Migranten in Duisburg:"Die Unwilligen sind bei uns im Promille-Bereich"

Beispiel Duisburg: Das Problem sind nicht die Integrationsverweigerer, es fehlt vielmehr an Sprachkursen. Ohne die haben Migranten keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Roland Preuß, Duisburg

Hier müssten sie zu finden sein, es ist das ideale Revier: Fast jeder sechste in Duisburg ist Ausländer, im berüchtigten Stadtbezirk Marxloh ist es mehr als jeder Dritte - und ein Großteil von ihnen stammt aus der rückständigen Osttürkei. In der Ladenstraße von Marxloh drängen sich Telefon- und Dönerläden, im Eckrestaurant wird kein Bier ausgeschenkt - und auch kein anderer Alkohol. Man ist streng muslimisch.

Migranten in Duisburg: Duisburg-Marxloh gilt neben Berlin-Neukölln als Musterbeispiel für Parallelgesellschaften in Deutschland. Mehr als ein Drittel der Menschen hier hat keinen deutschen Pass, die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. 2008 demonstrierten einige von ihnen bei der Eröffnung ihrer neuen Moschee.

Duisburg-Marxloh gilt neben Berlin-Neukölln als Musterbeispiel für Parallelgesellschaften in Deutschland. Mehr als ein Drittel der Menschen hier hat keinen deutschen Pass, die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. 2008 demonstrierten einige von ihnen bei der Eröffnung ihrer neuen Moschee.

(Foto: AP)

Das alles klingt nach dem idealen Biotop für Menschen, die ihre Integration in die deutsche Gesellschaft verweigern - ganz nach dem Klischee: Wir bleiben unter uns, Deutsch brauchen wir nicht und das Geld kommt vom Amt. Jeder siebte in Duisburg lebt vom Amt, meist weil er arbeitslos ist, in Marxloh sind es noch deutlich mehr. Immer wieder waren Filmteams hier, um Geschichten von der Parallelgesellschaft zu erzählen.

Die Politik hat die Integrationsunwilligen als drängendes Problem ausgemacht. "Es gibt Sanktionen und die müssen greifen. Strenge ist wichtig", sagt Kanzlerin Angela Merkel. Auch Sigmar Gabriel will Härte zeigen. "Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, der kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen", sagt der SPD-Chef. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lieferte gleich noch beeindruckende Zahlen dazu: geschätzte "10 bis 15 Prozent" der Migranten seien "wirkliche Integrationsverweigerer". Die Zahl relativierte sein Ministerium zwar später, doch sie geistert weiter durch die Medien.

Wer sich in Duisburg auf die Suche nach den Integrationsunwilligen macht, landet schnell bei Norbert Maul. Der Mann mit dem buschigen Schnauzer versucht schon seit zehn Jahren den Duisburger Arbeitslosen auf die Sprünge zu helfen, erst als Chef der Arbeitsagentur, jetzt als Geschäftsführer der Arge Duisburg, die sich um die Hartz-IV-Empfänger kümmert, vor allem um Langzeitarbeitslose. Einst malochten in der Stadt Tausende Gastarbeiter für Stahlwerke und Zechen, dann kam der Niedergang.

Maul probiert viele Modelle aus, um die derzeit gut 3.000 Arbeitslosen wieder in einen Job zu bringen - auch mit Integrationsmaßnahmen. Wer kein Deutsch kann, wird zu einem Integrationskurs verpflichtet, wer arbeiten kann, zu einem der 3000 Ein-Euro-Jobs. Und wer diesen Pflichten nicht nachkommt, dem wird Hartz IV gekürzt. Gut 1500 Hartz-Empfänger besuchen derzeit einen Integrationskurs, nur acht Zuwanderer haben sich geweigert und bekommen deshalb weniger Geld. "Die Integrationsunwilligen sind bei uns im Promille-Bereich", sagt Maul. Fünf Promille genaugenommen.

Selbst wenn er alle Strafen für irgendwie Renitente zusammenzählt, kommt er nicht annähernd auf zehn Prozent: Gegen 451 von insgesamt 16.000 arbeitsfähigen Ausländern verhängte die Arge Sanktionen, etwa weil sie keinen Ein-Euro-Job antreten wollten. Das sind nicht einmal drei Prozent. Bei den Deutschen waren es sogar mehr: 3,9 Prozent.

"Das ist killefit"

Nun weiß jeder Hartz-IV-Bezieher, dass es Wege gibt, Pflichten zu umgehen - Krankmeldungen etwa oder Klagen vor Gericht. Und tatsächlich ärgert sich Maul über manche Trickserei. Doch auch er hat seine Mittel: Wer einen Integrationskurs abbricht, wird persönlich vorgeladen; selbst wer ein Attest bringt, muss erscheinen. Schließlich müsse er in der Arge ja nicht arbeiten, sagt Maul. "Die Mittel, die wir gegen Integrationsunwillige haben, sind in Ordnung, mehr brauchen wir nicht."

