Missbrauch:Bloß keine Polizei

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Wo es geht, werden eigene Bereiche nur für Frauen eingerichtet. (Foto: Adam Berry/Getty)

Viele geflüchtete Frauen und Mädchen reisen allein, manche sind Opfer sexueller Übergriffe. Doch nur wenige Fälle werden aktenkundig.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Im südhessischen Darmstadt werden, wie überall, Unterkünfte für Flüchtlinge dringend gesucht. Auf dem Gelände der Starkenburg-Kaserne stehen von dieser Woche an 350 Plätze bereit, reserviert für Frauen und Kinder. Eine Entscheidung mit Bedacht. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) argumentiert: Vielen asylsuchenden Frauen sei in ihrer Heimat oder auf der Flucht Gewalt widerfahren. Sie bräuchten besonderen Schutz.

Grüttner spricht ein Problem an, das Menschenrechtsorganisationen, Frauenverbände und Flüchtlingsexperten seit Längerem beklagen, das in der Debatte über den Umgang mit Schutzsuchenden in Deutschland aber kaum öffentliche Beachtung findet. Was kann und muss man tun für alleinreisende Frauen, die sich nach Deutschland durchgeschlagen haben?

Unter ihnen sind Frauen und Mädchen, so erzählen es Expertinnen von Frauenorganisationen, die in ihrer Heimat Opfer von Genitalverstümmelungen wurden, zu Hause oder auf der Flucht vergewaltigt wurden oder ihren Körper an Schlepper oder Helfershelfer verkauften, weil sie kein Geld zur Bezahlung hatten. Und bei der Ankunft in Europa ist für manche das Martyrium noch nicht zu Ende. Auch in den Erstaufnahmelagern und Gemeinschaftsunterkünften gibt es nach Darstellung von Hilfsorganisationen sexuelle Gewalt und Übergriffe auf Flüchtlingsfrauen.

Zur Polizei wollte die Frau keinesfalls - aus Angst, dass man sie wieder zurückschickt

Aktenkundig werden solche Fälle kaum. In dem inzwischen überfüllten hessischen Erstaufnahmelager in Gießen zeigte der Vater einer zehnjährigen Tochter einen mutmaßlichen sexuellen Übergriff an. Der Verdacht, so die Auskunft der Polizei in Gießen, habe sich aber offenbar nicht bestätigt. In Rheinland-Pfalz wurde die Beraterin der Frauennothilfe, Anette Diehl, zu einer Frau gerufen, die beklagte, von einem freiwilligen Helfer in der Unterkunft sexuell belästigt worden zu sein. Zur Polizei wolle die Frau aber nicht gehen, der Sachverhalt wurde nie abschließend geklärt. Für Diehl und Experten anderer Organisationen ist das keineswegs überraschend. Die Frauen aus Afrika, Asien und den südlichen Staaten Europas hätten große Hemmungen, über sexuelle Gewalt zu sprechen, zumal in einem fremden Land, in dem sie sich allzu meist nur über Dolmetscher verständigen können. Sie hätten keinen sicheren Status und befürchteten, in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden. Zur Polizei wollten die Frauen in ihrer schwierigen Lage kaum gehen, sagt die Frauenbeauftragte der Stadt Gießen, Friederike Stibane. Auch Anette Diehl vermutet: "Die Dunkelziffer sexueller Übergriffe ist hoch."

Frauen machen etwa ein Drittel der Asylbewerber in Deutschland aus. Wo es geht, werden in den Erstaufnahmelagern Sektionen für alleinstehende Flüchtlingsfrauen und die mit Kindern reserviert. In einigen Städten - darunter München, Potsdam und Halle - gibt es gesonderte Häuser für Flüchtlingsfrauen, die ihren Asylantrag bereits gestellt haben und deshalb in Einzelunterkünften Platz finden. Aber bei dem gegenwärtig starken Zustrom lässt sich eine Trennung wohl nicht gewährleisten. Selbst wenn es Schutzräume gibt: Auf dem Weg zu Waschräumen und Toiletten sind Frauen und Kinder, die Schwächsten unter den Schwachen, nicht vollends sicher.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin mahnte deshalb in einer seiner jüngsten Studien: "Der Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften weist derzeit erhebliche Defizite auf, die mit den zunehmenden Flüchtlingszahlen sichtbarer werden." Und Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, fordert deutlich mehr Augenmerk für die Sicherheit von Kindern in den Unterkünften.

Die EU schreibt in ihrer neuen Richtlinie generell einen besonderen Schutz für besonders schutzbedürftige Asylbewerber vor, darunter sind Schwangere, Alleinerziehende und solche, die Opfer von Gewalt wurden. Deutschland hat diese Vorschriften allerdings bislang noch nicht umgesetzt.

Zugleich gibt es auch alleinreisende und um ihre Sicherheit besorgte Asylbewerberinnen, die keinesfalls in gesonderten Arealen untergebracht werden wollen. Barbara Behnen aus Gießen, Mitarbeiterin der lokalen Organisation Wildwasser, die sexuell Missbrauchten zur Seite steht, traf eine geflüchtete Frau, die sich zunächst ohne Beistand auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte. Auf der Flucht traf sie eine Familie, die ebenfalls auf der Suche nach Asyl in Europa war. Sie wurde von ihr sozusagen adoptiert. Von ihrer Ersatzfamilie, so sagt Behnen, wolle sich die Frau im Aufnahmelager aber unter keinen Umständen wieder trennen.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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