Migrationsforscher:Nationen konkurrieren um die besten Köpfe

Migrationsforscher: Der Soziologe Friedrich Heckmann argumentiert in seinem neuen Buch "Integration von Migranten", dass Einwanderung unseren Nationenbegriff verändert.

Der Soziologe Friedrich Heckmann argumentiert in seinem neuen Buch "Integration von Migranten", dass Einwanderung unseren Nationenbegriff verändert.

(Foto: efms)

Wie gelingt Integration? Der Soziologe Friedrich Heckmann erklärt, warum Migration nach Marktmechanismen funktioniert - und wie sich der Erfolg von Integration messen lässt.

Von Felix Stephan

Die weltweiten Krisen lassen die Zahl der Asylsuchenden rapide steigen. So viele Flüchtlinge in Europa gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Auch in Deutschland reißt der Zustrom von Flüchtlingen nicht ab. Die Stimmung ist vielerorts aufgeheizt. Der Soziologe Friedrich Heckmann, Leiter des Europäischen Forum für Migrationsstudien in Bamberg, befasst sich mit der Frage, wie Integration gelingen kann.

SZ: Herr Heckmann, wann gilt Integration eigentlich als abgeschlossen?

Friedrich Heckmann: Wenn eine volle gesellschaftliche Mitgliedschaft hergestellt ist. Und wenn die Herkunft nicht mehr das definierende Merkmal ist. Man kann das gut am Beispiel des Grünen-Politikers Cem Özdemir zeigen, den ich schon seit einigen Jahren kenne. Früher hat er sich oft darüber beklagt, dass er sich ständig zu Immigrationsfragen äußern musste. Heute ist seine Meinung zu allen möglichen Themen gefragt. Seine Herkunft steht nicht mehr im Vordergrund.

Von diesen Beispielen gibt es mittlerweile viele. Trotzdem halten Sie den Begriff der "postmigrantischen Gesellschaft" für eine Verlegenheitslösung. Stattdessen gehe es bei Integration um "neue Nationenbildung". Wie meinen Sie das?

"Postmigrantische Gesellschaft" ist ein problematischer Begriff, weil wir ja starke Einwanderung haben und haben werden. Und natürlich ist der Begriff "Nation" belastet. Gleichzeitig kann man daran erinnern, dass er ursprünglich demokratische und emanzipatorische Akzente hatte und erst Ende des 19. Jahrhunderts verändert wurde. Die neue Nation, die ich beschreibe, setzt an der frühen Tradition an; sie ist ein rechtlich und territorial fundierter Personenverband, zugleich eine vorgestellte Gemeinschaft, die ohne die Vorstellungen von kultureller Homogenität oder gemeinsamer Herkunft auskommt.

Wo kann man stattdessen anknüpfen? Ist die neue Nation nicht mehr als eine Verwaltungseinheit?

Das würde ich nicht behaupten. Sie ist auch durch kulturelle Annäherungen zwischen Einheimischen und Migranten gekennzeichnet. Überhaupt ist Nation global und in Europa ein weiter wirkungsmächtiges Konzept. In vielen Teilen der Welt konstituieren sich die Nationen ja gerade erst. Was die Identifikation angeht: Die Ökonomen Daron Acemoglu und James A. Robinson haben gezeigt, dass für den Erfolg einer Nation im Kern stabile Institutionen, verlässliche Strukturen und eine geringe Korruption entscheidend sind. Die Migranten, die nach Deutschland kommen, stammen zum großen Teil aus Ländern, in denen genau diese Dinge sehr schlecht funktionieren. Diese Erfahrung von Verlässlichkeit und relativer Sicherheit in Deutschland birgt Potenzial für eine Identifikation mit Deutschland, das man nicht unterschätzen sollte. Für die Lebensqualität ist das entscheidend und macht Deutschland attraktiv.

Das klingt marktwirtschaftlich: Nationen wie Unternehmen konkurrieren um Menschen, indem sie Angebote machen.

Das erleben wir zur Zeit tatsächlich im internationalen Wettbewerb um die "besten Köpfe". Aber auch kulturell sind Marktmechanismen wirksam. Wenn man zeigen möchte, nach welchen Mechanismen sich die Mehrheitsgesellschaft kulturell verändert, spielen Marktprozesse eine große Rolle. Die Migranten bieten etwas an, also etwa bestimmte Muster der Alltagskultur, Kunst, Vielsprachigkeit, interkulturelle Erfahrung, Glaubenssysteme und Weltanschauungen oder auch ganz banal Esskulturen. Und die aufnehmende Gesellschaft kann diese Angebote im weitesten Sinne annehmen und verwerten - oder auch nicht. Das Marktkonzept wird in meinen Augen zu selten benutzt, um kulturelle Veränderungen zu erklären.

Viele haben den Eindruck, dass sich in bestimmten Stadtvierteln mit hohem Migrantenanteil seit Jahren nichts gebessert hat. Viele halten die Integration deshalb für gescheitert.

Integration ist ein kontinuierlicher Prozess und das bedeutet, dass wir bei kontinuierlicher Neueinwanderung immer die gleichen Probleme haben: Wohnkonzentration, Leute, die kein Deutsch sprechen und unter sich bleiben. Man muss aber auf die Kohorten schauen. Wenn man nur die Viertel mit den preiswerten Wohnungen betrachtet, entsteht der Eindruck, dass sich nichts ändert. Als wir aber mal die Umzugsstatistiken in der Nürnberger Südstadt untersucht haben, haben wir festgestellt, dass der Ausländeranteil dort einerseits zwar konstant bleibt. Aber es sind nicht die gleichen Menschen, die dort wohnen. Innerhalb von 15 Jahren sind viele weggezogen, weil sie sich einen gewissen materiellen Standard erarbeitet hatten und auch ihr sozialer Integrationsprozess fortgeschritten war.

Die Angst vor Parallelgesellschaften, vor denen Konservative häufig warnen, ist also unbegründet?

Die ethnischen Gemeinschaften helfen beim Zurechtfinden, beim Start im Einwanderungsland und unterstützen in dieser Phase die Integration. Die ethnische Kolonie wird aber zum Integrationsproblem und zur Falle, wenn sie dauerhaft der primäre Bezugspunkt des Migranten bleibt.

Gibt es eigentlich so etwas wie einen "deutschen Weg" bei der Integration von Migranten?

Der Fokus liegt in Deutschland auf der sozialstaatlichen Integration. Das heißt, dass man den Migranten prinzipiell den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitssystem, in die Rentenversicherung und so weiter ermöglicht. Damit geht die Bundesrepublik großzügiger um als zum Beispiel mit der Nationalität. So fällt der Schritt aus der ethnischen Kolonie in die Mehrheitsgesellschaft vergleichsweise leicht.

In Ihrem Buch zitieren Sie eine Studie, die zeigt, dass Migration immer mehr Migration nach sich zieht. Wie kommt das?

Durch Migration entstehen transnationale Netzwerke, in denen Informationen und Ressourcen ausgetauscht werden. Deshalb ist die Vorstellung, man könnte sozusagen Druck aus dem Kessel nehmen, in dem man für einen Zeitraum die Türen öffnet, falsch. Mehr Migration schafft mehr Netzwerke und damit mehr Ressourcen und Möglichkeiten für Migration. Das klingt vielleicht ein wenig ketzerisch, ist aber in der Migrationsforschung unbestritten.

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