Was die Arge dagegen gut brauchen kann ist eine Sprachberaterin wie Zeynep Alparslan. Die Deutsch-Türkin vermittelt die Migranten in Integrationskurse weiter und droht auch mal mit Strafen. "Die meisten, die einen Integrationskurs verweigern, wollen lieber sofort arbeiten", sagt sie. Die Unwilligen hätten entweder Angst davor, im Unterricht zu versagen oder hielten ihn für Zeitverschwendung. Dann beharrt Alparslan auf dem Deutschkurs. "Sonst haben die gar keine Chance auf dem Arbeitsmarkt", sagt Maul.

Alparslan hat den nächsten Termin. Ein 40-jähriger Türke steht vor ihrem Büro, Dreitagebart, graue Lederjacke. "Ich spreche nicht perfekt Deutsch", sagt er und berichtet von seinem abgebrochenen Sprachkurs. Der Mann, nennen wir ihn Suat, hat in Deutschland als Metallhilfsarbeiter, Imbissverkäufer, Gartenpfleger und Lagerarbeiter gejobbt. Seit vier Jahren ist er arbeitslos. "Ja klar will ich Deutsch lernen, macht vieles einfacher", sagt er. Ob er auch mit einem Intensivkurs von sechs Stunden am Tag einverstanden wäre, fragt Alparslan. "Ja", sagt Suat. Maul sagt, er würde die Pflicht zu Integrationskursen und Ein-Euro-Jobs gerne einmal durch ein Recht darauf ersetzen. "Ich behaupte, wir bräuchten dann sogar mehr Plätze."

Die Arge ist nicht die einzige Behörde, in der Integrationsunwillige auffallen können. Der Gesetzgeber hat auch den Ausländerämtern einige Paragrafen gegen Verweigerer an die Hand gegeben. In Duisburg ist das die Aufgabe von Ursula Fohrmann, der Vizechefin des Ordnungsamts und ihrer Mitarbeiterin Marion Overhoff, die wenige hundert Meter von der Arge entfernt in einem schlichten Klinkerbau residieren. Fohrmann findet es gut, dass sie Druck auf Migranten ausüben kann. Doch nötig sei es in der Regel nicht, sagt sie. Die beiden Frauen verpflichten neu Zugewanderte zu Integrationskursen, Ehefrauen aus der Türkei etwa, einmal in der Woche betreut Overhoff die Migranten in ihrem Büro in Duisburg-Marxloh. Gut 3000 Zuwanderer hat sie in den vergangenen fünf Jahren zum Deutschlernen angehalten, nur acht davon haben sich verweigert.

"Das ist killefit", sagt Fohrmann in schönem Lokalkolorit, was auf Neudeutsch mit Peanuts übersetzt werden kann. In Zahlen ausgedrückt: 2,7 Promille. Wer einen Integrationskurs abbricht hat fast immer einen guten Grund dafür: die Männer haben eine Stelle gefunden oder Schichtarbeit angenommen, die Frauen sind schwanger geworden. Dann gibt ihnen Overhoff ein Jahr Aufschub. "Im Zweifel berufe ich mich auf die Pflicht im Gesetz und das zieht auch", sagt Overhoff.

Es gibt Integrationsunwillige

Viel mehr als die Kursabbrecher regt Fohrmann die Debatte über Integrationsverweigerer auf. "Das ist der völlig falsche Fokus", sagt sie. Viel größer sei die Not bei den Integrationskursen, dort fehlten Plätze. "Das ist ein Riesenproblem", sagt Overhoff. Weil der Bund beim Integrationsunterricht spart, können nach Overhoffs Erfahrung viele Zuwanderer, die freiwillig den Kurs besuchen wollen, derzeit nicht teilnehmen. Die Sprachschulen bekommen deshalb viele Klassen nicht mehr voll, und bieten weniger Kurse an. Deshalb, so Overhoff, gebe es häufig keine passenden Kurse mehr für die Migranten. Denn die Palette reicht von der Analphabeten- bis zur Fortgeschrittenenklasse.

Dennoch will Overhoff gar nicht verschweigen: Es gibt Integrationsunwillige. Etwa solche, die sich durch einen Integrationskurs überfordert fühlen. In einem Fall überlegt Fohrmann gerade, die schärfste Waffe des Ausländerrechts einzusetzen: Ende der Aufenthaltserlaubnis, also Heimreise. Der Mann aus Ostanatolien hat eine Deutsch-Türkin geheiratet, beide leben von Hartz IV. "Er lehnt es ab, Deutsch zu lernen", sagt Fohrmann. Es gibt auch solche, die eine Eingliederung aus religiösen Gründen ablehnen.

So hatte Overhoff einen Deutsch-Ägypter im Haus, der seine sechs Kinder alle auf Schulen nach Ägypten geschickt hat. Er wolle für seine Kinder einen Unterricht "ohne schlechten religiösen Einfluss", sagte der Muslim. "Solche Probleme tauchen bei Leuten aus strenggläubigen arabischen Ländern auf, aber weniger bei den Türken", sagt Overhoff. "Und es ist ein Fall unter 3000." Als Verweigerer gilt die Familie offiziell dennoch nicht: Die Ehefrau, die der Mann aus Ägypten holte, besuchte brav den Integrationskurs.

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