Missbrauchsskandal:Der kirchliche Makel

Ein Missbrauchsfall nach dem anderen kommt ans Licht. Es zeigt sich: Für die Kirche zählt der schöne Schein noch immer mehr als das Wohl der Kinder.

Annette Ramelsberger

Wer durch deutsche Landschaften geht, erfährt an jeder Ecke, wie sehr das Christentum dieses Land geprägt hat: An den Autobahnen laden Kapellen zur Rast. An Wegen wachen Marienstatuen über die Wanderer. Auf den Bergen ragen Gipfelkreuze in die Höhe, und zumindest im Süden der Republik hängen Kruzifixe in Klassenzimmern und Gerichtssälen.

Wenn Politiker das christliche Abendland preisen, dann klingt das zwar aufgesetzt, aber falsch ist es nicht: Deutschland ist tief geprägt von seiner christlichen Geschichte. Staat und Kirche sind in einem Maße miteinander verwoben, wie es in vielen anderen europäischen Ländern unvorstellbar ist. Der Staat zieht die Kirchensteuer ein, er zahlt aus Steuermitteln das Gehalt der Bischöfe, er gibt Geld für jeden kirchlichen Kindergartenplatz.

Auch deshalb trifft die Missbrauchskrise die katholische Kirche mit besonderer Härte. Fast täglich bekennen sich Priester und Ordensleute nun dazu, dass sie Kinder missbraucht und geschlagen haben, dass sie davon gewusst, aber die Polizei nicht informiert haben.

Das erschüttert eine Gesellschaft, die bisher großes Vertrauen in die Erziehungsleistung der Kirche setzte: Noch immer wächst die Zahl der Schüler in katholischen Internaten, weil sich die Eltern dort besondere Fürsorge für ihre Kinder versprechen.

Bisher galt auch das Kloster Ettal als Vorzeige-Internat - nun stellt sich heraus, dass ein Pater Kinderpornos herunterlud, die Bilder von halbnackten Schülern auf Pädophilen-Seiten ins Internet stellte und Schüler systematisch verprügelt wurden. Statt Aufklärung zu fordern schließen sich viele Ehemalige lieber eng zusammen und beteuern sich gegenseitig, dass alles doch gar nicht so schlimm gewesen sei.

Natürlich betonen die betroffenen Internate, Orden, Bistümer, wie leid ihnen das alles tue, wie sehr sie sich schämten. Doch das alles ist so lange Schall und Rauch, solange man zum Kern des Problems nicht vordringt. Wo Autorität und Gehorsam viel bedeuten und kritische Fragen als unbotmäßig gelten, dort wird besonders hartnäckig geschwiegen und vertuscht.

Noch viel zu häufig halten selbst die Betroffenen das Bild von der unversehrten Gemeinschaft hoch, fühlen sich als Elite. Dass solche geschlossenen Systeme zur Verletzung der Privatsphäre geradezu einladen, das wird noch immer nicht erkannt. Wer sich als Elite fühlt, der kann nicht Opfer sein.

Auch die Kirche ist nicht wirklich bereit, Konsequenzen zu ziehen. Noch immer will sie lieber erst intern prüfen, ob ein Verdacht auf Missbrauch zutrifft. Noch immer will sie im Stillen entscheiden, ob man einen Verdacht an die Staatsanwaltschaft weiterleitet.

Es gibt keine Anzeigepflicht für sexuellen Missbrauch, in der Kirche nicht und auch bei Jugendämtern nicht. Aber eine Schule oder eine Behörde, die es ernst meint mit der Fürsorge, schaltet frühzeitig die Staatsanwaltschaft ein.

Denken statt Demut

Zu oft noch legt die Kirche den Mantel gnädigen Schweigens über die Sünder. Aber: Sie darf nicht warten, bis sich ein Täter selbst anzeigt. Es geht nicht um den schönen Schein, es geht darum, dass nicht noch ein Kind missbraucht wird. Gehorsam und Demut dürfen nicht wichtiger sein als kritisches Denken und Rückgrat.

Doch die Kirche windet sich. Hohe Würdenträger relativieren den Missbrauch, indem sie darauf verweisen, dass vieles schon lange her und deswegen verjährt sei. Viele erklären, sie hätten nichts gewusst. Nun soll es der Papst richten und sich mit Deutschland befassen - als wenn einzig aus dem Vatikan Aufklärung kommen könnte.

Das Krisenmanagement erschöpft sich in diesem Ruf nach Rom. Sonst fällt den Verantwortlichen nicht sehr viel ein. Es drängt sich das Gefühl auf, dass wichtiger als die Aufklärung immer noch ist, wer wem etwas sagen darf - zum Beispiel wenn sich der oberste Benediktiner Notker Wolf und der Münchner Erzbischof Reinhard Marx darüber streiten, wer die Leitung des Benediktinerklosters Ettal zum Rücktritt zwingen durfte.

Mittlerweile bemüht sich der Staat stärker um Schadensbegrenzung als die Kirche. Bundes- und Landesministerinnen wie Annette Schavan, Kristina Schröder und Beate Merk fordern Konsequenzen oder schlagen die Einrichtung runder Tische vor. Es sind fast verzweifelte Aufrufe an eine Gemeinschaft, die sich zunehmend nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Die katholische Kirche reagiert selbst auf leise Kritik mit höchster Erregung. Ultimativ wurde eine Entschuldigung gefordert, als Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anmerkte, die Kirche müsse bei Missbrauch besser mit den Staatsanwälten zusammenarbeiten. Und der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller wirft Kritikern schlicht vor, sie versuchten, die Kirche zu kriminalisieren. Es sind Totschlagargumente, die nur von Hilflosigkeit zeugen.

Dabei wäre eine Wertegemeinschaft wie die katholische Kirche in einer Zeit, in der alles beliebig und alles machbar erscheint, dringend nötig. Doch um mit ihren Mahnungen durchzudringen, bräuchte die Kirche Autorität. Sie müsste Teil der Gesellschaft sein, die sie kritisiert. Doch die Kirche verschanzt sich. So gewinnt sie nicht Autorität, sie verliert sie.

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