Migranten und der Koch-Wahlkampf:Der Tag der Abrechnung

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Auf der Integrationskonferenz im Kanzleramt musste sich Merkels Ausländerbeauftragte Maria Böhmer Einiges zu Kochs Ausländer-Wahlkampf anhören. Manches davon durfte sie auch sehr persönlich nehmen.

Thorsten Denkler, Berlin

Das kann natürlich alles Zufall sein. Etwa, dass links neben Maria Böhmer ein Herr namens Yasar Bilgim sitzt. Bilgim vertritt als Oberarzt eine Organisation, die sich für die gesundheitliche Aufklärung von Migranten einsetzt. Als solcher ist er Mitglied der Integrationskonferenz von Staatsministerin Böhmer. Bilgim ist aber auch Vorstandsmitglied der CDU in Hessen.

Bundeskanzlerin Merkel im Gespräch mit ihrer Integrationsbeauftragen Maria Böhmer, die in der Kritik von Migrantenverbänden steht. (Foto: Foto: dpa)

Zur Rechten der Integrationsbeauftragen sitzt Virginia Wangare-Greiner. Sie setzt sich für die Integration afrikanischer Frauen ein, lebt wie Bilgim in Hessen und ist Trägerin des Integrationspreises der Stadt Frankfurt. Natürlich kann auch das Zufall sein, dass ausgerechnet sie heute neben Maria Böhmer sitzt.

Wer aber am frühen Nachmittag einen der gut 20 Teilnehmer der Integrationskonferenz im Kanzleramt fragt, was er von der Zusammensetzung dieses Presse-Podiums hält, der erntet ein wissendes Grinsen - und Schweigen.

Dies sollte wohl nicht der Tag werden, an dem sich die Staatsministerin Kritik auch noch vor laufenden Kameras anhören wollte. Davon hatte sie während der vorangegangenen Debatte mit den Migrantenvertretern wohl schon genug.

Zwei Stunden hatten die mit Böhmer über die Fortschritte im Nationalen Integrationsplan sprechen sollen. Was dann intern ablief, stand so wohl nicht auf der Tagesordnung. Die Staatsministerin musste sich massive Angriffe wegen ihrer laschen Haltung gegenüber der Koch´schen Wahlkampfstrategie in Hessen gefallen lassen.

Koch hatte in seinem Wahlkampf besonders auf das Thema Jugendkriminalität gesetzt. Unter besonderer und eingehender Berücksichtigung der Kriminalität ausländischer Jugendlicher. Böhmer hatte dem nichts Vernehmliches entgegengesetzt.

Die Quittung bekam sie heute. "Frau Böhmer ist Integrationsbeauftragte. Es ist ihre Aufgabe, sich schützend vor die Migrantinnen und Migranten zu stellen", sagt Behshid Najafi von der "Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung" in Köln nach der Sitzung. Das habe viele "enttäuscht und entsetzt".

Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, sagte, Koch habe große Teile des Integrationsforschrittes mit seinem Wahlkampf "vernichtet". Er arbeite gerne mit Böhmer zusammen. Aber eine klare Abgrenzung von Kochs Wahlkampf hätte auch er sich gewünscht.

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, gehörte zu den schärfsten Kritikern der Koch-Strategie: Er hatte Hessens Ministerpräsident im Wahlkampf vorgeworfen, Ausländerfeindlichkeit zu schüren und rief zur "Abwahl" von Koch auf.

Heute warf er Böhmer vor, eine Chance verpasst zu haben. Hätte sie sich vernehmlicher eingemischt, "sie hätte unsere Herzen erobert". So aber freue er sich, dass die Hessen Koch abgestraft hätten. Koch sei abgewählt. Einen Wahlkampf gegen Ausländer werde es jetzt nicht mehr geben können.

Ähnlich sehen das 17 durchaus prominente CDU-Politiker, die jetzt spät aber deutlich Farbe bekannt haben. In einem offenen Brief, der am Donnerstag in der Zeit erscheint, schreiben unter anderem Hamburgs Regierender Bürgermeister Ole von Beust, der CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Friedbert Pflüger, und die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU):

Die Integrationspolitik sei "so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zu einem schnelllebigen Wahlkampfthema degradiert werden darf". Sie forderten einen "neuen parteienübergreifenden Konsens für die Integrationspolitik".

Nicht zu den Unterzeichnern gehört: Maria Böhmer.

Böhmer behielt in der gut einstündigen Pressekonferenz nach dem Treffen im Kanzleramt ihre Verteidigungsstrategie bei. Sie habe früh darauf hingewiesen, dass sie Prävention für wichtiger halte. Sie habe aber entschieden, auf die persönlichen Angriffe und Zuspitzungen, "die es von allen Seiten gegeben hat", nicht weiter zu reagieren.

Ihr Sitznachbar zur Linken, Yasar Bilgim, erinnerte an die gemeinsame Zukunft, die Migranten und Deutsche in diesem Land hätten. Sicher, der Wahlkampf in Hessen, "das war bestimmt keine einfache Zeit" für Migranten. "Trotzdem haben wir zusammengehalten. Seinem Parteifreund Koch nahm er pflichtgemäß in Schutz: Es geben keine Anti-Koch-Front, es gebe nur eine "gemeinsame Front für die Zukunft."

Virginia Wangare-Greiner sagte gar nichts zum Thema Koch. Sie lobte stattdessen die Integrationsbemühungen der Bundesregierung. "Viele von uns sind begeistert", sagte sie. "Man muss sich engagieren. Man ist hier willkommen."

Wie gesagt, die Zusammensetzung des Podiums kann auch Zufall sein. Eine Migrantenvertreterin aber erklärt hinter vorgehaltener Hand: Wer nach einem Integrationstreffen im Kanzleramt für die Migrantenvertreter spricht, bestimmt letztlich doch nur eine Person: Maria Böhmer.

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