Minister Tiefensee:Großer Bahnhof

Erstmals gibt es Interesse am Verkehrsminister - das sagt alles über seine Amtsführung. Die Union hat mit Glos und Jung schwache Minister. Die SPD mit Tiefensee.

Nico Fried, Berlin

In dieser Woche wird Wolfgang Tiefensee etwas erfahren, was er gar nicht kennt: Aufmerksamkeit. Am Montag spricht der Minister erst zum Stand der deutschen Einheit und zieht später eine Bilanz des Aufbaus Ost. Am Mittwoch dann berichtet er im Verkehrsausschuss des Bundestages über den Bahn-Börsengang und dessen bemerkenswerte Begleiterscheinungen wie Bonus-Zahlungen und entlassene Staatssekretäre. Tiefensee hat ein großes Ressort und viele Zuständigkeiten. Aber seine Politik wird nicht im Vordergrund stehen, wenn Kameras und Mikrofone auf ihn gerichtet sein werden, sondern nur die eine Frage: Herr Minister, wann treten Sie zurück?

Minister Tiefensee: Minister Tiefensee: Unauffällig bis unsichtbar

Minister Tiefensee: Unauffällig bis unsichtbar

(Foto: Foto: dpa)

Tiefensee steckt in einer ganz simplen Klemme: Entweder hat er frühzeitig von den Bonus-Zahlungen an den Bahn-Vorstand gewusst, dann wäre es schon ziemlich lächerlich, dass er sich erst so spät als ihr vehementester Gegner inszenierte. Oder aber er wusste nichts von den Vereinbarungen, dann steht er als Minister da, der den Überblick im eigenen Haus verloren hat. Beides sind nach herkömmlichen Kriterien ganz passable Rücktrittsgründe.

Jung, Glos, Tiefensee

Der Börsengang der Bahn war und ist Tiefensees zentrales Projekt. Sollte man meinen. Doch dem Minister ist es über Jahre nicht gelungen, die Bürger von der Notwendigkeit dieser Teil-Privatisierung zu überzeugen, von seiner Partei mal ganz zu schweigen. Wer Tiefensees Rede auf dem Hamburger SPD-Parteitag erlebt hat, als im Herbst 2007 die Entscheidung über den Börsengang anstand, der konnte einen überforderten Minister hören und sehen, den der damalige Parteichef Kurt Beck vor einer Blamage bewahren musste. Und so war es auch kein Wunder, dass der Börsengang in Wahrnehmung und Wirklichkeit immer deutlicher mit Finanzminister Peer Steinbrück in Verbindung gebracht wurde.

Ein Rücktritt würde Tiefensee also nur eine politische Rolle kosten, die er ohnehin nie wirklich gespielt hat. Dabei ist das Verkehrsministerium mit seinem gewaltigen Investitionsetat eigentlich ein Paradies für Selbstdarsteller. Was würde ein Mann wie, sagen wir, Sigmar Gabriel aus der Chance machen, immer wieder Straßen, Trassen oder Tunnel zu eröffnen und sich von den Bürgern für die Segnungen aus dem Bundeshaushalt feiern zu lassen?

Trotz alledem hat Tiefensee, wenn er nicht selbst den Notausgang wählt, Chancen, im Amt zu bleiben. Die Kanzlerin wird ihn nicht entlassen, wenn sich der Koalitionspartner dagegenstellt. Und die SPD wird ihn halten, weil sie kein Interesse hat, ihre Selbstdarstellung der eigenen Minister als angebliche Stützen des Kabinetts zu konterkarieren. Was das Mitziehen von schwachen Ministern betrifft, begegnet man sich in der großen Koalition schließlich auf Augenhöhe: Die CDU hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung, die CSU Wirtschaftsminister Michael Glos, die SPD Tiefensee. Bei dieser Parität verständigt man sich leicht darauf, alles zu lassen, wie es ist.

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