Misstrauensvotum in Paris:Die Krise hat System

- French Economy and Industry Minister Emmanuel Macron (L) speaks with Prime minister Manuel Valls as they attend a working session on the Macron's law at the French National Assembly in Paris on Febr

Frankreichs Premierminister Manuel Valls (rechts) mit Wirtschaftsminister Emmanuel Macron während einer Sitzung der Nationalversammlung.

(Foto: AFP)

Frankreichs politische Klasse suhlt sich in Schlammschlachten. Das aktuelle Misstrauensvotum ist eine Farce. Premier Valls und Hollande gelingt es nicht, die Kraft nach dem Terrorschock gegen Massenarbeitslosigkeit und Spaltung einzusetzen.

Kommentar von Christian Wernicke

Es gibt eine gute Nachricht aus Paris: Frankreichs Regierung taumelt nicht, sie wird auch diese Krise überleben.Das Misstrauensvotum, dem sich Premierminister Manuel Valls und seine sozialistischen Minister an diesem Donnerstag stellen müssen, ist eine Farce. Staatstheater. Inszeniert nach festem Drehbuch, mit vorhersehbarem Ausgang: Frankreichs Nationalversammlung wird feierlich zusammentreten im vergoldeten Plenarsaal des Palais Bourbon, viele hehre Worte und unheilige Schwüre werden verhallen, ehe die Abgeordneten gegen Sonnenuntergang zur Abstimmung schreiten - und den Status quo bestätigen: Die sozialistische Regierung bleibt im Amt.

Die geplante Reform ist nicht genug

War's das? Leider nein. Denn hier erst beginnt der Nation wirkliches Drama: Die Krise hat System. Frankreichs etablierte Parteien geben sich, wieder einmal, ihren zänkischen Ritualen hin. Rechts kämpft gegen links, linksaußen intrigiert gegen halblinks, die politische Klasse suhlt sich in nutzlosen Schlammschlachten.

Dabei ringt man doch eigentlich um nicht mehr als um ein arg bescheidenes Reformgesetz. Die "Loi Macron" - getauft nach dem jungen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron - wird so viel nicht ändern im weiten Land. Nicht genug jedenfalls. Drei bis vier Fünftel aller Franzosen bekunden in Umfragen, dass sich ihr Land erneuern muss. Und dass sie mehr Reformen wollen, selbst wenn diese ihnen schmerzliche Anpassungen zumuten.

Das Land versinkt wieder in Spaltung und Lähmung

Dieses Verlangen nach mehr Vernunft und Kompromiss hatte nach den Terroranschlägen vom Januar zusätzliche Kraft gewonnen: Der "Esprit du 11 Janvier" - benannt nach dem Datum der imposanten Massendemonstrationen für Freiheit und Toleranz - beseelte den Wunsch, die Probleme der Nation mit mehr "republikanischem Geist" und Gemeinsinn zu lösen. Vorbei, dieser Traum ist zerborsten. Der neue Geist des 11. Januar - er ist den alten Gespenstern unterlegen.

Destruktiver Einfluss

Am meisten triumphieren werden an diesem Donnerstag drei Dutzend Links-Sozialisten. Es ist dieser linke Flügel der Sozialistischen Partei (PS), welcher der eigenen, angeblich "zu sozialdemokratischen" Regierung die Schmach dieses Misstrauensvotums beigebracht hat. Die Denke dieser "Frondeure" wurzelt in Zeiten vor Mauerfall, Globalisierung oder Euro, und ihre neue Liebe gilt Griechenlands Syriza-Rebellen.

Sie werden Valls nicht das Misstrauen aussprechen, dazu plagt sie zu sehr die Angst vor Neuwahlen (und um ihr Mandat). Aber sie behalten destruktiven Einfluss im Parlament, als Geister, die stets verneinen: Sie werden auch künftig all jene sozialliberalen Reformen bekämpfen, die Frankreich so dringend benötigt, um Energie für mehr Wachstum und mehr Jobs zu freizusetzen.

Die Spaltung Frankreichs ist ein Fluch

Also müht sich die Regierung, anderswo ein paar Stimmen zusammenzuklauben. Nur - auch da stößt sich die Vernunft den Kopf blutig an altem Beton. Die so tradierte wie tiefe Spaltung Frankreichs in links und rechts, seit Jahrzehnten ein Fluch, nimmt inzwischen Ausmaße einer bipolaren Störung an.

Zwar verfolgen Präsident François Hollande und seine Regierung nun in kleinen Schritten Reformen, wie sie die bürgerliche Opposition selbst propagiert (und wie sie ein gewisser Nicolas Sarkozy vor 2012 zu feige war durchzusetzen). Aber nun, da es zum Schwur kommt, betreibt die UMP fundamentalistische Verweigerung: Lieber lässt sie den Gegner politisch scheitern, als dass sie mithilft beim ökonomischen Neuanfang.

Den Terrorschock als Chance zu nutzen, gelang Hollande und Valls nicht

Sicher, auch Hollande hat Fehler gemacht. Zu lange regierte er zu lau, erst die französische Not hat ihm Mut eingehaucht. Nach dem Terrorschock vom Januar hat Hollande zusammen mit seinem Premier Valls das Land klug durch ein Tal geführt.

Aber sie haben diese Krise nicht als Chance begriffen, nicht genutzt: Ihr steter Ruf nach der "vereinten Republik" meinte allein den Kampf gegen Gewalt und Gotteskrieger. Gegen die Geißel von Massenarbeitslosigkeit und sozialer Spaltung der Gesellschaft mochten sie keine "große Koalition" mobilisieren. Eine engere, systematischere Zusammenarbeit hin zur Mitte, mit den gemäßigteren und klügeren Köpfen der Rechten - dazu wollten sich die beiden nicht aufraffen.

Front National profitiert vom Streit

Also wird es weitergehen wie bisher. Mit Stückwerk. Das wird kaum genügen, um Frankreich wieder auf die Beine zu bringen. Und es wird zu lange dauern. Der Front National marschiert, Wirtschaftskrise und Frust über die politische Klasse treiben Marine Le Pen die Franzosen in die Arme.

Le Pen hat nichts zu bieten, ihr Programm mäandert zwischen absurd und gefährlich. Und doch wird die FN-Chefin die Gewinnerin dieses 19. Februars sein. Denn von jenem Tag, da Frankreichs Demokraten absurdes Theater aufführen, kann sie sagen: Sie hat nie mitgespielt. Immer mehr Franzosen reicht das.

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