Michail Gorbatschow wird 80:Ungeliebter Reformer

Für Michail Gorbatschow ist sein 80. Geburtstag kein Grund, Altersmilde walten zu lassen. Der letzte Präsident der UdSSR macht sich Sorgen um Russland - und findet scharfe Worte für die aktuelle Kreml-Besetzung.

Frank Nienhuysen, Moskau

Es wird nicht reichen für einen Eintrag in die Geschichtsbücher, aber dass Michail Gorbatschow auf Diät ist und kürzlich statt eines Kilogramms nur 500 Gramm abnahm, ist nun auch bekannt. Man weiß das, weil Gorbatschow gerade ziemlich viel von sich erzählen muss und sogar die russischen Zeitungen eine Menge von ihm wissen wollen.

Gorbatschow uebt scharfe Kritik an Ost-Erweiterung der NATO

Muss anlässlich seines 80. Geburtstages viel über sich erzählen: der frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow.

(Foto: ddp)

Denn an diesem Mittwoch wird der erste und letzte sowjetische Staatspräsident 80 Jahre alt.

Im Westen wird ihm seit jeher gehuldigt

Die regierungsfreundliche Zeitung Iswestija nutzte die Gelegenheit, um in einem Interview mit Gorbatschow sogar eine kleine Dosis Systemkritik zu drucken. Etwa, dass die Regierungspartei Einiges Russland von Premier Wladimir Putin die "schlechteste Kopie der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ist" und Demokratie eben doch im Westen zu finden sei. "Warum?", fragte Gorbatschow und gab die Antwort gleich dazu: "Weil es dort drei, vier Parteien gibt, und keine mehr hat als 40 Prozent."

Andere werden mit der Zeit gelassen, altersmilde. Gorbatschow verschärft seinen Ton.

Im Westen wird ihm seit jeher gehuldigt, weil er vernünftig genug war, die Einheit Deutschlands nicht zu blockieren. Und weil er den Koloss UdSSR ins Rollen gebracht hat, wenngleich dieser sich nicht dorthin bewegte, wo Gorbatschow ihn gern gehabt hätte.

Er wollte die Sowjetunion stärken und erneuern, nicht begraben. Für das unrühmliche Ende der UdSSR sind ihm die Russen bis heute gram.

Das Praktische an Gorbatschows Geburtstag ist, dass er nur vier Wochen auf den von Boris Jelzin folgt und so der unterschiedliche Umgang Russlands mit seinen ehemaligen Protagonisten umso klarer wird. Jelzin setzte die russische Führung kürzlich zum 80. posthum ein Denkmal, gefeiert wurde er als Vater der Demokratie. Mit Gorbatschow verbindet das Tandem an der Spitze in Moskau dagegen ein kühles Nichtverhältnis.

"Korruption und Willkür sind die größten Übel"

Erst einmal, sagt Gorbatschow, habe er sich mit Präsident Dmitrij Medwedjew getroffen. Und Putin? Anfangs habe er ja Putin unterstützt und gedacht, Russland stehe am Rande des Zerfalls, und der Stabilität wegen seien autoritäre Methoden nötig, so Gorbatschow. "Aber das, was jetzt gerade passiert - das geht gar nicht. Korruption und Willkür sind die größten Übel."

Gorbatschow macht sich Sorgen um sein Land. Mit der Gorbatschow-Stiftung und als Mitherausgeber der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta kämpft er täglich um geistige Spielräume, um Offenheit, die zu seiner Zeit keineswegs immer üblich war. Tagelang wurde 1986 die Katastrophe von Tschernobyl vertuscht, da saß Gorbatschow schon mehr als ein Jahr im Kreml. Das riesige Land ist schon immer schwer zu lenken gewesen. Und doch, von den jetzigen Machthabern ist Gorbatschow enttäuscht.

Im Demokratiemangel, der fehlenden Offenheit und der schleppenden Modernisierung scheint Gorbatschow jedoch eine neue Chance zu sehen, um den Menschen sein eigenes Reformwerk begreifbarer zu machen, die unvollendete Perestrojka. Es ist schwer, aber die Zeit verklärt manches, sogar in Russland. Eine Umfrage zeigt, dass die Russen sich langsam, aber doch allmählich mit der Gorbatschow-Epoche versöhnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: