Milliarden für gute Zwecke:Spenden ist in den USA zu einem irren Geschäft geworden

Salvation Army kettle drive in New York A Salvation Army bell ringer outside Bryant Park in New York

In den USA bittet die Heilsarmee im alten Stil um Spenden. Die meisten anderen Organisationen treiben da viel mehr Aufwand.

(Foto: imago/Levine-Roberts)
  • Nirgendwo auf der Welt spenden die Menschen so viel wie in Amerika: 390 Milliarden Dollar waren es 2016.
  • Das liegt auch daran, dass US-Amerikaner weniger Steuern zahlen müssen als zum Beispiel die Deutschen.
  • Dadurch sind viele öffentliche Einrichtungen von Spenden abhängig und müssen dementsprechend Werbung betreiben.

Von Kathrin Werner

Im Briefkasten vieler New Yorker landete in diesen Tagen ein dicker Umschlag. "Please help", stand darauf, bitte helfen Sie. Der Brief war eine wahre Wundertüte: Personalisierte Adressaufkleber mit dem eigenen Namen waren darin zu finden, drei glitzernde Weihnachtskarten, ein Kuli, Baumschmuck, mehrere bunte Notizblöcke, zwei Traumfänger, alles "made in China". Dazu Fotos von kleinen Kindern und Geschichten über ihre Weihnachtswünsche: LaSheena bittet um Bücher, Bella um Wachsmalstifte, und Kelli hätte so gerne eine Barbie. Wer acht Dollar schickt, sorgt für ein Weihnachtsessen. Zwölf Dollar finanzieren eine Winterdecke. Und mit fünf Dollar ließen sich die Kosten dieses unverlangt zugestellten Umschlags voller Geschenke ausgleichen.

Die St. Joseph's Indian School, ein katholisches Internat für Kinder aus den Lakota-Reservaten in South Dakota, sammelt mithilfe solcher Spendenaufrufe Millionen ein. Und sie sind nicht die Einzigen. Die Briefkästen quellen vor Weihnachten über mit Spendengesuchen, jeden Tag sind es eine Handvoll: von Obdachlosenheimen, Umweltgruppen, Musikvereinen. Die Hungerhilfe Food for the Poor (Essen für die Armen) schickte gar einen Brief, durch dessen Fenster ein Penny und eine Fünf-Cent-Münze hervorlugten - man solle sie zurückschicken, plus Scheck natürlich.

Spenden ist in den USA zu einem irren Geschäft geworden. Nirgendwo auf der Welt geben die Menschen so großzügig wie in Amerika: 390 Milliarden Dollar waren es 2016, das ist mehr als der deutsche Bundeshaushalt und 2,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in diesem Jahr wird die Summe allen Prognosen nach steigen. Nirgendwo werden Spenden aber auch so gebraucht, um Dinge am Laufen zu halten, die anderswo der Staat übernimmt. Denn ob Oper oder Obdachlosenhilfe, Museum oder Universität: Alle bekommen nur wenig oder gar keine öffentliche Hilfe. Es gibt eine endlose Zahl von Gruppen, die um die Gönner-Milliarden buhlen.

Hochschulen, Kirchen, die Oper - sie alle sind auf Zuwendungen angewiesen

Dass die US-Amerikaner so viel mehr geben als die vergleichsweise kleine Summe von 5,3 Milliarden Euro, die Deutsche im vergangenen Jahr gespendet haben, liegt nicht unbedingt daran, dass sie nur großzügiger wären. Tatsächlich müssen die US-Bürger weniger Steuern zahlen als etwa die Deutschen. Sie haben also einerseits im Schnitt mehr Geld zur Verfügung für Spenden. Andererseits hat der Staat eben weniger Geld für Aufgaben, die in Deutschland oder anderen europäischen Ländern selbstverständlich der Staat übernimmt.

