig - können Sie erklären, warum?

Sven Giegold Attac Deutschland Grüne dpa

Sitzt inzwischen für die Grünen im Europaparlament: Sven Giegold

(Foto: Foto: dpa)

Giegold: Seit acht Jahren fragen mich schubweise Medien nach nachlassendem medialem Attac-Interesse. Das ist schon amüsant. Ich kann das nicht erkennen. Die Aktion mit der "gefälschten" Zeit-Ausgabe beispielsweise war der größte mediale Erfolg - und das war 2009. Im nächsten Jahr plant Attac ein Banken-Tribunal, das den Nerv und das Interesse der Bürger kitzeln wird. Die Menschen wollen wissen, wer Schuld hat an der Krise. Solange die Globalisierung sozial und ökologisch nicht reguliert ist, hat auch die Bewegung eine Zukunft.

sueddeutsche.de: Welchen Änderungsbedarf sehen Sie bei Attac?

Giegold: Derzeit stellt sich die Frage: Wie reagiert man, wenn die Kernforderungen von sehr vielen Menschen geteilt werden? Das müsste Konsequenzen für die strategische Aufstellung von Attac haben.

sueddeutsche.de: Können Sie eine solche Strategie für die nächsten zehn Jahre umreißen?

Giegold: Es gibt sicher verschiedene Möglichkeiten für eine Neuaufstellung von Attac. Eine Option wäre die Radikalisierung. Wenn die Mehrheit den alten Thesen zustimmt, radikalisiert man sie. Eine andere Option wäre vom Agenda-Setting zur Durchsetzung von Forderungen überzugehen. Die Stärke von Attac war, Themen auf die politische Tagesordnung zu bringen. Künftig könnte es darum gehen, sie auch durchzusetzen. Das ist ein Lernprozess, den die Umweltbewegung auch durchgemacht hat. Damit ginge einher, Kräfte auf einzelne Kampagnen zu konzentrieren und sich dabei weiter zu professionalisieren.

sueddeutsche.de: Wie soll das funktionieren? Im Herbst haben die Deutschen eine Koalition gewählt, deren erstarkter Pfeiler die politische Heimat der Wirtschaftsliberalen ist - die FDP.

Giegold: Warten wir es ab: Gegen die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag steht inzwischen eine große Mehrheit, die zum Beispiel Steuersenkungen auf Pump ablehnen. Im Übrigen: Die Stimmung vor der Wahl war nicht pro FDP - immerhin haben 84 Prozent der Wähler anderen Parteien die Stimme gegeben. Schwarz-Gelb hatte Erfolg, weil es keine überzeugende Alternative gab. Das zu ändern, ist aber keine Aufgabe von Attac, sondern von Aktiven in Parteien ...

sueddeutsche.de: ... wie zum Beispiel von Attac-Mitglied und Linken-Chef Lafontaine, der sich an der Partei von Attac-Mitglied Nahles - der SPD - abgearbeitet hat.

Giegold: Ja, das stimmt. Da sind wir alle, auch meine Parteifreunde und ich von den Grünen, in der Verantwortung. Das Gegeneinander von Linkspartei und SPD ist das Gegenteil von dem, was man braucht, wenn Schwarz-Gelb nicht weiterregieren soll. Das muss aufhören. Aber selbst wenn wir eine Mitte-links-Koalition hätten, wird der Druck von Attac weiterhin gebraucht.

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