Militärpolitik und Finanzkrise:Zeit für eine europäische Armee

Die Finanzkrise ist zum Sicherheitsproblem geworden, das allumfassende Spardiktat greift auch in die Verteidigungsbudgets ein. So erzwingt die Krise in Europa und ganz besonders in Deutschland neue Strukturen: Es ist Zeit für grundlegende Militärreformen.

Stefan Kornelius

Ein wenig zugespitzt könnte man behaupten, dass es die Krise der Staatsbudgets nicht gäbe, wenn es keine Armeen gäbe. Denn die Armeen standen Pate bei der Schöpfung des modernen Finanzwesens. Es waren die stehenden Heere, die Berufsarmeen, die nach dem Dreißigjährigen Krieg das Söldnertum der Wallensteins ablösten und damit dem modernen Staat ein Rückgrat gaben.

Militärpolitik und Finanzkrise: Die Auswirkungen der Finanzkrise sind in der Sicherheitspolitik angekommen - die Wehrpflicht steht zur Debatte.

Die Auswirkungen der Finanzkrise sind in der Sicherheitspolitik angekommen - die Wehrpflicht steht zur Debatte.

(Foto: ap)

Dieser moderne Staat brauchte geordnete Finanzen, um seine Streitkräfte, Depots und die Ausrüstung zu bezahlen. Nur so konnten die marodierenden und sich selbst bereichernden Truppen gestoppt werden. So entstand das moderne Finanzwesen, weil der Staat zur Finanzierung der Heere auf regelmäßige Einnahmen angewiesen war und Steuern erheben musste.

Finanzen und Sicherheit bedingen einander. Deswegen ist es nur zwingend, dass sich die Industriestaaten in Zeiten der Finanzkrise um ihre Sicherheit sorgen. Dabei ist aber eine erstaunliche Verdrehung der Perspektive zu beobachten: Bisher haben Kriege Finanzprobleme ausgelöst, innere Unruhen haben Märkte destabilisiert. Jetzt gilt die umgekehrte Sicht.

Im Jahr der Eurokrise heißt die Frage: Wie wirkt sich der Kollaps der Märkte auf die Sicherheit aus? Sind es die Währungsprobleme, die Bündnisse brechen lassen? Wie viel Sicherheit kann sich ein hoch verschuldetes Land eigentlich leisten?

Plötzlich wird Undenkbares diskutiert

Die Finanzkrise ist zum Sicherheitsproblem geworden, zum Problem der Sicherheitspolitik. Das Spardiktat für alle Haushalte in Europa greift kräftig in die Budgets für Verteidigung ein, von Rom bis Stockholm stellen sich Europas Wehrminister auf harte Kürzungen ein. Das spanische Verteidigungsbudget fiel in diesem Jahr um neun Prozent. In Italien wurde zu bereits beschlossenen Kürzungen ein neuerlicher Rückgang um zehn Prozent vereinbart. Frankreich wird in drei Jahren bis zu fünf Milliarden Euro einsparen.

Selbst Undenkbares wird auf einmal diskutiert: Frankreich und Großbritannien tuscheln über eine Zusammenlegung der (sündhaft teuren) nuklearen Abschreckung. Der neue britische Verteidigungsminister Liam Fox kündigte "schonungslose und unsentimentale" Kürzungen an. In Schweden wurde die Wehrpflicht beendet - unter anderem, weil sie zu viel kostet. Värnplikt, die Pflicht zur Verteidigung, war mehr als eine militärische Bürde. Der Dienst für die Nation funktionierte auch als Kleber, der Gesellschaft und Staat zusammenhielt.

In Deutschland nimmt diese Debatte nun Fahrt auf. Im Juli will das Verteidigungsministerium seine Rechenmodelle vorlegen, im September soll das Kabinett sich mit den Kürzungen befassen, danach die Parteitage der Koalition. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg weiß nur zu gut, dass er nicht genug Freunde haben kann, wenn die Kreistage der Republik und die Bürgermeister erst einmal über Standorte diskutieren.

Logik der Wehrpflicht nicht erklärbar

Denn dies sind - völlig ungeschönt - die Konsequenzen, die Europas überschuldete Haushalte für das Militär erzwingen: Wer das Verteidigungsbudget um zehn oder gar 20 Prozent kürzt, der muss die Streitkräfte verkleinern, weniger Waffen anschaffen, zivile Mitarbeiter entlassen, Kasernen schließen und die Wehrpflicht abschaffen, die weder gerecht für die Dienstpflichtigen sein kann, noch militärisch Sinn ergibt.

So wird die Finanzkrise in Europa und ganz besonders in Deutschland eine Militärreform erzwingen, die weit über den uninspirierten Massenabbau von Soldatenstellen nach dem Ende des Kalten Krieges hinaus reicht. Denn nun geht es um neue Strukturen, es geht um eine neue Verankerung des Militärs im Staat, und es geht darum, Abschied zu nehmen von klassischen sicherheitspolitischen Vorstellungen der Landesverteidigung und der militärischen Souveränität.

In Deutschland wird darüber hinaus die Wehrpflicht aufgehoben werden müssen, denn keine Logik der Welt kann vermitteln, warum junge Männer - willkürlich ausgesucht und militärisch ziellos ausgebildet - sechs Monate lang Sicherheitspolitik der 70er Jahre nachstellen sollen.

Eine europäische Armee - ein neues Rückgrat Europas?

Stopp, rufen die Militärpolitiker, es dürfe keine Sicherheitspolitik nach Kassenlage geben. Zunächst müsse geklärt werden, was das Militär eigentlich soll, dann werde sich dafür schon Geld finden. Eine hübsche Idee - die schnell verpuffen wird. Über die Bedrohungen dieser Zeit weiß die Politik durchaus Bescheid. Und sie weiß auch, dass in Afghanistan und am Horn von Afrika keine Wehrpflichtigen Dienst tun können, wohl aber gut ausgebildete Männer und Frauen, für deren Sicherheit mit dem wenigen Geld im Budget zu sorgen ist.

Sicherheit und die Kriegskasse - beides ist untrennbar miteinander verknüpft und muss ins Gleichgewicht gebracht werden, wenn die Politik funktionieren soll.

Für die Staaten Europas könnte es da hilfreich sein, viel mehr über die Armee Europas nachzudenken. Diesem friedlichen Kontinent stehen finanziell instabile Zeiten bevor. Da wäre es klug und innovativ, wenn das Militär als Garant für Sicherheit voranginge und für Sicherheit in Arbeitsteilung sorgte. Ein stehendes Heer für die Union aller Staaten - das wäre fast schon so etwas wie ein neues Rückgrat für Europa.

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