Migranten in der Politik:Der Hass der braven Bürger

Verteidigungsausschuss - Sondersitzung

Omid Nouripour ist Verteidungs-Experte der Grünen

(Foto: dpa)

Beschimpft und bedroht: Migranten in der Politik sind für viele Wähler längst nicht selbstverständlich. Die Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour, Aydan Özoguz und Serkan Tören erzählen, wie sie mit den unzähligen Schmähzuschriften leben.

Von Roland Preuß, Berlin

Man könnte einen launigen Leseabend veranstalten mit den Zuschriften, so strotzen manche vor Irrsinn. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour solle sich "erst mal über fünf Generationen" in unsere "germanisch-keltische Mehrheitsgesellschaft" assimilieren, "dann dürfen Sie mal nachfragen", schreibt einer, der sich "Dr. Rückl" nennt und betont: Er sei "Kerndeutscher". Bei der SPD-Vizevorsitzenden Aydan Özoguz seufzt einer: "Ach, die Moslems sind unverschämt." Und wettert weiter: "Wenn Ihnen das Vorgehen des Innenministers nicht passt, dann verlassen Sie doch unser Land!" Und Serkan Tören von der FDP durfte zur Straffreiheit von Beschneidungen lesen: "Ich nehme stark an, Sie haben sich inzwischen Ihren Schwanz abschneiden lassen und dazu beigetragen, dass sich Ihre Sippe nicht weiter vermehren kann."

Eigentlich ist das Kabarett. Wenn nicht so eine Wut dahinterstecken würde. Und wenn da nicht diese Drohungen wären: Wir wissen, wo Du wohnst, Du solltest auf Deine Gesundheit achten. Solche Sätze. Und es ist nicht unbedingt lustig, wenn auf der Internetseite der Abgeordneten und Mutter Özoguz jemand nach dem Stichwort "Kind" sucht. "Da war ich doch alarmiert", sagt Özoguz.

Gut zwanzig Abgeordnete aus Zuwandererfamilien haben die Deutschen 2009 in den Bundestag gewählt, so viele wie nie zuvor. Nach vier Jahren fand nun am Freitag die letzte reguläre Plenumssitzung statt. Den Fernsehzuschauern sind Politiker mit ausländischen Wurzeln längst vertraut, der Grünen-Parteichef Cem Özdemir zum Beispiel, Wirtschaftsminister Philipp Rösler oder der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy, dessen Vater aus Indien stammt. Und ihre Zahl dürfte weiter wachsen: Die Parteien haben für die Bundestagswahl im September weitere Migranten aufgestellt, der in Westafrika geborene Karamba Diaby kandidiert in Halle für die SPD, die Muslimin Cemile Giousouf für die CDU in Hagen. Das zeigt, was sich in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Aber wie weit sind Migranten damit schon Normalität geworden?

Dann sind da noch die Anfeindungen

Sie sind es nicht, sagt Aydan Özoguz. Die Eltern der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden wanderten einst aus der Türkei ein, sie selbst kam in Hamburg zur Welt und bezeichnet sich als "Hamburger Deern". Im Alltag fallen ihr vor allem die Kleinigkeiten auf: Wenn Bürger danach fragen, wie man Özoguz ausspricht - man verschluckt das "og" - oder gerade ihre Plakate in einem Hamburger Viertel besonders häufig zusammengetreten werden. Dann sind da noch die Anfeindungen, per Mail, auf Facebook, in Internetforen. Sie zeigen, wie wenig normal der Migrant im Bundestag für viele Bürger noch ist, wie verhasst. Im Netz konzentriert man sich gerne darauf, dass Özoguz Deutsch-Türkin und gläubige Muslimin ist. "Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten ins muslimische Gulag", mailt einer. "Unser Trost ist, dass genügend Lampen in den Straßen stehen, an denen wir euch aufknüpfen werden", ein anderer.

