Missbrauch:"Sie behandeln uns wie Menschenmüll"

"Ich wurde brutal vergewaltigt", schreit ein Mann dem katholischen Bischof ins Gesicht. Bei einem öffentlichen Hearing kritisieren Opfer die beiden Kirchen für die schleppende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen.

Von Matthias Drobinski, Berlin

Claudia Mönius ist eine gestandene Frau mittleren Alters, sie kann reden und auftreten, doch jetzt bricht ihre Stimme. "Das erste Mal hört mir ein Vertreter der katholischen Kirche zu", sagt sie - und schaut zu Bischof Stephan Ackermann aus Trier. Gerade hat sich ihre Lebensgeschichte aus dem Lautsprecher wie ein dunkles Tuch über den lichtdurchfluteten Raum der Berliner Akademie der Künste gelegt, wo sich auf Einladung der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs", Missbrauchsopfer und Kirchenvertreter zum öffentlichen Hearing getroffen haben: Im Alter von elf bis 16 Jahren war sie die Geliebte des Gemeindepfarrers; ein Missbrauchs-Verhältnis zwischen einem Kind und einem 50-Jährigen, der dem verwirrten Mädchen erzählte, er bringe sie so dem Himmel näher. Erst 2010, als die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg bekannt wurden, traute sie sich, offen über das Erlebte zu reden.

Es ist ein harter Tag für Bischof Ackermann, den Beauftragten der katholischen Bischofskonferenz für Fälle von sexuellem Missbrauch, ein harter Tag für die Hamburger evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs, die die evangelische Kirche in Deutschland vertritt. Günter Rotenburg erzählt, wie der evangelische Pfarrer, der mit ihm Latein lernte, ihn erst küsste und dann ins Bett zog; wie er versuchte, sich umzubringen. Vor kurzem hat Rotenburg sich an seine westfälische Landeskirche gewandt - und fühlt sich erneut gedemütigt: Zuerst blieb sein Brief über Monate unbeantwortet; was dann kam, empfindet er als nichtssagend. Seine Stimme zittert. "Wir werden von der Kirche allein gelassen," sagt er.

Fehrs und Ackermann setzen sich in ihren Kirchen dafür ein, dass das Thema sexualiserte Gewalt auf der Agenda bleibt - durchaus gegen Widerstände. Doch auf dem Treffen der Betroffenen, die Opfer in Gemeinden, Internaten, Heimen wurden, stehen sie für die Institution der Täter, für alles, was noch schief läuft. "Ich wurde brutal vergewaltigt", ruft einer der Betroffenen, geht nach vorne, schaut Ackermann an - "und Sie behandeln uns wie Menschenmüll!" "Das muss ich aushalten", sagt Ackermann später.

Auch die geladenen Fachleute von der Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch kritisieren, dass die beiden Kirchen oft hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückblieben. Häufig brauche es den Druck der Betroffenen und der Öffentlichkeit, bis etwas passiere, sagt Sabine Andresen, die Vorsitzende der Kommission. Es gebe immer noch Strukturen, die Verschweigen und Vertuschen begünstigten, moniert der Münchner Psychologe Heiner Keupp - man müsse zum Beispiel fragen, wie weit das Beicht- und Seelsorgegeheimnis gelte, wenn dort ein Missbrauch gestanden werde. Die Betroffene Cerstin Claus kritisiert, dass es immer noch keine klare Regelung für einen überregionalen Beauftragten in der evangelischen Kirche gebe. Ja, es sei schwer, unter den 20 eigenständigen Landeskirchen bundesweite Strukturen aufzubauen, gibt Bischöfin Fehrs zu, aber es passiere auch etwas - "in der Nordkirche haben wir jetzt ein Präventionsgesetz". Und Bischof Ackermann stellt in Aussicht, dass am 23. September die lang erwartete umfassende Studie zur sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche vorgestellt werde.

Dann kommt Franziska Giffey, die SPD-Familienministerin, mit einer guten Botschaft: Das Amt des Missbrauchsbeauftragten werde entfristet, sie wolle sich dafür einsetzen, dass es ein besseres Opferentschädigungsgesetz gibt, das heute viele Betroffene vor hohe Hürden stellt. Sie werde dafür kämpfen, verspricht sie, und ruft: "Penetranz schafft Akzeptanz!" Befreites Lachen geht durch den Raum.

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