Migration:Wiener Paradigmen

Die österreichische Regierung hat erarbeitet, wie sie sich EU-Asylpolitik vorstellt - der Entwurf gleicht einem Abschied von jeder Asylpolitik.

Von Thomas Kirchner

Anfang Juni kündigte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) eine "kopernikanische Wende" in der EU-Asylpolitik an. Jetzt ist klar, wie der "Paradigmenwandel" aussieht, den Österreich herbeiführen will, das im Juli die Ratspräsidentschaft und damit die Zügel in der EU übernimmt. Ausbuchstabiert wird er auf sieben Seiten in einem "Raum-Dokument" aus dem Hause Kickl. Diese Arbeitsvorlage für ein EU-Treffen hoher Abteilungsleiter in Wien Anfang Juli hat es in sich. Sie hält, was Kickl verspricht: Das Papier ist in Geist und Buchstabe ein vollständiger Abschied von der bisherigen, nein: von jeglicher Asylpolitik der EU.

Der neue Ansatz: ein "künftiges Europäisches Schutzsystem", über das angeblich mehrere EU-Staaten im Rahmen eines "Wien-Prozesses" längst nachdenken. Das Papier zählt die bekannten Schwächen der Dublin-Regeln auf und konstatiert "wieder beängstigende Anstiege der illegalen Migration", gerade über den Balkan. Am Ende gelinge es fast allen "eingeschmuggelten Migranten" - Flüchtlinge kommen im Text nicht vor -, dauerhaft in Europa zu bleiben. Das könne "über mehrere Generationen hinweg" die Sicherheit gefährden, handele es sich doch überwiegend um arbeitslose junge Männer mit patriarchalen, antifreiheitlichen und religiös rückständigen Haltungen. Oder um Terroristen, welche die Schwäche der EU missbrauchten.

Weitere Massenmigration aus Afrika und mehr Krisen seien zu erwarten. Würden die Eingeschmuggelten auch noch verteilt in der EU, "kann das die Lage zusätzlich destabilisieren". Und jene, die diese Verteilung kritisch sähen, "lassen sich höchstwahrscheinlich nicht durch neue Rechenmethoden überzeugen". Dies spielt an auf die Idee, sich von der Aufnahme von Flüchtlingen freizukaufen. Vertrauen und europäischer Konsens könnten daher nur auf andere Art und Weise wiederhergestellt werden. Es folgen Vorschläge, mit denen die EU ihr Territorium mehr oder weniger gegen Schutzsuchende versiegeln würde: Stellen von Asylanträgen nur außerhalb der EU (mit wenigen Ausnahmen); Unterbringung möglichst nahe den Herkunftsstaaten; Ausbau von Zuständigkeit und operationellen Fähigkeiten der Grenzagentur Frontex. Erwogen wird auch, abgelehnte Asylbewerber in "Rückführzentren in einem Drittstaat" zu schicken. Letzteres hat die EU-Kommission als illegal verworfen. Thomas Kirchner

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