Was macht man mit so was? Antworten, anzeigen, löschen? Özoguz liest vieles, was da so reinkommt, alles schafft sie nicht. Und sie antwortet. Wirklich? Özoguz nickt. "Es muss aber irgendetwas Inhaltliches erkennbar sein", sagte sie - ein Argument, angebliche Fakten, auch wenn der Brief sonst beleidigend ist. Özoguz möchte dem Pöbler zeigen: "Du bist kein besserer Mensch, ich gebe mir viel Mühe und Du merkst es gar nicht." Das klingt naiv. Doch manchmal funktioniere es, sagt sie. Manche schreiben zurück, sind überrascht und milde gestimmt, weil sie überhaupt geantwortet hat.

In ihrer Partei hat sie kein Problem. Es gab keinen Aufstand gegen Özoguz, keine Sticheleien. Im Gegenteil, man hat sie gefördert, seit Ende 2011 ist sie sogar eine der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden. Aber es gibt wütende Herren, die tauchen persönlich auf, bei einem SPD-Familientag am Minigolfplatz zum Beispiel. Ein Mann wollte ihr da erklären, warum alle Muslime Verbrecher seien. Es entspinnt sich ein Gespräch. "Da war nichts zu machen", sagt Özoguz, "irgendwann muss man auch einsehen, dass die Leute nicht kommen, um sich auszutauschen."

Schimpftiraden treffen auch andere Abgeordnete, sie gehören zum politischen Geschäft. Früher kamen anonyme Briefe, heute Mails und Interneteinträge. Die neue Technik, die Anonymität, die sie bietet, und der vergleichsweise geringe Aufwand erleichtern das Droh- und Schmähgeschäft. Homepage aufrufen, Mail-Adresse klicken, ein paar Sätze ausgekotzt, fertig. "Man sieht den Abgeordneten als gut bezahlten Dienstleister, den man besudeln und beschimpfen kann", sagt Albert Rupprecht, Vize der Unionsfraktion im Bundestag und als angestammter Oberpfälzer unverdächtig, einen Migrationshintergrund zu haben. Bei ihm ist es mehr geworden, aber es sei nicht "dramatisch". Es tröpfelt so rein. Eine Welle von Schmähmails hat er in zehn Jahren im Bundestag nie erlebt.

"Du scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!"

Das ist bei Omid Nouripour anders. Bei ihm laufen solche Wellen auf, Dutzende, Hunderte Mails, je nach Anlass. Nouripour wurde in Iran geboren. Als er 13 Jahre alt war, kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Seine Mutter hatte zuvor ihren Posten am Teheraner Flughafen gekündigt, das Mullah-Regime hatte den Kopftuchzwang eingeführt. Man sieht den grünen Wehrexperten derzeit öfter im Fernsehen als Kritiker des Verteidigungsministers in der Drohnen-Affäre. Auf seinem Schreibtisch im Bundestagsbüro steht eine Hessen-Flagge, dahinter hängt eine Fahne seines Fußballvereins, der Eintracht. "Frankfurt forever" steht da. Seit Ende Mai ist er Mitglied im Reservistenverband. Auf seiner Facebook-Seite liest man dennoch solche Einträge: "Einer mit dem Namen Nouripour sollte mal besser die Finger von deutschen Militärangelegenheiten lassen."

Der Frankfurter Abgeordnete kann nach sieben Jahren im Bundestag gut einordnen, was wann so reinregnet. Am meisten Hass kommt nach Fernsehauftritten bei ihm an, an zweiter Stelle stehen Online-Medien, auf Gedrucktes reagieren die Leute weniger aggressiv. Den meisten Mist senden Rechtskonservative und Rechtsextreme, aber auch Linke, denen er nicht links genug ist, Islamisten und Exil-Iraner, die ihn "Landesverräter" nennen. Er darf sich von allen Seiten beleidigen lassen. Von rechts fasst man eine schlichte Botschaft in immer neue Variationen: Ein "Ausländer" darf hier nicht mitreden, er soll gehen, "zurück ins Ali Land".

