Mindestlohn:Was 34 Cent bewirken können

Noch gibt es über den Mindestlohn mehr Debatten als belastbare Daten. Am 1. Januar steigt er auf 8,84 Euro brutto.

Von Christoph Dorner, Berlin

Der Mindestlohn werde die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen schwächen, klagten die Arbeitgeber. Der Ökonom Hans-Werner Sinn prophezeite den Abbau von bis zu 900 000 Arbeitsplätzen. "Die großen Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet", sagt Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Zum 1. Januar 2017 erhöht sich der Mindestlohn nun erstmals seit seiner Einführung - er steigt um 34 Cent auf 8,84 Euro brutto. Mit größeren Effekten auf die Beschäftigung in Deutschland sei aber auch aufgrund der guten Konjunktur vorerst nicht zu rechnen, glaubt Möller.

"Wir sollten nicht zulassen, dass im Niedriglohnsektor eine Neiddebatte entsteht"

Noch gibt es zu den Auswirkungen des Mindestlohns mehr Meinungen als belastbare Daten. Eine IAB-Studie kam in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass wegen des Mindestlohns bis zu 60 000 Einstellungen nicht erfolgt sein könnten. Dies falle gesamtwirtschaftlich aber kaum ins Gewicht, so Möller. Sein Institut hat zudem errechnet, dass 2015 jeder zweite abgebaute Mini-Job in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt wurde.

Mit der Anpassung des Mindestlohns über den Tarifindex geht die Debatte trotzdem weiter. "Die Anhebung halte ich für verfrüht, weil wir einen gewaltigen Integrationsbedarf von weniger gut qualifizierten Flüchtlingen haben", sagt etwa Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Auch die Wirtschaftsweisen hatten in ihrem Gutachten kritisiert, dass "die Mindestlohnerhöhung die Unternehmen hinsichtlich des zukünftigen Niveaus des Mindestlohns verunsichern und so der Schaffung von Arbeitsplätzen entgegenstehen" könnte.

Ausnahmeregelungen lehnen aber vor allem die Gewerkschaften ab. "Wir sollten nicht zulassen, dass im Niedriglohnsektor eine Neiddebatte entsteht", sagt auch IW-Ökonom Lesch. Für Arbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Stelle sind, gibt es bereits die Einschränkung, dass der Mindestlohn erst sechs Monate nach der Einstellung bezahlt werden muss. Bislang wurde diese Regelung jedoch kaum in Anspruch genommen, betont IAB-Direktor Möller. Gleichwohl fordern die Arbeitgeber, erleichterte Zugänge zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Roland Wolf, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), plädiert dafür, Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose und Menschen ohne Berufsausbildung nach einer Anstellung zwölf Monate vom Mindestlohn ausnehmen zu können. Auch die Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Sandra Warden, sagt, dass ihre Mitgliedsbetriebe genauer darauf achten müssten, dass die Arbeitnehmer die anfallenden Lohnkosten auch erwirtschaften. Dass durch den Mindestlohn auch die Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Bewerber gestiegen sind, hat auch das IAB zuletzt registriert. Etliche Hotel- und Gaststättenbetriebe gingen mittlerweile den Weg, Ertragsrückgänge nicht nur durch steigende Preise, sondern auch durch eine Reduzierung des Service aufzufangen, sagt Warden.

Für IAB-Direktor Möller bleibt positiv, dass Wettbewerb weniger über Dumping-Löhne, sondern eher über Qualität stattfinde. Hagen Lesch sagt, für die Entwicklung der Mindestlohnhöhe dürfe es keine Denkverbote geben.

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