Bundeswehr:Mit Innerer Führung gegen brutale Rituale

Grausame Traditionen, Mobbing und Übergriffe sollte es bei der Bundeswehr nicht mehr geben.

Manche Traditionen in der Bundeswehr haben mit einer aufgeklärten Armee wenig zu tun.

(Foto: dpa)
  • Martialische Rituale, Mobbing und sexuelle Übergriffe gibt es auch in der Bundeswehr.
  • Das Konzept der Inneren Führung soll solche Vorfälle und andere Übergriffe eigentlich unterbinden, Soldaten sollen "Staatsbürger in Uniform" sein.
  • Bei der Vermittlung der inneren Führung sehen Experten allerdings Defizite.

Von Joachim Käppner

Zur "Äquatortaufe" gab es eine Schnur mit fetten Speckstücken. Der Neuling musste sie hinunterwürgen und den Brechreiz überstehen, dann wurde sie wieder herausgezogen. Andere Matrosen rieben ihm die Haare mit Seewasserfett ein, einer zähen Substanz, die übel riecht und äußerst schwer wieder herauszuwaschen ist. Die Teilnahme an der "Taufe", der Feier zur ersten Überquerung des Äquators, wurde nicht als freiwillig angesehen. So war das in den Sechzigerjahren bei der Bundesmarine, in der, wie vielerorts in der jungen Bundeswehr, der Ungeist der alten Zeit noch kräftig umging.

Vorfälle dieser Art würden - sofern sie herauskämen - heute nicht nur bei der Deutschen Marine, wie sie inzwischen offiziell heißt, sondern in der gesamten Bundeswehr diverse Vorgesetzte, den Wehrbeauftragten, Truppenpsychologen, den Vertrauensoffizier, das Zentrum für Innere Führung und die neue Beschwerdestelle der Bundesministerin für Verteidigung beschäftigen. Aber dass menschenunwürdige Behandlung in der Bundeswehr leider nicht nur ein Thema von gestern ist, zeigt nun der Bericht des Ministeriums zur inneren Lage der Bundeswehr.

Zuletzt hat auch der stellvertretende Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Rainer Brinkmann, bei Flottenbesuchen gemahnt, Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber anderen Soldaten "widersprechen nicht nur der Inneren Führung. So gehen wir mit Menschen nicht um - egal woher sie kommen, egal welche Überzeugungen oder Neigungen sie haben".

Soldaten müssen ihre staatsbürgerliche Identität nicht mehr ablegen

Der etwas missverständliche Begriff der Inneren Führung stammt aus den Fünfzigerjahren und bedeutet, dass die Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft integriert sein muss, also kein Staat im Staate sein darf wie die Reichswehr der Weimarer Republik; deshalb gelten für die Soldaten die Grundrechte und für das "militärische Handeln" rechtsstaatliche Prinzipien.

Reformer wie Johann Adolf Graf von Kielmansegg und Wolf Graf von Baudissin hatten gegen den Widerstand einer Betonkopffraktion das Konzept erzwungen, demzufolge der Soldat seine staatsbürgerliche Identität nicht mehr mit der Zivilkleidung abzulegen habe. Es gab und gibt, auch dank der Inneren Führung und einer wachsamen Gesellschaft, bei der Bundeswehr keine systematische Schikane und Demütigung neuer Soldaten wie die berüchtigte "Dedowtschina" in Russland.

Selbst Rituale wie die Äquatortaufe oder die "Barbarafeier" bei der Artillerie - wo der jüngste Offizier als Schutzheilige Barbara verkleidet auftritt - werden heute durch Vorschrift geregelt und offiziell durch Vorgesetzte überwacht. Niemand muss teilnehmen - was noch nichts über den Gruppendruck aussagt. Immer wieder gehen solche Rituale viel zu weit. Wie überall kann, wo er bei derlei Feiern erlaubt ist, der Alkohol zur Enthemmung beitragen.

Es geht um Gewalt und die Frage, welche Art Vorbereitung dafür nötig ist

Ein früherer Bataillonskommandeur berichtet, wie er aus allen Wolken fiel, als ihm einige Mannschaftsdienstgrade plötzlich über Erniedrigungen und körperliche Gewalt bei ausufernden Feiern in der Einheit berichteten. Andere schwören nach Jahren in der Truppe, dass sie niemals mit Mobbing oder Schikanen konfrontiert waren - und speziell in den Auslandseinsätzen, sagt einer, der in Afghanistan und im Irak war, "kommt es darauf an, dass die Gemeinschaft zusammenhält".

Letztlich geht es auch um Waffen und Gewalt und die Frage, welche Art Vorbereitung dafür nötig ist. Generalmajor Reinhardt Zudrop, Kommandeur des Koblenzer Zentrums Innere Führung, durchlief vor seinem Afghanistaneinsatz 2010 die Spezialausbildung in Hammelburg inklusive einer Szene, in der Bewaffnete seinen Bus stoppten und ihn stundenlang mit verbundenen Augen als Geisel sitzen ließen. Er kann sich, wie er sagt, "die eigenen Gefühle und Reaktionen in einer solchen Situation seither viel besser vorstellen".

Vorgesetzte schlafen nicht mehr in der Kaserne

Wie schmal ist der Grad von Realitätsnähe zur Schikane oder, wie in Pfullendorf, zu widerwärtigen Akten sexueller Erniedrigung? Viele in der Bundeswehr sind sich einig, dass die Vermittlung der Inneren Führung in einer vielfach strapazierten Truppe deutlich Luft nach oben hat. Nicht wenige führen die Skandale auch auf diese Überforderung und den ständigen Umbau zurück. Zudrop: "Die Frage ist doch: Haben unsere Vorgesetzten noch genug Zeit, um ihren Dienstaufsichtspflichten nachkommen zu können?"

Ein Beispiel: "Früher gab es die tägliche Ausbildungsbesprechung, dafür ist oft keine Zeit mehr." Da die Bundeswehr aus Kostengründen Wert darauf legt, dass Vorgesetzte nicht mehr in der Kaserne schlafen, sind die jungen unteren Dienstgrade dort nachts oft unter sich - keine gute Voraussetzung, um Übergriffe zu unterbinden.

Die Spezialisten für Innere Führung glauben nicht, dass diese der Berufsarmee schwerer beizubringen ist als einst den Wehrpflichtigen. In einem ist sich Zudrop aber sicher: "Die Innere Führung mit ihrem Anteil an politischer Bildung ist heute wichtiger denn je. Wir müssen die Soldaten urteilsfähig machen, wenn sie mit Fake News und politischen Verführern konfrontiert werden."

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