Missbrauch:Die direkte Konfrontation mit Kindesmissbrauch ist hart - aber nötig

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Im Kampf gegen die Verbrecher benutzen die Ermittler Methoden, die vielleicht schwer erträglich, aber erfolgreich sind - und womöglich dazu geführt haben, dass sie das Netzwerk "Elysium" gefunden haben.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Monströs ist die Zahl: 87 000 Menschen tauschen auf einer Internetplattform kinderpornografisches Material aus. Sie schicken sich Videos und Fotos zu, auf denen Kinder missbraucht werden, viele Babys sind darunter. Sie verabreden sich zu sexueller Gewalt gegen Kinder, sie vereinbaren Uhrzeit, Ort und Alter der Opfer. 87 000 Menschen hatten sich weltweit zusammengetan auf einer Plattform und gaben ihr auch noch den Namen "Elysium". Dass Fahnder dieses Netzwerk nach monatelangen Ermittlungen nun abschalten konnten, ist nur möglich, weil sie Wege gehen, die teils umstritten, teils schwer zu ertragen, aber trotzdem nötig sind.

Der Ausdruck Darknet, dunkles Netz also, passt wohl nirgends besser. Aus diesem verborgenen Teil des World Wide Web fördern die Fahnder Unfassbares zutage. Über Suchmaschinen ist Kinderpornografie nicht einfach zu finden, dafür sind hochspezialisierte Experten nötig. In Gießen gibt es seit sieben Jahren eine Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). Sie ist bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt angesiedelt und die erste Adresse für das Bundeskriminalamt, auch wenn es um Ermittlungen zur Kinderpornografie geht.

Fast alle Kinder, deren Bilder die Fahnder zeigen, werden gefunden

Man mag sich nicht ausmalen, was die Fahnder in abgedunkelten Räumen auf ihren Bildschirmen sehen und wie sie selbst das innerlich verarbeiten. In der Öffentlichkeit müssen sie aber immer noch um Verständnis für ihre Methoden werben - etwa für die sogenannte Schulfahndung, die sie erfunden haben: Wenn die Suche nach den Tätern erfolglos ist, gehen die Fahnder den umgekehrten Weg. Sie suchen die Opfer. Aus Missbrauchvideos schnipseln sie Porträts der Kinder heraus. Regelmäßig zeigen Beamte diese Bilder dann Lehrern in ganz Deutschland. Sitzt eines dieser Kinder zufällig in ihrem Klassenzimmer? Alles geschieht vertraulich. Fast alle Kinder, deren Bilder die Fahnder zeigen, werden gefunden. Trotz dieses Erfolgs und obwohl auf den Bildern keine Missbrauchshandlungen zu sehen sind, reagieren Lehrer aber immer wieder unangenehm berührt, möchten nicht mitmachen.

Ähnlich erging es einem Forschungsprojekt der Uni Regensburg vor einigen Jahren. Eigentlich wollten die Forscher deutschlandweit Schüler zu Missbrauch befragen, teils sehr direkt: "Hat dich jemals jemand dazu gedrängt, seinen Penis in den Mund zu nehmen?" - "Wurdest du jemals von einer anderen Person zu Sex gegen Geld gezwungen?" Die Kultusminister von Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen fanden die Fragen zu heikel und stoppten die Aktion an ihren Schulen. Am Ende brachte die Studie dennoch ein Ergebnis: Acht von 100 Deutschen zwischen 18 und 30 Jahren geben an, Betroffene sexuellen Missbrauchs zu sein oder gewesen zu sein, auch im Kindesalter.

Die Gesellschaft öffnet sich für das Thema Kindesmissbrauch

Die direkte Konfrontation mit Kindesmissbrauch ist hart - aber nötig. Es ist anzunehmen, dass Kinderpornografie-Netzwerke häufiger auffliegen. Das macht die wachsende technische Finesse der Fahnder möglich, aber auch das kürzlich beschlossene Gesetz zur Überwachung von Messenger-Diensten auf Smartphones, so umstritten es auch ist. Ermittler dürfen damit leichter Computer online durchsuchen, eben auch beim Verdacht der Verbreitung von Kinderpornografie.

Die Kriminalstatistik weist seit einiger Zeit mehr Anzeigen von Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung aus. So seltsam es klingt: Das ist ein gutes Zeichen. Denn es zeigt, dass sich die Gesellschaft dem Thema Kindesmissbrauch öffnet, dass die Sensibilität wächst. Die Menschen schauen nicht mehr nur zu und lassen geschehen. Sie gehen zur Polizei. Sie hellen damit zumindest das Dunkelfeld auf.

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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