Die größten Nutznießer amerikanischer Wohltätigkeit sind Kirchen und Religionsgruppen, auf sie entfällt etwa ein Drittel der Spenden. Kirchensteuer wie in Deutschland gibt es nicht. Universitäten sind ebenfalls auf Spenden angewiesen, in Deutschland dagegen ist das Bildungssystem fast komplett staatlich organisiert. Auch die Künste oder öffentlich-rechtliche Medien bekommen in Deutschland mit Abstand mehr Förderung. Deshalb flattert vor Weihnachten Bittstellerpost etwa von der Metropolitan Opera in Manhattan ebenfalls in fast jeden Briefkasten in New York.

Wenn Amerikaner also wollen, dass es Obdachlosenunterkünfte, die Oper oder öffentlich-rechtliche Radiosender weiter gibt, müssen sie dafür spenden. Das hat eine einschneidende Folge: Reiche Wohltäter statt demokratisch gewählter Regierungen entscheiden in vielen Fällen darüber, was gefördert wird. "Ein ganz großer Anteil der Spenden kommt von den Superreichen", sagt der Ökonom Jon Bakija, der am Williams College in Massachusetts zur US-Spendenwirtschaft forscht. Zwar geben die Superreichen heute einen kleineren Prozentsatz ihres Vermögens für gute Zwecke aus als in der Vergangenheit, weil ein Teil der Steuervorteile weggefallen ist. Doch weil Amerikas Reiche immer noch reicher werden, steigt die Gesamtsumme der Spenden trotzdem weiter.

Früher galt die sogenannte 80-20-Regel: 80 Prozent der Spenden kommen von 20 Prozent der Spender. Mit der Einkommensschere geht nun auch die Spender-Schere auseinander. Inzwischen kommen gut 98 Prozent der US-Spendensumme von gut zwei Prozent der Geldgeber. "Was die Reichen besonders interessiert", sagt Bakija, "bekommt eben besonders viel Geld." Reiche sponsern lieber Kultureinrichtungen oder verewigen, gegen eine milde Gabe, ihren Namen über dem Bibliothekseingang an einer Uni. Für Suppenküchen oder Bildungsprogramme für Arme haben sie nicht so viel übrig.

Reiche sponsern lieber Kultureinrichtungen als Suppenküchen

Die Summe, die amerikanische Kleinspender geben, sinkt indes seit Jahren. Entsprechend heftig ist dieser Markt umkämpft. "In der Theorie soll Wettbewerb um Spendengeld dazu führen, dass die wohltätigen Organisationen besser werden", sagt der Ökonom Bakija. Wenn die Institutionen mehr um Geld werben müssten, hätten sie einen Anreiz, gute Arbeit zu leisten und das zu beweisen. Also mehr Wettbewerb für mehr Transparenz und mehr Effizienz beim Einsatz der gespendeten Dollar. So sieht das in der ökonomischen Theorie aus. In der Praxis klappt das nicht immer so.

Zum Beispiel bei der St. Joseph's Indian School. Früher hat das Missionars-Internat Briefe mit dramatischen Geschichten von Gewalt und Drogen geschickt, unter denen viele Lakota-Kinder leiden, samt traurigen Fotos. Organisationen der Native Americans hatten das als "Armuts-Pornografie" kritisiert. Inzwischen erzählt die Schule davon, wie die Spenden ihre Schüler glücklich machen. LaSheena, Bella und Kelli lachen auf den Fotos.

Doch ihre hemdsärmeligen Methoden beim Spendeneintreiben hat die Schule nicht geändert. Die Kinder existieren so nicht, zumindest sind Namen und Fotos geändert. Den langen Brief von LaSheena, der im Umschlag steckte, hat kein Kind geschrieben. Zudem weigert sich das Internat, die Finanzdaten wirklich offenzulegen. Nur so viel: Mehr als 80 Millionen Dollar hat St. Joseph's im vergangenen Jahr mit der aggressiven Spendenwerbung eingenommen. Lediglich ein Bruchteil landet offenbar bei den Kindern. Allein 34 Millionen gingen in die Bettelbriefe und die Spendenverwaltung. "Die Postsendungen sind billiger, als man denkt", verteidigt sich die Schule indes. "Sie kosten nur knapp 1,50 Dollar, samt Porto."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: