Missglückte Geiselbefreiung in Algerien:Noch immer Geiseln in der Hand der Terroristen

Unübersichtliche Lage: Anders als bislang angenommen ist die Geiselnahme in einer algerischen Gasanlage nicht beendet und das Schicksal mehrerer Arbeiter ungeklärt. Etwa 50 Menschen sollen bei einem ersten Befreiungsversuch ums Leben gekommen sein. Heftige Kritik an der Informationspolitik Algeriens kommt aus Großbritannien und den USA.

Die algerischen Sicherheitskräfte konnten bisher offensichtlich nur einen Teil der von islamistischen Terroristen erstürmten Gasanlage im Osten des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur APS am späten Donnerstagabend berichtete, sei der Wohnbereich befreit. Dies gelte jedoch nicht für die Produktionsstätte. Dort habe das Militär bewaffnete Terroristen umstellt.

Zuvor hatte APS berichtet, die Befreiungsaktion sei beendet worden. Dann hieß es, diese Angaben hätten sich nur auf den Wohnbereich der Anlage bezogen. Ein britischer Beamter sagte dem US-Sender CNN am Freitag, dort gebe es an mehreren Stellen noch "Aktivitäten". Es sei jedoch unklar, was genau geschehe. Von britischer und amerikanischer Seite hieß es, die Militäroperation werde am Freitag bei Tageslicht weitergehen. Es gebe weiter Geiseln und Terroristen dort, zitierte der Sender einen nicht namentlich genannten hohen US-Beamten.

Der norwegische Energiekonzern Statoil, der an dem Gasfeld beteiligt ist, berichtet, acht seiner 17 Mitarbeiter seien noch vermisst, Informationen über sie gebe es nicht. In der Nacht auf Freitag hätten aber drei algerische Kollegen in Sicherheit gebracht werden können und seien nach Algier geflogen worden. Ein anderer freier Mitarbeiter würde noch medizinische Hilfe erhalten. Der Ölkonzern BP meldete, er habe keine gesicherten Informationen über Mitarbeiter.

Heftige Kritik an Algeriens Informationspolitik

Algerische Hubschrauber und Bodentruppen hatten das Terrorkommando angegriffen, das sich seit Mittwoch mit Dutzenden ausländischen Geiseln auf dem Gasfeld verschanzt hielt. Dabei gab es Medienberichten zufolge viele Tote, mehrere ausländische Arbeiter konnten jedoch befreit werden. Nach Darstellung der Terroristen starben allein bei Luftschlägen 35 Geiseln und 15 Kidnapper. Informationsminister Mohamed Said Belaid bestätigte im staatlichen Fernsehen erstmals, dass es Opfer gegeben habe.

Hinter der Geiselnahme steht nach algerischen Angaben die Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb (AQMI). Die militanten Islamisten forderten ein Ende des französischen Einsatzes in Mali. Die algerische Regierung lehnt Verhandlungen mit den Terroristen strikt ab.

In den USA, Großbritannien, Japan und Norwegen ist die algerische Informationspolitik bei der Befreiungsaktion kritisiert worden. Tokio sei über die Militäroperation zur Befreiung der Geiseln nicht informiert worden, sagte der japanische Regierungssprecher Yoshihide Suga am Freitag. Die Operation sei bedauerlich, wurde Suga von japanischen Medien zitiert. Die Regierungen in den USA, Frankreich, Norwegen, Großbritannien, Irland und Japan hatten zuvor bestätigt, dass sich Bürger ihrer Länder unter den Geiseln befinden.

Algerien startete Einsatz ohne Rücksprache

Für den französischen Präsidenten François Hollande bestätigt die Geiselnahme "noch mehr", dass das militärische Eingreifen in Mali gerechtfertigt sei. Es gehe dabei darum, eine "terroristische Aggression" zu beenden, sagte Hollande am Donnerstagabend in Paris. Die Situation auf dem Gasfeld sei "dramatisch". Er werde von den Behörden in Algier zwar regelmäßig informiert, sagte Hollande am Donnerstagabend in Paris. "Aber ich verfüge noch nicht über genug Informationen, um eine Bewertung abzugeben."

Die algerische Regierung hatte Verhandlungen von Anfang an strikt abgelehnt. Offenbar ohne Rücksprache mit westlichen Regierungen startete Algerien dann am Donnerstag einen Militärangriff auf die Anlage im Osten des Landes, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Ein Sprecher der Geiselnehmer sagte der mauretanischen Nachrichtenagentur ANI, bei dem Einsatz seien 34 Geiseln und 15 Kidnapper getötet worden.

Norwegen: Algerien lehnt Hilfe ab

Norwegens Regierung hatte am Donnerstagabend noch keine sicheren Informationen über das Schicksal der Geiseln. Ministerpräsident Jens Stoltenberg sagte in Oslo, dass seine Regierung Algerien offiziell um militärische Zurückhaltung zum Schutz der Geiseln gebeten habe. Er sei dann am Mittag um 12 Uhr telefonisch von seinem algerischen Kollegen lediglich über die bereits laufende Militäraktion informiert worden.

Er habe "absolut Hoffnung", dass alle neun Geiseln aus Norwegen noch am Leben seien. Die Lage sei aber "weiter äußerst ernst". Algerien habe auch ein Angebot zur sofortigen Bereitstellung medizinischer Hilfe aus Norwegen für mögliche Verletzte abgewiesen. Aus Oslo sollte trotzdem noch am Abend ein Flugzeug mit Fachpersonal und zum Heimtransport möglicherweise befreiter Geiseln nach Algerien in Bewegung gesetzt werden.

Das Weiße Haus fordert "Klarheit"

Bereits zuvor hatte der britische Premier Cameron die Informationspolitik der algerischen Regierung kritisiert. Er hätte es bevorzugt, vor Beginn der Militäraktion informiert zu werden, ließ Cameron schon über einen Sprecher mitteilen. Stattdessen habe London erst Informationen erhalten, als die Militäroperation bereits im Gange gewesen sei. Unter den Geiseln auf dem Gelände des Gasförderfelds, das von der britischen BP mitbetrieben wird, waren mehrere britische Staatsbürger.

Auch die USA verlangten von der algerischen Regierung "Klarheit" zur Geiselnahme in Nordafrika. Details über die Lage der US-Geiseln seien ihm nicht bekannt, sagte ein Sprecher des Weißen Hauses. Auf die Frage, ob die amerikanischen Geiseln am Leben oder tot seien, sagte Carney lediglich, die USA seien "tief besorgt über jeden Verlust unschuldigen Lebens".

Bundeswehr beginnt Mali-Einsatz

Die Bundeswehr hat am Donnerstag mit ihrem Mali-Einsatz begonnen. Zwei Transall-Transportflugzeuge starteten am Abend vom schleswig-holsteinischen Flugplatz Hohn aus. In dem westafrikanischen Land begann ein großer Truppenaufmarsch. Die Europäische Union will nach einem Beschluss der EU-Außenminister so rasch wie möglich Militärausbilder in das westafrikanische Land entsenden. Eine weitere Maschine sollte am Freitagmorgen vom bayerischen Fliegerhorst Landsberg aus starten. Heftiger Schneefall hatte ihren Start am Donnerstag zunächst verhindert.

Die Transporter sollen Soldaten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas in das Einsatzgebiet bringen, wo sie zusammen mit malischen und französischen Soldaten Islamisten aus dem Norden des Wüstenstaats zurückdrängen sollen. Jedes Flugzeug kann rund 90 Soldaten transportieren und wird mit zwei Crews besetzt. Französische Truppen sollen damit aber nicht transportiert werden.

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