Am heftigsten reagiert die Klientel, wenn sich Nouripour der deutschen Geschichte annimmt. Wenn er fordert, Kasernen nicht nach dem Wehrmachts-Helden Erwin Rommel zu benennen, "geht die Post ab". Humor hilft, sagt Nouripour, der Deutsch-Iraner hat eine Lieblingsbeschimpfung, die eines Ahnungslosen: "Du scheiß Araber, geh zurück in die Türkei!" Nicht alles prallt an ihm ab, es gibt auch Dinge, die kränken. "Die Unterstellung, ich mache etwas nur aufgrund meiner Herkunft und nicht, weil ich denken kann." Manchmal kommen ältere Herrn im Straßenwahlkampf auf ihn zu, um ihre Vorbehalte gegen Ausländer zu erläutern. Nouripour reagiert darauf ganz anders als Özoguz. Sein Ziel ist, den anderen "auf den Baum kriegen", wie er sagt. Zum Beispiel mit dem Satz: "Sie sind doch selber Ausländer - nein? Wollen wir mal ihre Ahnen durchgehen?" Sogar der britische Prinz William habe angeblich indische Wurzeln, wie ein DNA-Test kürzlich gezeigt haben soll.

Islamhasser schicken Briefe mit vollem Namen und Adresse

Da schimpft nach Nouripours Erfahrung viel bürgerliches Publikum, Islamhasser schicken Briefe mit vollem Namen und Adresse. Nur Bedrohungen und Volksverhetzendes leitet er an die Ermittler weiter. Vor diesen Hetzern hat er keine Angst. Wenn er sich bedroht fühlt, dann von Dschihadisten. "Die bringen die meisten Einzeltäter hervor", sagt er. Nouripour hat einen Beitrag geschrieben für das Buch "Wenn Gott schläft" von Shahin Najafi. Der iranische Musiker wurde von iranischen Regimevertretern zum Ketzer erklärt, ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. So hat auch Nouripour Hass auf sich gezogen. Außerdem sagt der Abgeordnete, er trinke Bier, esse Schweinefleisch und sei trotzdem Muslim. Das ist nicht unbedingt Mehrheitsmeinung unter Islamisten. Darum hat Nouripour immer wieder Herren aus den Sicherheitsbehörden zu Gast, um die Gefahr einzuschätzen.

Auch das zählt zum Migranten-Dasein im Bundestag. Manche Zuwanderer im Volk haben ganz eigene Erwartungen, wie sich ein Muslim, einer aus Iran, aus der Türkei, einer "von uns" zu verhalten hat. Serkan Tören kennt das. Er ist in der Türkei geboren, in Deutschland aufgewachsen, integrationspolitischer Sprecher der FDP und im Innenausschuss des Bundestages. Als Salafisten vergangenen Frühling Polizisten angreifen, fordert er, die Extremisten auszubürgern. Sein Name mit Foto taucht auf einer Islamisten-Hassseite auf, ein polizeibekannter Salafist bedroht ihn, das Bundeskriminalamt nimmt sich der Sache an. Andere Beschimpfungen, meist aus der fremdenfeindlichen Ecke, putzt einer seiner Mitarbeiter weg, die Mails, die so reinkommen, wenn sich Tören mal wieder gewagt hat zu äußern zum Burka-Verbot oder zur Straffreiheit von Beschneidungen. Tören, die "hochgradig psychopathische Drecksfigur", wie einer schreibt.

Diesen Müll schaut sich Tören selbst meist gar nicht an. Man muss Tören schon drängen, überhaupt darüber zu sprechen. Er hat seine eigenen Konsequenzen gezogen aus diesem hässlichen Grundrauschen, das migrantische Abgeordnete begleitet. Politiker und Migrantenverbände sollten endlich aufhören, sich wegen solcher Anfeindungen als Opfer darzustellen. So sieht er das: "Wir müssen raus aus dieser Opfermentalität. Damit macht man sich nicht viele Freunde." Die Hassmails zeigten doch nur ein Zerrbild, sagt er: "Die Gesellschaft akzeptiert Vielfalt, das ist die Mehrheit." Im Wahlkreis, im Alltag, in der Partei, nirgends fühlt sich Tören angefeindet, weil er türkische Eltern hat. Ein paar Etikette aber würde er gerne loswerden: dass er "Deutsch-Türke" sei, er, der im Alter von zehn Monaten nach Deutschland kam. Oder die Betonung, er sei Muslim. Das sei alles so nebensächlich, sagt er. "Ich bin Deutscher - Punkt. Aus Stade."

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