Migration:Ministerpräsident Albig wettert gegen Abschiebepraxis

Torsten Albig

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig verteidigte den dreimonatigen Abschiebestopp, den seine Regierung für Afghanistan ausgerufen hat.

(Foto: dpa)
  • Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig verteidigt den Abschiebestopp, den seine Regierung für Afghanistan ausgerufen hat.
  • Der Kieler Landtag vertritt nicht allein die Ansicht, dass es derzeit gewagt ist, unbescholtene afghanische Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückzuschicken.
  • Mehrheitsfähig ist die Position Schleswig-Holsteins in der Bundesrepublik nicht. Die Konfliktlinie verläuft auch innerhalb der SPD.

Von Thomas Hahn, Kiel

Die Reden des Ministerpräsidenten Torsten Albig klingen manchmal so, als sei jemand mit dem Weichzeichner drüber gegangen: salbungsvoll, pastoral, väterlich. Aber am Mittwoch im Landtag von Schleswig-Holstein waren seine Worte scharf und klar: Sie richteten sich gegen die Abschiebe-Politik der schwarz-roten Bundesregierung, gegen CDU-Innenminister Thomas de Maizière "in concreto", aber auch gegen seine Parteifreunde vom SPD-geführten Außenministerium, das Afghanistan als sicheres Herkunftsland ausweist.

Albig verteidigte den dreimonatigen Abschiebestopp, den Schleswig-Holstein nach Paragraf 60a des Aufenthaltsgesetzes für Afghanistan ausgerufen hat. "Wir sind humanitär aufgefordert, das zu tun", sagte er und gab zu, dass seine Regierung diesen Schritt auch gewählt habe, "um zu provozieren". Das Zeichen aus dem Norden solle dazu beitragen, dass die Bundesregierung sich belehren lasse und Abschiebungen nach Afghanistan allgemein stoppe: "Das ist unser Ziel." Zusammenfassend sagte Albig: "Sie sehen mich zutiefst enttäuscht von der Position der Bundesregierung in Gänze."

Es herrscht Wahlkampf in Bund und Land. In Schleswig-Holstein will das Bündnis aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) am 7. Mai die Regierungsverantwortung verteidigen. Am 24. September geht es im Bund für Angela Merkel um ihre CDU-Kanzlerschaft. Von links und rechts prasseln also die Positionen auf die Wählerschaft ein. Merkels große Koalition möchte mit beschleunigten Abschiebungen Zeichen gegen populistische Tendenzen setzen. Die Küstenkoalition möchte ihr Profil als menschenfreundliches Linksbündnis schärfen, was sie sich wohl auch deshalb leisten kann, weil die AfD schwach ist in Schleswig-Holstein.

Bundesinnenminister de Maizière ist sauer

Das Ergebnis ist ein offener Konflikt zwischen Berlin und Kiel. Bundesinnenminister de Maizière ist sauer. Erst sei von Albig bei der jüngsten Besprechung zwischen Bund und Ländern zum Thema Abschiebung am 9. Februar nichts zu hören gewesen und jetzt der einseitige Abschiebestopp vollzogen. "Gleichzeitig werden wir kritisiert, dass nicht genug Abschiebungen möglich sind. So sollten wir nicht zusammenarbeiten", findet de Maizière.

Albig wiederum erklärte am Mittwoch, seine Regierung habe dem Bund ihre Haltung "intensiv" dargelegt. Er verwies auf die Erkenntnisse des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie auf die Sicht der Kirchen und widersprach der Berliner Auffassung, dass Afghanistan in Teilen sicher sei. De Maizière warf er "am Ende eine technokratisch-zynische Sicht" auf Afghanistan vor.

Die Debatte im Kieler Landtag war munter, und natürlich griff CDU-Fraktionschef Daniel Günther die Kritik seines Parteifreundes de Maizière auf. "Unehrlich" und "Unanständig" sei das Vorgehen des Albig-Kabinetts, sagte Günther und rief: "Ihr Abschiebestopp unterläuft Recht und Gesetz." Ähnlich äußerte sich auch FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.

Schleswig-Holstein steht nicht allein da mit seiner Haltung

Mehr als der Gegenwind von der Opposition wird Albig und seinen Innenminister Stefan Studt (SPD) aber sicher die Haltung der anderen Länder zum Kieler Vorgehen interessieren. Schleswig-Holstein steht nicht allein da mit seiner Einschätzung, dass es derzeit zu gewagt ist, unbescholtene afghanische Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Auch Bremen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben Zweifel. Sie äußern sich nur nicht ganz so öffentlichkeitswirksam wie Schleswig-Holsteins Regierung. "Bürgermeister Carsten Sieling teilt die Einschätzung seines schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentenkollegens in der Sache vollumfänglich", hieß es etwa aus der Bremer Senatskanzlei.

"Bremen hat sich aber entschieden, keinen Abschiebestopp zu erlassen und - auch aufgrund der sehr geringen Fallzahlen - weiterhin Einzelfallprüfungen vorzunehmen." In Niedersachsen, wo wie in Bremen eine rot-grüne Koalition regiert, machte das Innenministerium ganz ähnliche Angaben.

Aber mehrheitsfähig ist die Position Schleswig-Holsteins gerade nicht. Die Konfliktlinie verläuft auch innerhalb der SPD. Albigs Parteifreund Erwin Sellering zum Beispiel, Ministerpräsident der rot-schwarzen Regierung von Mecklenburg-Vorpommern, wollte den Abschiebestopp des Nachbarbundeslandes zwar nicht kommentieren. Trotzdem kam aus der Schweriner Staatskanzlei ein klarer Satz zum Kieler Weg: "Es gibt in der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern derzeit keine Erwägungen in diese Richtung."

In Mecklenburg-Vorpommern erreichte die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen 20,8 Prozent. Torsten Albig hat deshalb möglicherweise sogar Verständnis für den Genossen Sellering. Und insgesamt weiß er natürlich, dass er noch viel Arbeit hat bis zum 10. Mai. Länger als drei Monate darf Albigs Regierung den Abschiebestopp nicht aufrecht erhalten. Wenn er anhalten soll, braucht sie mehr Verbündete. Torsten Albig sagte am Mittwoch im Landtag: "Wir müssen Mehrheiten organisieren."

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