Migration:Der nächste Versuch

Seenotrettung im Mittelmeer - ´Alan Kurdi"

Sicherer Hafen nicht in Sicht: Bislang müssen Seenotretter oft wochenlang auf dem Mittelmeer ausharren, bevor sie anlegen dürfen. Der Vorstoß einiger EU-Staaten soll das nun ändern.

(Foto: Fabian Heinz/dpa)

Es ist gut, dass Deutschland und ein paar andere EU-Staaten wieder nach Antworten auf die Fragen der Flüchtlingspolitik suchen. Sie müssen Migration sicherer machen und die eigenen Bürger beruhigen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Zumindest in Europa hat sich das Jahrhundertthema Migration wieder einmal auf die Mittelmeer-Tragödien reduziert. Das verwundert nicht, weil der Sommer die Überfahrt über das Meer erleichtert und die politischen Turbulenzen in Italien gleich doppelt Erwartungen geweckt haben: bei Italiens europäischen Nachbarn, die von der Radikalität der Salvini-Politik abgestoßen waren, aber auch bei den Migranten, die sich wieder mehr Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang ihrer Reise machen. Hilfe leisten ihnen nun auch wieder verstärkt die Rettungsorganisationen, die den Wetterumschwung in Italien nutzen wollen und Tatsachen schaffen.

Weil der politische Kalender auch den Wechsel in der EU-Kommission vorsieht und Prävention allemal klüger ist als akute Krisenpolitik, ist es also mehr als vernünftig, dass ein Kern europäischer Staaten einen neuen Versuch unternimmt, Migrationspolitik berechenbar und einheitlich zu gestalten. Deutschland, Frankreich und Italien als wichtige Zielländer der Migranten können nicht warten, bis eine neue Welle der Radikalität ihre Gesellschaften erfasst. Zusammen hätten sie die Autorität, Europa einen Weg zu weisen.

Hier aber hört der Fundus an gemeinsamer Analyse schon bald auf, und die europäische Migrationspolitik stößt auf die immer gleichen Hindernisse: Wo endet politische Verfolgung, wo beginnt Wirtschaftsmigration? Was also sind die Motive der Männer und Frauen, die sich auf den Weg machen? Wer ist demzufolge nach den unterschiedlichen Asylbestimmungen berechtigt, nach Europa zu kommen - und wer nicht? Wo stellt man die Berechtigung oder die Bedürftigkeit fest? Und wenn man diese Prüfung tatsächlich erst in Europa anstellen kann: Wie wird man des eigentlichen Problems Herr, das zur Tragödie führt - des Schlepperunwesens, der Gefahren auf der Reise? Käme man hier den Antworten näher, hätte man aber noch immer nicht die Ursache des Problems beseitigt: die schlechten Lebensumstände vieler Menschen in ihrer Heimat, die Flucht so attraktiv machen.

Die Asyldebatte lebt von Ausblendung und moralischer Exklusivität

Das sind harte Fragen, die in Europa uneinheitlich beantwortet werden, wenn sie überhaupt öffentlich diskutiert werden. Denn es gehört zu den Seltsamkeiten in der Asyl- und Migrationsdebatte, dass sie vor allem von der Ausblendung und der moralischen Exklusivität lebt: Die Salvinis dieses Kontinents sind taub und blind gegenüber dem Leid vor ihrer eigenen Küste; und die Retter auf den Schiffen etwa scheinen zu unterschätzen, welche Dynamik sie mit ihrer Hilfe in den Herkunftsländern wie auch in der Schlepper-Community auslösen können. Da werden Millionen mit der Botschaft verdient, dass schon irgendjemand die Ertrinkenden aus dem Meer ziehen wird.

Oberstes Ziel europäischer Flüchtlingspolitik müsste es also sein, der Migration die Gefährlichkeit zu nehmen und den EU-Bürgern die Gewissheit zu geben, dass ihre Politik die Kontrolle über ein zentrales emotionales, politisches und ökonomisches Thema behält. Für Migranten wird man die Gefahren nur bannen können, wenn man ihnen den Weg durch Wüste, Camps, Schleuserhände und über Ozeane erspart. Den Bürgern wird man ihre Sorgen nur nehmen, wenn Europa einheitlich auftritt, die Grenzen seiner Möglichkeiten definiert und gleichzeitig seinen humanitären Anspruch nicht verrät. Ein paar Innenminister haben sich nun wieder einmal auf den Weg gemacht. Immerhin.

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Deutschland und ein paar andere EU-Staaten sind wieder auf der Suche nach Antworten auf Fragen in der Flüchtlingspolitik. Die obersten Ziele müssen eine sichere Migration und die Beruhigung der Bürger sein, schreibt der SZ-Autor.

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