Mexiko, die USA und das Deutsche Kaiserreich:Wie Pancho Villa den Ersten Weltkrieg prägte

Francisco Villa

Mexikanischer Revolutionär im Konflikt mit den USA: Pancho Villa

(Foto: Getty Images)

Um die Kräfte der USA fern von Europa zu binden, unterstützte das Deutsche Kaiserreich mexikanische Revolutionäre. Doch damit erreichte Berlin genau das Gegenteil.

Von Sebastian Schoepp

Western-Fans ist Pancho Villa wohlbekannt: Alan Reed, Telly Savalas und Antonio Banderas haben ihn gespielt, kurze Zeit spielte der mexikanische Revolutions-General sich sogar selbst, weil Hollywood seine Geschichte noch zu Lebzeiten verfilmte. Heute würde man sagen als Live-Revolutions-Doku-Soap.

Weniger bekannt ist, dass Pancho Villa, wenn auch indirekt, Einfluss auf den Ausgang des Ersten Weltkriegs genommen hat. Dies beschreiben im Detail historische Dokumente aus den Archiven der US-amerikanischen National Security Agency (NSA), die wegen der großen zeitlichen Entfernung der Ereignisse beizeiten "unclassified" wurden, also von Geheimhaltung befreit sind.

Folgendermaßen schildert das Cryptographic Quarterly aus dem NSA-Archiv die Geschichte, wie das revolutionäre Mexiko die USA wider Willen in den Weltkrieg trieb: "1917, als der Erste Weltkrieg in Europa tobte, wollten der neutralistisch gesinnte (US-)Präsident (Woodrow) Wilson und eine größtenteils apathische Öffentlichkeit wenig mit dem europäischen Konflikt zu tun haben. Tatsächlich hatte Wilson erst kurz zuvor die Wahlen mit dem Slogan 'Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten' gewonnen. Jedoch änderte ein überaus bedeutungsvolles Ereignis in diesem Jahr die Haltung des gesamten Landes zum Krieg und zu Deutschland."

Berliner Angebote an die Mexikaner

Das Ereignis war ein verschlüsseltes Telegramm, das der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Arthur Zimmermann, im Januar 1917 an die deutsche Gesandtschaft in Mexiko schickte, und das an den Revolutionspräsidenten Venustiano Carranza gerichtet war. In dem als Zimmermann-Depesche bekannt gewordenen Schreiben bietet der deutsche Außenbeauftragte dem neutralen Mexiko ein Bündnis mit dem Deutschen Kaiserreich für den Fall an, dass die USA ihre Neutralität aufgäben.

Wörtlich heißt es im Telegrammstil: "Gemeinsam krieg führen stop gemeinsam friedenschluss stop reichliche finanzielle Unterstützung." Zimmermann offeriert Mexiko unter anderem Hilfe bei der Rückeroberung von Texas, Neu-Mexiko und Arizona, der Gebiete also, die das Land 1848 an die USA verloren hatte.

Dem britischen Geheimdienst, damals bereits ein fleißiger Helfer der Amerikaner, gelang es, das Telegramm abzufangen und von Kryptoanalytikern entschlüsseln zu lassen, wie das NSA-Dokument berichtet. London war äußerst interessiert an einem Kriegseintritt der Amerikaner an seiner Seite, also wurde das Papier direkt dem US-Außenminister Robert Lansing, einem ausgewiesenen Kriegstreiber, zugespielt.

Lansing rannte damit sofort zu dem immer noch zögernden Präsidenten Wilson. Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchmann, die ein Buch über die Zimmermann-Depesche geschrieben hat, misst ihr allergrößte Bedeutung für den Kriegseintritt der USA zu: "Würden die Amerikaner ohne das Telegramm kriegsbereit sein? Wahrscheinlich nicht."

In der Tat hatte Präsident Wilson schon länger erwogen, die Neutralität aufzugeben. Er war verstimmt, weil das Deutsche Reich seinen Vermittlungsvorschlag für eine Friedenslösung abgelehnt hatte. Schwerer noch wog, dass Berlin den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufgenommen hatte, der auch US-Schiffe bedrohte. Die öffentliche Meinung in den USA begann zu kippen.

Fatales Mexiko-Abenteuer der Deutschen

Das Zimmermann-Telegramm lieferte den Vorwand, den Wilson brauchte: "Wir müssen nun einsehen, dass Deutschland uns als Feind betrachtet", schrieb die bis dato pazifistisch gesinnte Chicagoer Daily Tribune. Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg.

