Militärregierung:Ägyptens Generäle spielen ein gefährliches Spiel

Nur sechs Monate wollte das Militär nach dem Sturz des Diktators Mubarak an der Macht bleiben, dann die Führung abgeben. Doch noch immer haben die Ägypter kein Parlament gewählt und keinen Präsidenten. Das postrevolutionäre Durcheinander und der Aufstieg der Islamisten kommen der Armee gelegen. An einer wirklichen Demokratisierung sind die Generäle nicht interessiert.

Tomas Avenarius, Kairo

Die Macht hängt Ägyptens Militär wie ein Mühlstein am Hals. Als die Generale sich am 11. Februar auf die Seite der Revolution geschlagen und Präsident Hosni Mubarak gestürzt hatten, schworen sie öffentlich: Wir geben die Führung des Landes nach einem halben Jahr wieder ab.

Tantawi: Kein Kandidat des Militärs für Parlamentswahl

Hussein Tantawi - Vorsitzender des ägyptischen Militärrats und alter Mubarak-Vertrauter. Regierungskritische Demonstranten fordern seinen Sturz.

(Foto: dpa)

Es ist anders gekommen. Die Tahrir-Revolution geht in den neunten Monat, noch immer haben die Ägypter kein Parlament gewählt und auch keinen Präsidenten. Die Wirtschaft des 85-Millionen-Einwohner-Landes liegt am Boden, die öffentliche Sicherheit verfällt. Die Laien-Politiker vom Obersten Militärrat Scaf wirken auf ihrem kollektiven Präsidentenposten überfordert. Sie scheinen inzwischen nur noch daran interessiert zu sein, dass beim Volk der Eindruck einer Gefährdung der nationalen Sicherheit entsteht; der Retter Ägyptens in der Not wäre mal wieder das Militär.

Die Selbstdarstellung der Scaf-Offiziere, die "Hand in Hand" mit dem Volk den Diktator gestürzt haben wollen, gerät in die Kritik. Proteste gegen Militärgerichte, die über Zivilisten urteilen, sind alltäglich. Die Parteien stellen das von den Generalen zusammengeschusterte Wahlgesetz erfolgreich in Frage. Auf Demonstrationen wird "der Sturz des Feldmarschalls" gefordert - gemeint ist der alte Mubarak-Vertraute und Scaf-Chef Mohamed Hossein Tantawi.

Unantastbarer Machtfaktor

Die "Revolutionäre" mit den Generalstressen hatten beim Mubarak-Sturz ein klares Anliegen. Transformation der Macht: ja. Wirkliche Demokratisierung, Aufgabe der eigenen Sonderstellung und die Offenlegung ihres Wirtschaftsimperiums: nein. Ägyptens Militär wollte bleiben, was es immer gewesen war, der unantastbare Machtfaktor im Land.

Das postrevolutionäre Durcheinander, das Erstarken der Islamisten, die Aufmüpfigkeit der koptischen Christen und die Beharrlichkeit der jungen Revolutionäre bei ihrer Forderung nach einem Aus für die Vertreter des Mubarak-Regimes haben den Sechs-Monats-Plan obsolet werden lassen. Das Militär kann die Macht erst übergeben, wenn die eigene Position gesichert und das Land stabilisiert ist.

Die Generale spielen ein gefährliches Spiel. Sie haben zugelassen oder sogar arrangiert, dass die Anti-Israel-Stimmung angeheizt wird. Die Stürmung der israelischen Botschaft durch einen Mob war Ergebnis dieser Politik. Diese "anti-zionistische" Haltung schweißt die Ägypter und die Generale zusammen. Im Gegenzug hat sich der Scaf zwar Kritik aus den USA und Europa eingehandelt. Die Offiziere haben aber auch klargestellt, dass nur eine starke Führung verhindern kann, dass der für das Gleichgewicht im Nahen Osten zentrale Friedensvertrag mit Israel nicht aufgekündigt wird.

Mindestens 40 Prozent für die Islamisten

Nun sollen offenbar die Christen instrumentalisiert werden. Die Kopten sind eine Minderheit, Vorurteile sind leicht abzurufen. Wer die mindestens drei Militärangehörigen bei den Krawallen getötet hat, ist ungeklärt, aber ein Bild zeichnet sich ab: Die muslimische Bevölkerungsmehrheit steht mit dem Militär gegen die vaterlandslose Minderheit. Auf der Scaf-Facebook-Seite durfte ein Ägypter anonym kommentieren, dass "die armen Soldaten, die mal von Juden und mal von Christen getötet werden", besser geschützt werden müssten.

Ende November steht die Parlamentswahl an, das Ergebnis ist nicht abzusehen. Eine Umfrage des "Al-Ahram Zentrums für politische und strategische Studien" geht von mindestens 40 Prozent für die Islamisten aus. Auch die Kräfte des alten Regimes, den Generalen aus Mubarak-Zeiten verbunden, drängen: Sie wollen Vertreter im Parlament, um wieder an der Macht teilzuhaben. Wie viel Prozent hinter den Demokraten stehen, ist unklar: 45 Prozent der Befragten bezeichneten sich als "Islamisten".

Bei dieser Gemengelage dürfte es dem Scaf schwerfallen, eine ihm genehme Regierung herbeizumanipulieren. Eine Wahlverschiebung wegen der Sicherheitslage könnte im Interesse der Offiziere liegen. Denn ohne Zweifel verfügen die Streitkräfte landesweit noch über Rückhalt: Der Armee vertrauen 88 Prozent der Ägypter als Garant der Sicherheit. Das Ansehen der Uniformierten mag bei den politisierten Kreisen in Kairo sinken - auf dem Land und bei der Masse ihres Volkes sind die Offiziere noch immer Helden.

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