Der Kriegseintritt der Amerikaner stärkte die Entente in Europa entscheidend. Das schon seit langem militärisch geschwächte Kaiserreich bekam es nun mit einem Gegner zu tun, der übermächtig an Material und Ressourcen war und zudem Hunderttausende Soldaten in den Kampf schicken konnte, die ausgeruht und nicht - wie die europäischen - durch die seit Jahren andauernden Kämpfe erschöpft waren.

Was Pancho Villa mit all dem zu tun hatte? Ohne ihn wäre Berlin wohl nie auf die Idee gekommen, auf Mexiko zuzugehen. Villa führte bereits seit Beginn der mexikanischen Revolution 1910 einen Kleinkrieg an der Grenze zu den USA und hatte diese Grenze mehrmals überschritten. Am 9. März 1916 überfiel er die Garnison Columbus in Neu-Mexiko.

"Ich bin sicher, dass Villas Überfall in Deutschland fabriziert wurde", telegrafierte der amerikanische Botschafter in Berlin an das State Department. Wie er zu diesem Urteil kam, ist leider nicht bekannt, einen gesicherten Beweis für die Ansicht des US-Diplomaten gibt es nicht. Sicher ist allerdings, dass Deutschland bereits zuvor immer wieder versucht hatte, zu den Mexikanern Kontakt aufzunehmen, und zwar vor allem über einen deutschen Spion namens Felix A. Sommerfeld.

Dubioser Kontaktmann nach Berlin

Er war der Kontaktmann zwischen Pancho Villa und Berlin und eine der schillerndsten Figuren der Spionagegeschichte. Felix A. Sommerfeld wurde 1879 in Schneidemühl in Posen als Sohn jüdischer Eltern geboren, er war Mineningenieur, Meldereiter der deutschen Kavallerie, Abenteurer, Journalist - und Agent. Er kämpfte 1900 als deutscher Kolonialsoldat in China gegen den Boxer-Aufstand und wanderte danach in die USA aus, wo er allerlei Geschäften nachging.

1910 ging Sommerfeld als Korrespondent der Nachrichtenagentur AP nach Mexiko, trat aber bald in den Dienst der revolutionären Regierung in Mexiko-Stadt ein und wurde deren Geheimdienstchef. Im Auftrag von Präsident Carranza kaufte er Dynamit und Waffen für das Revolutionsheer und lernte auf diese Weise Pancho Villa kennen. Vor allem aber versorgte Sommerfeld seine alte Heimat mit Informationen, wie der Historiker Friedrich Katz schreibt.

Möglicherweise war es Sommerfeld, der 1916 Pancho Villa zum Angriff auf die Garnison Columbus anstiftete - also im Auftrag Deutschlands die Attacke "fabrizierte", wie es der US-Botschafter mit so großer Bestimmtheit behauptete. Später versuchte der deutsche Agent jedenfalls, den mexikanischen Revolutionär zu überreden, auch noch US-amerikanische Ölfelder anzugreifen. Dabei versprach er ihm Unterstützung durch die deutsche kaiserliche Marine. Villa blieb nun allerdings lieber in Mexiko, nachdem sich sein Überfall auf Columbus zum Desaster entwickelt hatte.

Die USA hatten nämlich nach dem Angriff auf die Garnison mehrere Strafexpeditionen auf mexikanisches Gebiet unternommen und Villas Truppen beträchtlich dezimiert. Nur Villa selbst hatte das Heer unter General John J. Pershing nicht fangen können. Der Feldzug erreichte aber, dass Mexikos Staatschef Carranza die USA energisch zum Rückzug ihrer Truppen aufforderte.

1916 und 1917 standen Mexiko und die USA zeitweise am Rand eines offenen Krieges. Diese Spannungen wollte Deutschland offenbar schüren - ähnlich wie man später auch die revolutionären Umtriebe in Russland förderte, indem man Lenin aus seinem Schweizer Exil quer durch Deutschland heimlich ins Zarenreich schaffte.

Glaubte der deutsche Staatssekretär Zimmermann tatsächlich, dass Pancho Villas Banditenheer eine Gefahr für die USA darstellen würde? Kaum. Aber der deutsche Außenbeauftragte habe wohl gehofft, dass Washington vom europäischen Kriegsschauplatz abgelenkt werden würde, wenn es sich mit Mexiko auseinandersetzen müsse, mutmaßte der Spiegel 1959 in einem Artikel über den "Depeschen-Bluff". Zimmermann erreichte jedoch in Wirklichkeit etwas ganz Anderes: Nämlich den Kriegseintritt der USA, der wesentlich dazu beitrug, dass das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor.

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